Bernhard Peter
Kyoto: Munetada jinja


Lage, Erreichbarkeit und Touristisches
Der Munetada-Schrein (Munetada jinja) ist im Stadtteil Sakyo-ku in der Nähe des Yoshida jinja zu finden (Adresse: 63 Yoshidashimoojicho, Sakyo-ku, Kyoto-shi). Der Schrein liegt damit im wenig besuchten Teil der Stadt zwischen Kaiserpalast einerseits und Philosophenweg andererseits, wo es untouristisch zugeht. Man kann den Besuch gut kombinieren mit dem der Tempel Shinnyodo und Kurodani und/oder mit dem des Yoshida-Schreines, die alle in der Nachbarschaft liegen. Für sich alleine würde der Schrein nicht lohnen, aber im Verbund reiht er sich ein in die vielen anderen Sehenswürdigkeiten dieses Stadtteils. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man den Munetada jinja ab Hauptbahnhof Kyoto am besten mit der Kombination aus der U-Bahn der Karasuma Line bis zum Bahnhof Imadegawa, dort bekommt man an der Haltestelle Karasuma Imadegawa den Bus Nr. 203, mit dem man bis zur Haltestelle Kyodai Nogakubu mae fährt, von dort sind es noch 850 m zu Fuß. Alternativ kann man vom Bahnhof Kyoto aus den Bus Nr. 206 bis zur Haltestelle Konoe Dori nehmen, es bleibt ein Restweg von 850 m.


Geschichte und Bedeutung
Auch wenn der Schrein auf den ersten Blick wie ein traditioneller Shinto-Schrein aussieht, wird diese Glaubensstätte den "neuen Religionen" zugerechnet. Im Schrein wird einerseits Amaterasu O-mi-kami ("am Himmel scheinende, große und erlauchte Göttin") verehrt, andererseits der Geist des Gründers, welcher den sogenannten, den "neuen Religionen" zugerechneten Kurozumi-Glauben (Kurozumi-kyou) in Kyoto einführte. Das erklärt auch den doppelten, parallelen Aufbau. Der Glaube Kurozumi-kyou ist eine der drei neuen Religionen, die gegen Ende der Edo-Zeit auftauchten, die beiden anderen sind Tenrikyou und Kinkou-kyou.

Kurozumi Munetada (22.12.1780-1850) war ein Shinto-Priester aus der heutigen Präfektur Okayama. Sein Vater, Kurozumi Muneshige, war ein Shinto-Hilfspriester (Negi) im Imamuraguu-Schrein in Imamura gewesen. Er selbst wurde 1824 Negi und nahm den Namen Sakyou Munetada an. Sein zum Großteil auf Überlieferungen des Shinto-Kultes beruhender Glaube hat zum wesentlichen Inhalt, daß die Sonnengöttin Amaterasu die oberste Göttin und Schöpferin des Universums ist, Quell allen Lichtes und allen Lebens, und - neu - daß alle anderen Shinto-Gottheiten, deren Zahl eigentlich unendlich ist, aber traditionell ganz grob auf 8 Millionen angesetzt wird, keine eigenständigen und unabhängigen Götter sind, sondern Manifestationen dieser einen Urgöttin. Diese 8 Millionen Götter (Yaoyorozu no kami), also sinngemäß "alle", werden im Schrein ebenfalls mitverehrt. Ein weiterer neuer Ansatz war der Gedanke, daß alle Menschen wiederum Emanationen von Kami sind, so daß sie durch bestimmte spirituelle Praktiken selbst zum Kami werden können. Wenn ein Mensch es schafft, eins mit einem Kami zu werden, erwirbt er dadurch nicht endendes Leben. Der Glaube war sozusagen eine Kreuzung aus Polytheismus und Monotheismus, die alle anderen Götter vereinte, auf die Sonnengöttin zentrierte und zu Erscheinungsformen der einen Urgöttin erklärte. Sowohl klassisch shintoistische pantheistische als auch der neuen Fokussierung auf eine Hauptgöttin geschuldete panentheistische Elemente lassen sich finden. Amaterasu wird zum lebensspendenden Mittelpunkt aller Verehrung erklärt.

Das Heilsversprechen war aber auch, Glück nicht durch Änderung der Lebensumstände zu erreichen, sondern durch Änderung der eigenen spirituellen Haltung. Jeder Mensch trägt in sich ein spirituelles Potential, das man nutzbar machen kann, um Krankheit und Tod zu beeinflussen. Genau das machte die Religion attraktiv für diejenigen, die in untergeordneter gesellschaftlicher Stellung von Armut, Krankheit und Tod bedroht waren und eben nicht die äußeren Umstände ändern oder ihnen entfliehen konnten. Spirituelle Unabhängigkeit, Gleichheit aller Menschen als Emanationen eines Kami wirkten verlockend und paßten in die spirituelle Modernisierung der späten Edo-Zeit.

