Bernhard
Peter
Shinto-Schreine:
Kyoto, Jishu jinja
Der Jishu jinja ist ein Schrein tief hinten auf dem Gelände des Kiyomizudera, den man am östlichen Ende der Haupthalle über einen Schwenk nach Norden und eine Treppenanlage erreicht (Adresse: 1-317 Kiyomizu, Higashiyama-ku, Kyoto). Es ist in Japan nichts Außergewöhnliches, Shinto-Schreine auf dem Gelände buddhistischer Tempelanlagen zu finden, weil beide Religionen nicht in Widerspruch zueinander stehen, sondern sich ergänzen. Erst seit den Meiji-Reformen sind Tempel und Schrein getrennte Institutionen.
Weil dieser Schrein für Liebesangelegenheiten zuständig ist, zählt er zu den beliebtesten und meistbesuchten Schreinen der Stadt, entsprechend groß ist der Andrang auf dem kleinen Gelände. Dazu kommt, daß der Kiyomizudera sowieso eines der touristischen Lieblingsziele aller Pauschalreiseveranstalter und Bustouren ist, so daß in summa hier ein echtes Sardinenbüchsengefühl aufkommt: Nichts für Individualisten, welche die Atmosphäre eines Ortes suchen und genießen wollen, am besten mit ein bißchen Platz zum ungestörten Gucken: Nichts davon ist hier möglich, das Wort "Gedränge" ist eine Untertreibung. Meine Empfehlung: Nur unter der Woche, gleich morgens um 9:00 Uhr, wenn er öffnet, und bei schlechtem Wetter aufsuchen. Dennoch ist es ein interessanter Schrein mit schönen Details, und hier kann man schön beobachten, wie die Besucher Fragen des Zueinanderfindens auf japanische Art lösen.
Die Erreichbarkeit ist die gleiche wie beim Kiyomizudera, am besten ab Bahnhof mit dem Bus Nr. 206 oder mit dem Raku-Bus 100 bis zur Haltestelle Gojo-zaka oder Kiyomizu-michi, desgleichen mit dem Bus Nr. 207. Mit der Keihan Line kommt man bis zum Bahnhof Kiyomizu Gojo, von dort ist es etwas weiter zu laufen. Wer nur den Schrein besuchen möchte, nimmt den "Ausgang" des Kiyomizudera, also den Weg links, wo die Besucher herunterkommen, dann muß man auch keinen Eintritt bezahlen, der nur für den Tempel fällig ist. Der Schrein ist frei zugänglich und, wie eingangs geschrieben, institutionell unabhängig. In den Kiyomizudera kommt man natürlich so nicht herein.
Von allen für Liebesdinge zuständigen Schreinen in Kyoto ist der Jishu jinja der älteste. Der reich verzierte innere Schrein ist dem Gott Okuninushi-no-mikoto gewidmet. Er ist der Shusaijin, der Hauptgott des Schreins, und für alle Wünsche in Liebesdingen zuständig. Aber im Grunde sind hier drei Generationen von Göttern präsent, denn Okuninushi ist der Sohn von Susano no Mikoto und Kushinadahime no Mikoto, die wiederum die Tochter von Ashinazuchi no Mikoto und Tenazuchi no Mikoto ist. Gerade auch wegen dieser generationenübergreifenden Götterfolge ist der Schrein nicht nur ein Wunschzentrum in Sachen Verlieben und Heirat, sondern auch für Schwangerschaft und Geburt.
Die Schreingebäude wurden in ihrer heutigen Form erst 1633 errichtet, als Shogun Tokugawa lemitsu, der dritte Shogun der Edo-Zeit, die Anlage wiederaufbaute. Zwei Stile sind hier zu einem verschmolzen, denn das hochgestellte Gebäude hat Elemente des Irimoya-zukuri und des Nagare-zukuri kombiniert. Der in bunten Farben gehaltene innere Schrein (Honden), das hölzerne Holztor (Sou-mon) am oberen Ende der Treppe und die Gebetshalle (Haiden) gehören zum Weltkulturerbe und sind als wichtige Kulturschätze Japans klassifiziert. Die Decke des Honden ist mit einem Ganryu-Drachen aus der Hand des Malers Kano Motonobu verziert, welcher "Happo-nirami-no-ryu" genannt wird, "der in acht Richtungen schauende Drache", weil scheinbar überall den Betrachter direkt anschaut.
