Bernhard Peter
Kyoto: Myoman-ji


Lage und Erreichbarkeit
Der Tempel Myoman-ji liegt im Nordosten von Kyoto im Stadtteil Iwakura am Rand der nördlichen Hügelkette (Adresse: 91 Hataeda-cho, Iwakura, Sakyo-ku, Kyoto-shi, Kyoto-fu). In Bezug auf die bekannteren Sehenswürdigkeiten liegt er ca. 2,3 km nordöstlich vom Kamogamo-Schrein, 700 m nordöstlich vom Entsu-ji und 2,8 km nordwestlich der Shugakuin-Villa. Man erreicht den Tempel vom Bezugspunkt Kyoto Eki aus am besten mit der U-Bahn der Karasuma Line, die in 35 min. bis zum Endbahnhof Kokusaikaikan fährt. Von dort ist es noch eine Viertelstunde zu Fuß (1 km) in nordwestlicher Richtung bis zum Eingang. Man kann natürlich auch an der U-Bahn-Endstation einen Bus an der Kokusaikaikan Ekimae Basu noriba die Linie 50 nehmen (oder 40 oder 52), Ausstieg Haltestelle Hataeda, doch das dauert zeitlich eher länger als wenn man gleich losmarschiert, zumal auch hier noch ein Restweg von 250 m verbleibt. Es gibt noch einen anderen Bahnhof, der näher am Tempel liegt, das ist die Station Kino der Eizan Electric Railway Kurama Line. Für denjenigen, der den Besuch mit der Villa Shugakuin und den dortigen Tempeln verbindet, ist das eine echte Alternative. Die Schnittstelle zu der Keihan Line ist der Bahnhof Demachiyanagi. Das Gelände kann frei besichtigt werden, für das Innere einiger Gebäude und für den Garten Yuki-no-niwa wird ein moderates Eintrittsgeld erhoben.


Geschichte und Bedeutung
Der zur Nichiren-Schule gehörende Tempel ist neuzeitlich bis modern. Seine Anfänge in anderer Form an anderem Ort datieren zwar auf 1383/1389, er wurde vom Priester Nichiju (1314-1392) gegründet, doch von den damaligen Strukturen ist nichts geblieben. Früher befand sich der Tempel im Bereich Teramachi Nijo, wo er mehrfach abbrannte (1708, 1788, 1864) und zuletzt 1870 wiederaufgebaut wurde. Erst 1968 zog er hierhin an den neuen Standort um, als der alte Platz immer mehr urbanisierte und das vom Tempel eingenommene Gelände in der alten Stadt immer weiter beschnitten wurde. Innerhalb der Nichiren-Schule ist der Myoman-ji der Haupttempel (Sohonzan) der (Jumonryu-) Kenpon-Hokke-Richtung. Die auf Nichiju Shonin zurückgehende Richtung wird auch Myoman-ji-Richtung genannt. Die Lotus-Sutra (Hokke-kyo) hat darin eine besondere Bedeutung.

Nichiju Shonin wurde im 33. Jahr nach dem Tod von Nichiren in Kurokawa (Aizu-Wakamatsu, Provinz Aizu) geboren. Seine Eltern waren lshido Masatomo Kiyotama-hime, die Tochter von Ashina Shiro Mori-mune. Als Kind trug er den Namen Tamachiyo-maru. Früh Vollwaise geworden, wurde er Priester. Mit 19 Jahren wurde er ein Schüler eines Priesters auf dem Berg Hiei. Sein neuer Name als Mönch war Gemmyo. Im Alter von 58 Jahren kehrte er in seine Heimat Aizu zurück, um Priester des Ashina-Familientempels (Toko-ji) zu werden. Der Erhalt von Schriften des Gründers Nichiren brachte eine grundlegende Wendung in seinem Leben und ließ ihn zu dieser neuen Richtung konvertieren. Für die Tendai-Schule war es eine Katastrophe, daß einer ihrer gefeiertsten Priester diesen Weg einschlug; man bekämpfte ihn bis zu Mordplänen. Gemmyo mußte fliehen. Zusammen mit den Schülern Jennyo-bo Nichinin, Nichiboku, Nichikin, Nichigi, Nichizen und Nichimyo nahm er Zuflucht im Tempel Guho-ji in Mama, Shimosa. 1381 endete das Versteckspiel, indem er seinen Glauben offiziell in Kyoto am Hofe vorstellte, erneut 1382 und 1383. Jedesmal erging die Aufforderung an den Kanpaku zur Teilhabe an seinem Glauben. Beim dritten Mal, da war er schon 70 Jahre alt, baute er eine kleine Eremitage in Kyoto, in Muromachi. Aus dieser Keimzelle entwickelte sich später der Myoman-ji: Sein neuer Tempel wurde, als der Gründer 76 Jahre alt war, in "Myotozan Myoman-ji" umbenannt. Sein geistiges Vermächtnis schrieb er in drei Ausfertigungen nieder, wobei eine Abschrift in Aizu im Myoho-ji, eine in Endhu im Gemmyo-ji und die dritte in Kyoto im Myoman-ji aufbewahrt wurde. Nur eine dieser Ausfertigungen überdauerte die Zeiten im Myoritsu-ji in Kibi.

