Bernhard Peter
Kyoto: Anraku-ji, Teil (1):
Beschreibung, Sanmon, Vordergarten, Hondo außen


Lage und Erreichbarkeit
Das Tempelgelände liegt in im Stadtbezirk Sakyo (Adresse: 21 Shishigatani Goshonodan-cho, Sakyo-ku, Kyoto-shi, Kyoto-fu) im Osten gegenüber des Mausoleums für Kaiser Reizei. Der Anraku-ji gehört zum Ensemble Philosophenweg und bildet mit dem Ginkaku-ji, dem Honen-in und dem Reikan-ji eine Gruppe, den nördlichen Teil der Higashiyama-Tempelmeile, im Westen an eine ruhige Wohnstraße angrenzend, nach Osten in die Berghänge von Shishigatani übergehend. Man erreicht den Tempel am besten, vom Ausgangspunkt Hauptbahnhof aus betrachtet, mit dem Raku-Bus Nr. 100, Ziel Ginkaku-ji. Von der Haltestelle Honeninmachi sind es zu Fuß 350 m bis zum Anraku-ji. Alternativ kann man die U-Bahn der Karasuma Line bis zum Bahnhof Marutamachi nehmen, wo man an der nahen Haltestelle Karasumarumarufutorumachi den Bus Nr. 93 nach Kinrin Shako mae bekommt, Ausstieg an besagter Haltestelle, verbleibender Fußweg 450 m. Auch die Linie 17 kann man bis zur gleichen Endhaltestelle nehmen. Aber meistens wird man den Tempel nicht isoliert besuchen, sondern im Verbund mit anderen der Route, so daß man entweder im Norden am Ginkaku-ji einsteigt oder im Süden am Kurodani, Shinnyodo o. ä., letzteren erreicht man ab Hauptbahnhof mit der Buslinie 5 zur Haltestelle Shinnyodomae, von dort sind es 500 m zum Anraku-ji.

Der Anraku-ji ist wie sein nördlicher Nachbar die meiste Zeit des Jahres ein sehr ruhiger und beschaulicher Tempel. Es gibt außerhalb des Spätherbstes anscheinend kaum Besucher, was auch an den knapp bemessenen Öffnungstagen liegt, man muß einfach Glück haben, um das Gelände betreten zu können. Reguläre Öffnungstage sind die Samstage und Sonntage in den ersten 13 April-Tagen, die Samstage, Sonntage und nationalen Feiertage in den ersten 13 Mai-Tagen, der 25. Juli sowie die Samstage, Sonntage und nationalen Feiertage im ganzen November und in den ersten 13 Dezember-Tagen. Kompliziert zu merken, und alles unter dem Vorbehalt, daß an dem Tag keine Tempel-Veranstaltung stattfindet. Manchmal hat man auch einfach Glück, daß man außerhalb dieses Planes reinkommt, z. B. gerade bei einer Tempel-Veranstaltung. Die meisten Kyoto-Touristen haben den Tempel deswegen nicht auf dem Plan. Um so entspannter ist der Besuch - ich war an einem Septembertag der einzige Besucher, und man konnte völlig frei und ungestört alle Räume genießen, solange man wollte. Die Räume wirkten alle sehr authentisch, nicht für Touristen hergerichtet, mit großem Wohlfühlfaktor, fast wie ein Privathaus. Und Eintritt kostet der Tempel bei einem "Gelegenheitsbesuch" auch nicht, wohl aber im Spätherbst an den offiziellen Öffnungstagen.


Geschichte und Bedeutung:
Der Name des Tempels bezieht sich auf den gleichnamigen Schüler von Honen (1133-1212). Der Gründer der Jodo-shu baute in der Kamakura-Zeit in der Nähe des heutigen Standorts zusammen mit Anraku und Juren einen ersten Tempel. Deshalb wird im Tempel der Amida-Buddhismus gepflegt mit der Rezitation des "Namu Amida Butsu" zwecks Erlangung von Erlösung. Ein alternativer Name für den Anraku-ji lautet Matsumushi-suzumushi-dera. Das bezieht sich darauf, daß Matsumushi und Suzumushi, die beiden Konkubinen oder Hofdamen des zurückgetretenen, aber nach wie vor im Hintergrund die Fäden ziehenden Kaisers Go-Toba (1179-1239), im Jahre 1206 heimlich der Glaubensrichtung beigetreten waren und den Lehren von Anraku und Juren als Nonnen folgten. Der zurückgetretene Kaiser nahm diesen Glaubenswechsel zum Anlaß, den von ihm ohnehin als nicht mit seiner Auffassung vereinbar angesehenen Glauben (gleiche Erlösungschancen für alle, das war revolutionär modern) verfolgen zu lassen. Honen wurde ins Exil verbannt, und Anraku und Juren wurden 1207 exekutiert. Der kleine Tempel verfiel. Eine solche brutale Verfolgung einer einzelnen buddhistischen Richtung von Staates Seite wie in der Kenei-Ära war etwas sehr Seltenes in der japanischen Geschichte.

Viel später, in der Mitte des 16. Jh., so ca. 1532-1555, wurde der gegenwärtige Tempel erbaut, um an das Wirken des Honen-Schülers zu erinnern und um die Seelen der Geister der beiden enthaupteten Honen-Schüler und der beiden kaiserlichen Favoritinnen zu beruhigen. Mittlerweile war die Jodo-shu fest in Japan etabliert. Der offizielle Name des Tempels lautet "Shishigatani Jurenzan Anraku-ji", womit an beide Honen-Schüler gedacht wird. Die Grabdenkmäler aller vier Opfer kaiserlichen Zorns befinden sich auf dem Tempelgelände, in einer Fassung von 1897 für die Damen und von 1904 für die Mönche. Das Hauptkultbild (Honzon) ist ein Amitabha (Amida Nyorai). Im Gegensatz zu seinem nördlichen Nachbarn, dem Honen-in, gehört der Anraku-ji nach wie vor zur Jodo-shu, und zwar zum Nishiyama-Zenrin-ji-Zweig. Der Tempel wurde 1681 erneuert, mit weiteren Baumaßnahmen 1780 und 1862.