Zur Glaubenspraxis gehört die allmorgendliche Verinnerlichung der Sonne und die spirituelle Vereinigung mit dieser. Angeblich hatte Kurozumi Munetada bereits am 22.12.1814, dem 11. Tag des 11. Monats nach dem Mondkalender, zwei Jahre nach dem Tod seiner Eltern, eine göttliche Vereinigung mit Amaterasu, und dieses Erlebnis wurde zum Schlüsselkult. Der Glaube etablierte sich aber erst 1846, als die Glaubensgrundsätze formal festgelegt wurden und der Glaube als Shinto-Sekte offiziell registriert wurde. Nach seinem Tod waren es vor allem seine Schüler Ishio Kansuke, Kawakami Tadaaki, Tokio Munemichi, Akagi Tadaharu, Hoshijima Ryohei und Morishita Keitan, welche die Religion weiter verbreiteten. Während der Meiji-Reformen wurde diese heterodoxe Richtung kurzzeitig verfolgt, weil sie nicht dem Staats-Shintoismus entsprach, doch 1872 erfolgte eine Beruhigung der Situation und die Anerkennung als religiöse Bruderschaft (Kurozumi Kosha) durch die Regierung. 1876 löste sich der Glaube vom offiziellen Shintoismus und wurde zur neuen Religion (Shinto Kurozumi-ha). Der Hauptschrein des Glaubens steht in Oumoto in der Stadt Okayama, 1885 erbaut. 1974 baute die Sekte in Okayama einen großen Shintozan und verlegte ihren Hauptsitz dorthin.

Dieser Schrein in Kyoto entstand früher, nämlich 1862, eine Gründung von Akagi Tadaharu (1816-1865), der schon seit 1845 die neue Religion von Kurozumi Munetada studierte und 1856 den Munetada Daimyo-jin erworben hatte. Er war besonders aktiv an der Verbreitung des neuen Glaubens in Kyoto beteiligt. Er schaffte es sogar, den kaiserlichen Regenten Kujou Naotada zu bekehren. Doch Akagi Tadaharu ging weiter als der Sektengründer, und ihm schwebte die Realisierung einer gesellschaftlichen Utopie vor, bei der alle Menschen gleich seien, nur der Kaiser über ihnen stünde. Seine Umtriebe wurden von der Sektenführung zunehmend als heterodox empfunden, und schließlich wurde Akagi Tadaharu ausgeschlossen.

Ihren Höhepunkt hatte die Sekte in den 1880er Jahren; sie hatte ca. 6-700000 Mitglieder. Die Sekte hatte Ende der 1970er Jahre rund 200000 Mitglieder; die Mitgliederzahlen sinken. Der erste offizielle Oberpriester (Kanchou) der Sekte wurde Kurozumi Muneatsu (1848-1889), ein Enkel des Gründers. Der 5. Kanchou war Kurozumi Munekazu (1905-1973), und unter ihm änderte sich die Bezeichnung für den Oberboss von "Kanchou" auf "Kyou-shu". Das gegenwärtige Oberhaupt (Kyou-shu) ist der 6. Oberpriester der Religion und heißt Kurozumi Muneharu (1937-). Schreinfeste finden am 25. April und am 17. Oktober statt.


Rundgang und Beschreibung
Der Zugang zum Schrein erfolgt von Osten; auf den anderen Seiten ist dichter und hoher Baumbestand. Wer vom Shinnyodo kommt, geht über eine langgezogene Treppe geringer Steigung zur Hügelkuppe hinauf, unten steht das erste Torii (Ichi-no-torii) mit zwei Steinlaternen, oben das zweite Torii (Ni-no-torii, erst als Kashima-Torii gebaut, 1922 als Ise-Torii wiedererrichtet, 1982 in der heutigen Form). Die Treppe wird an ihrem unteren Anfang flankiert von zwei lustigen Komainu aus brauner Bizen-Keramik, die im Handstand stehen (Bizen-yaki sakadachi shita komainu). Nach einer Querstraße führt eine kurze, breite Treppe zur Hauptebene. Eine riesige Halle mit Irimoya-Dach steht quergelagert vor dem inneren Bezirk. Das ist der 1937 errichtete Haiden. Zwei überdachte Gänge führen parallel in den umzäunten Bereich hinein und sind untereinander querverbunden. Zwei innere Heiligtümer (Honden) stehen parallel nebeneinander innerhalb der rechteckigen Einfriedung; nur der rechte, nördliche Schrein besitzt auf dem Dach horizontale Stäbe, ebenso der vorgelagerte Zwischenbau. Der Hauptschrein wurde 1912 renoviert. Weitere Nebenschreine stehen außerhalb der inneren Einfriedung, darunter der Tadaharu-sha für den Geist des Gründers dieses Schreines in Kyoto, Akagi Tadaharu, weiterhin der Hakusan-sha und der Kami-ido.


 


Literatur, Links und Quellen
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@35.0228754,135.7854272,19.75z - https://www.google.de/maps/@35.023009,135.7854938,64m/data=!3m1!1e3
Eintrag auf Kyotofukoh:
https://kyotofukoh.jp/report333.html
Encyclopedia Britannica.
https://www.britannica.com/topic/Kurozumi-kyo#ref113203 - https://www.britannica.com/topic/Kurozumi-Munetada
Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurozumiky%C5%8D - https://en.wikipedia.org/wiki/Kurozumiky%C5%8D
Kyososama no Goitsuwa - The Living Way, stories of Kurozumi Munetada, a Shinto Founder, narrated by Tadaaki Kurozumi ans Isshi Kohmoto, Altamira Press, Rowman & Littlefield Publishers, Lanham, 2000.
Encyclopedia of Shinto:
http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=484 - http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=394
Helen Hardacre: Kurozumikyo and the New Religions of Japan, Princeton, 1986.
Tadaaki Kurozumi, Willis Stoesz: Kurozumi Munetada - Founder of Kurozumikyo, Lanham, 1994.


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