Der Umzug an den Nordrand der Stadt war eine Befreiung aus der zunehmenden Enge. Andererseits ist dadurch alles recht neu. Der Tempel ist trotzdem interessant wegen einer architektonischen Besonderheit (s. u.). Er ist völlig untouristisch, fast unbekannt unter Touristen, und besitzt eine angenehme und ruhige Atmosphäre. Es gibt moderne und schöne Gartenanlagen zu sehen, und vor allem hat man von hier einen phantastischen Blick auf den Berg Hiei.


Rundgang und Beschreibung
Die Grundstruktur ist L-förmig und besteht aus einer zentralen Haupthalle, einer Reihe von Tempelgebäuden in Nord-Süd-Richtung und einer Reihe von Subtempeln in West-Ost-Richtung. Der Zugang erfolgt von Osten oberhalb des kurzen-L-Schenkels. Dieser Bereich ist besonders schön zur Blütezeit der Azaleen (Mai), die hier rings um den Teich angepflanzt sind. Insgesamt wurden hier 3000 Azaleen angepflanzt. Man überquert den Teich (Ike), in dem Koi-Karpfen leben, über eine zwischen zwei Dämmen gespannte kurze, flachbogige Brücke und gelangt zum Haupttor, dem San-mon. Dieses trägt ein Satteldach und ist in ein kurzes Stück Abschlußmauer eingebaut, wie sie sonst Tempelanlagen komplett umschließen. Hier sind nur wenige Meter beiderseits des Tores aufgebaut und enden in einem kurzen, nach vorne gezogenen Querstück. Fünf weiße Linien sind auf die ockerfarbene Mauer aufgemalt. Direkt nach Passieren des Tores stehen linkerhand im Süden der Glockenturm (Shoro) und rechterhand im Norden das überdachte Handwaschbecken (Mizuya, Temizuya). Ein großes rundes Steinbecken trägt einen Rost aus drei langen und querverbundenen Bambusrohren; die Wasserzufuhr erfolgt von hinten aus dem Schlund eines bronzenen Drachens, der in die Höhlung der Brunnensäule eingepaßt ist. In einer Linie weiter nach Norden befindet sich ein langgestreckter Bau, ein Rastplatz (Kyukeisho) mit sanitären Anlagen.

Die Reihe der südlichen Subtempel (Tatchu) beginnt im Osten mit dem Daiji-in, gefolgt vom Hoko-in (Houkou-in), beide noch östlich der San-mon-Linie, dann folgen weiter nach Westen dicht nebeneinander der Seigyo-in und der Joju-in. Alle diese Subtempel sehen im Grunde ähnlich aus: Niedrige Mauer mit weißen Linien, Holztor mit Satteldach, dahinter nicht zu besichtigende Privaträume mit einer gewissen Variation des Eingangs.

Am Ende der Reihe steht ein Stupa (Butsu-shari-to, auch: Butsu-shari-dai-to oder kürzer Busshari-dai-to, wörtlich: Buddhas-Asche-großer-Turm) in einem pseudoindischen Stil (Inder würden sich verwundert die Augen reiben). Einzigartig ist der Turm trotzdem. Dieses 1973 errichtete Bauwerk ist das Frappierende und Besondere am Myoman-ji. Es handelt sich um eine in Beton ausgeführte Kopie der Stupa in Bodhgaya in Indien, dem Ort, wo Buddha einst Erleuchtung erlangte. Nur der zentrale Turm ist kopiert worden, nicht die vier Ecktürmchen. Außen befinden sich in den Nischen kleine vergoldete Reliefs. Innen befindet sich eine vergoldete Statue Buddhas. Es gibt weltweit noch mehr solcher Kopien, eine steht z. B. im Wat Florida Dhammaram in Kissimmee, Florida, eina andere im Wat Nong Bua in Ubon Ratchathani, Thailand, eine dritte im Wat Pai Rong Wa in der thailändischen Provinz Suphan Buri (alle vorgenannten sind Theravada-Tempel). Weitere Kopien gibt es in Myanmar, in Bagan gibt es einen Mahabodhi-Tempel ebenso wie auf dem Gelände der Shwedagon Pagode in Yangon. Die häßlichste und neueste Kope steht übrigens in Las Vegas. Weiterhin wird hier ein runder Stein mit einem überdimensionierten Fußabdruck gezeigt, Fußspuren Buddhas (Bussokuseki).