Am 25. Juli findet im Tempel ein Shishigatani-Kürbisfest statt. Das geht auf ein Ereignis in den 1790er Jahren zurück. Der in Kurita Kyoto lebende Toshiro Tamaya brachte von einer Reise nach Aomori Kürbissamen mit und ließ sie zu Hause keimen. Überraschung - durch eine "Spontanmutation" hatten die Früchte die Form von Bierflaschen. Oberpriester Shinkuu Ekizui vom Anraku-ji erhielt von Buddha Amida eine göttliche Botschaft, daß der Shishigatani-Kürbis (Kabocha) vor Lähmungen schütze, und seitdem wird im Sommer das Kürbisfest mit zahlreichen Kürbisgerichten und dem Verkauf von frischem Gemüse gefeiert.

Im Tempel werden einige wertvolle Rollbilder aufbewahrt, darunter “Anraku-ji-engi-e”,”Teihatsu-zu” und “Kusou-zu”. Beim Kürbisfest werden diese Rollbilder aufgehängt und im Rahmen einer japanischsprachigen Führung erläutert.


Rundgang und Beschreibung
Von der kleinen Stichstraße aus führt der Weg (Sando) mit breiten Steinstufen (Sando-ishidan) hoch zum Tor (San-mon). Das ist im Herbst eine der berühmtesten und meistphotographierten Ansichten der Stadt, weil die den Stufenweg beiderseits begleitenden Ahorne mit ihrer Färbung die Szene verzaubern, die herabgefallenden Blätter malerisch den ganzen Stufenweg bedecken und am oberen Ende der Stufen ein entzückendes, strohgedecktes Tor als Point de vue die Idylle vervollkommnet. Das Schilfdach vermoost sehr schnell, aber es altert auch und muß immer wieder alle paar Jahre erneuert werden. Deshalb wird man immer wieder ein anderes Bild dieses Tors haben, je nachdem, ob es gerade frisch renoviert wurde oder in welchem Ausmaß der Zahn der Zeit und der Verwitterung wieder malerisch den Sieg der Natur über das Material inszeniert.

Hinter dem in der aktuellen Form 1892 erbauten Tor biegt man nach links durch den vorderen Garten mit von beschnittenen niedrigen Hecken gesäumten Steinplattenwegen hindurch zur Haupthalle (Hondo) ab. Diese ist zweistöckig. Innen befindet sich eine vergoldete Figur des Amida Buddha. Sie wird flankiert von Seishi und Kannon. Rechts sieht man vier Figuren, zwei männliche und zwei weibliche, die an Anraku, Juren und die beiden Hofdamen erinnern. Auf der anderen Seite steht ein vergoldeter Schrein in Tempelform mit einer Figur des Sektengründers Honen, zusammen mit Hunderten Papieren mit dem Namu Amida Butsu. Honen wird begleitet von seinem Schüler Shinran und von Kannon.

Über einen beiderseits offenen Korridor ist die Haupthalle mit dem östlich parallel stehenden Shoin verbunden, der sich auf seiner Westseite zum einen, mit seiner Ostseite zum anderen Garten (Teien) hin öffnet. Dieser Garten mit seinen kugeligen Azaleenbüschen benutzt die Higashiyama-Berge im Hintergrund als "geborgte Landschaft" (Shakkei). Hier wachsen die beiden Rhododendron-Typen Tsutsuji und Satsuki, erstere früher blühend, mit weniger und großen Blättern, mit weißen oder rosa Blüten, letztere später (früher Juni) und eher rot blühend, mit dichterer Belaubung und kleineren Blättern. In den Gärten gibt es auch etliche schöne Kamelien. Weiter hinten gibt es noch ein Café und einen Friedhof. Außerdem gibt es auf dem Gelände noch eine Jizo-Halle (Jizodo) mit sehr bunt bedruckten Papierlaternen davor. Im Garten ist ein Bussoku-seki in den Moosteppich eingebettet, eine steinerne Fußspur Buddhas.


Sando und Sanmon


Vorderer Gartenbereich


Hondo, Außenansichten


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps:
https://www.google.de/maps/@35.0214837,135.7965482,19.5z - https://www.google.de/maps/@35.0214837,135.7965482,19.5z
Webseite des Tempels:
http://anrakuji-kyoto.com/ - http://anrakuji-kyoto.com/anrakuji.html
auf Kyotofukoh:
https://kyotofukoh.jp/report463.html
auf Japan-Kyoto:
https://japan-kyoto.de/anrakuji-tempel-kyoto/
auf Japan Visitor:
https://www.japanvisitor.com/japan-temples-shrines/anrakuji
bei Noboru Asano:
http://kyoto.asanoxn.com/places/higashiyama_nth/anrakuji.htm
auf Kyoto Kiss:
http://kyotokiss.com/districts_img/N_higashiyama/anrakuji.html
bei Damien Douxchamps:
https://damien.douxchamps.net/photo/japan/kyoto/sakyo/anraku-ji/
auf Inside Kyoto:
https://www.insidekyoto.com/anraku-ji-temple-northern-higashiyama
auf Traditional Kyoto:
https://traditionalkyoto.com/gardens/anraku-ji/
auf Japan Travel:
https://www.japan.travel/en/spot/1347/
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10: 4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 159-160


Anraku-ji, Teil (2): Hondo innen, Shoin, Korridore

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