Am Knick des "L" finden wir gegen den Hang zurückgesetzt und über eine breite Treppenanlage zu erreichen die Haupthalle des Tempels (Hondo). Deren Front ist zehn Pfostenabstände breit. Vier große Holzpfeiler tragen das weit ausladende Dach auf der Vorderseite. Von der erhöhten Position am Ende der Treppen aus hat man den besten Blick auf den Berg Hiei im Osten. Vor der Halle stehen zwei Kakuga-Steinlaternen und in der Mitte des Weges ein überdachtes Gefäß für Räucherstäbchen. Auf der dann als Bühne dienenden Treppenanlage wird jährlich Wadaiko (traditionelles Trommeln) aufgeführt.

An der Nordseite der Haupthalle ist ein abknickender Korridor angesetzt, der zu den Gebäuden des vertikalen L-Schenkels überleitet. Nördlich von Haupthalle und Korridor liegt ein ausgedehnter Friedhof, wo sich auch direkt am Eck des Korridors die Erinnerungsstätte für den Gründer befindet (Kaisan byo), eine mehrstufige Konstruktion mit zwei hochführenden Treppen nacheinander und einer Steinpagode auf der obersten Ebene. Zwei Gorin-to nebeneinander erinnern an Nichiju (links) und Nichiren (rechts).

Nördlich des Haupthallen-Vorplatzes befindet sich das Tempelbüro (Jimu-sho), rechts daneben der Genkan (formeller Eingang). Die eng miteinander verbundenen Gebäude enthalten Kuri und Hojo, Lebensbereich der Mönche, Küchenbau und Abtsresidenz. Der Komplex wird auch als Honbo bezeichnet. Im Osten schließt sich ein ummauerter Garten (Teien) an, der Yuki no niwa (Schneegarten). Er heißt so, weil die Modellierung des Reliefs der Büsche und Felsen mit leichter Schneehaube am spektakulärsten aussieht. Weiter nach Norden folgen die Gebäude Ko-shoin (kleiner Shoin, im Westen), O-Shoin oder Dai-Shoin (großer Shoin, im Osten). Den nördlichen Abschluß des langen L-Schenkels bildet der zweistöckige Shingyo-dojo (Shingyou-doujou), vor dessen mit einem Eingangsvorbau versehener Ostseite ein Rondell mit dem Kirschbaum Toemon Sakura zu finden ist. Der ganze rückwärtige Bereich im Westen zieht sich der Friedhof mit Gräbern in streng parallelen Reihen entlang.

Ein kleines Museum zeigt einige historisch interessante Gegenstände, darunter eine Glocke, die mit der Geschichte von Anchin Kiyohime no Kane verbunden ist. Anchin war ein Mönch, der in der Gegend von Wakayama in Kumano Hongu auf Pilgerschaft in einem Dorf zwischen Dojo-ji und Kumano übernachtete und die Tochter des Hausherrn verführte. Seine Versprechungen waren falsch, und als Kiyohime (Kiyo = die Reine, hime = Prinzessin) merkte, daß er nie zurückkehren wurde, verwandelte sie sich in eine Schlange und verfolgte den Ex-Liebhaber. Dieser versteckte sich unter einer bronzenen Tempelglocke (Bonsho)  im Tempel Dojo-ji in Hidakagawa. Doch die Schlange wand sich um die Glocke und heizte sie auf, bis Anchin darunter verschmorte. Die Schlange hatte gesiegt, war aber ebenfalls am Ende, warf sich in einen nahen Fluß und verendete dort. Seit diesem Ereignis galt die Glocke als Unglücksbringer, sobald sie angeschlagen wurde. Im Jahr 1585 brachte man sie nach Kyoto. Seitdem bewahren die Mönche des Myoman-ji (damals noch an anderem Ort) sie auf und führen jedes Jahr eine Zeremonie durch, um den Seelen von Anchin und Kiyohime Frieden zu geben. Die ganze unglückselige Geschichte wurde für das Noh- und das Kabuki-Theater adaptiert.


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@35.0679526,135.774665,18.25z - https://www.google.de/maps/@35.0679002,135.7748512,195m/data=!3m1!1e3
auf Dhammawiki:
https://dhammawiki.com/index.php/Myomanji_Temple
auf Kyotofukoh:
https://kyotofukoh.jp/report538.html
Myomanji:
http://www.deepkyoto.com/azaleas-at-myoman-ji-temple/
auf Japan Visitor:
https://www.japanvisitor.com/japan-temples-shrines/myomanji-temple
Anchin und Kiyohime:
http://www.dojoji.com/e/anchin/anchin.html - https://en.wikipedia.org/wiki/Kiyohime
Myoman-ji:
http://things-to-do-in-kyoto.com/discoverkyoto/kyotogood-unknown-spot-temple/
Youtube-Film über den Tempel:
https://www.youtube.com/watch?v=XyXd-6xtXK4 - https://www.youtube.com/watch?v=LtcRrGaebzs
bei Damien Douxchamps:
https://damien.douxchamps.net/photo/japan/kyoto/hieizan/myomanji/
Webseite des Tempels:
http://myomanji.jp/
Leben von Nichiju:
http://www5c.biglobe.ne.jp/~lotus/Nichiju.htm
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10: 4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 284-286


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