Vor dem inneren Schrein gibt es zwei kniehohe graue Steine, die in ca. 20 Schritt Abstand zueinander stehen, der eine oben flach, der andere spitz. Sie sind mit einem gedrehten Seil umgürtet, von dem ein Schild und goldgelbe Shimenawa herabhängen. Diese Steine werden Koi-uranai-no-ishi genannt, Liebes-Schicksals-Vorhersage-Steine. Wer es schafft, mit geschlossenen Augen von einem zum anderen zu gehen und das Gegenstück zu treffen, dem erfüllt der Gott des Schreines den Liebeswunsch. Wer sich helfen lassen muß, wird auch in Liebesdingen Hilfe benötigen. Die Realität ist wohl eher, daß es bis dahin 20 Zusammenstöße mit anderen Personen gegeben hat oder man fünf Selfiesticks ins Gesicht bekommen hat, denn die Steine stehen genau dort, wo großes Gedränge herrscht. Das ist vielleicht aber auch die eigentliche Botschaft: Daß man sich in Liebesdingen auch mal mutig ins Ungewisse stürzt, und trotz der Hindernisse unbeirrt seinen Weg sucht - nicht das vordergründige "Liebe ist blind". Die Steine selbst sind uralte Kultgegenstände aus prähistorischer Zeit, die ursprünglich die Götter anziehen sollten.
Am Schrein blüht der Verkauf von Omamori, die es für die verschiedensten Zwecke gibt, als Liebestalisman zum Finden eines geeigneten Partners oder als Talisman für eine gute Hochzeit, weiterhin als Talisman zur Beziehungsverbesserung zwischen Freunden, Liebenden oder Ehegatten. Wer sich verlieben möchte, kauft die Sorte "Yorokobi". Derjenige Besucher, der das Aufkeimen einer romantischen Beziehung vertiefen möchte, erwirbt besser die Sorte "Futari-no-ai", die als Paar verkauft wird, rot und blau. Wer aufs Ganze geht und gleich den Seelenverwandten fürs Leben finden und heiraten möchte, ist mit einem "Shiawase" gut beraten, den es in Rot oder in Blau gibt. Aber auch Besucher, die etwas allgemeiner und abseits von Liebesdingen einen Talisman suchen, werden fündig: Der "Koufuku-no-suzu" steigert allgemein das Glück, und der "Fuku-zeni" steigert den geschäftlichen Erfolg. Wer gar krank ist und gesund werden oder allgemein bei guter Gesundheit bleiben möchte, kauft die Talisman-Sorte "Kenkou-mamori". Man sieht, der Schrein deckt eigentlich alle Wünsche ab, und wenn man mit all den Talismanen ausgestattet den Berg verläßt, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Und natürlich gibt es auch Omikuji zu kaufen, was bei Verliebten dazu führt, die persönlichen Losorakel miteinander zu vergleichen und das Zusammenpassen so auf die Probe zu stellen.
Ferner werden am Schrein Ema verkauft, auf denen Okuninushi-no-mikoto mit Sack über der Schulter und ein aufspringender weißer Hase abgebildet sind. Dieser Kami und sein Hase sind auch als Statue aufgestellt. Okuninushi-no-mikoto hatte einmal dem verwundeten Hasen von Inaba geholfen, nachdem dieser bei lebendigem Leib gehäutet worden war und um Hilfe flehte, und seit seiner Heilung steht der Hase an des Gottes Seite. Der Hase half Okuninushi auch, seine Prinzessin zu erobern.
Es gibt auf dem Gelände mehrere Subschreine, darunter auch einer für Nade-daikoku-san. Daikoku ist einer der sieben Glücksgötter. Dieser Schrein hat die Eigenart, daß man, je nachdem, welchen Teil der Statue (elfenbeinfarben, Sack mit Schätzen über der Schulter, erhobener rechter Arm mit einem Schlägel) man berührt, unterschiedliche Wünsche erfüllt bekommen kann. Wer gerade für Prüfungen lernt, berührt seinen Kopf. Wer gerade auf Reisen oder auf Wanderschaft ist, berührt die Füße. Wer gerade schwanger ist, berührt den Unterleib (etwas gewöhnungsbedürftige Idee bei einem eindeutig männlichen Gott). Übrigens können die Kanji für Daikoku auch als Okuni gelesen werden, also kann man gleich beide gemeinsam verehren.
An anderen Subschreinen werden z. B. Okage Myojin (eine Gottheit zum Schutz der Frauen und zum Erfüllen eines bestimmten Wunsches) oder Kurimitsu-inari verehrt; letzterer ist für Erfolg im Familienleben und bei Geschäften zuständig. Der rot gestrichene Kurimitsu-inari-sha befindet sich rechts neben dem Eingang zum Schreingelände und ist üppig mit roten, beschrifteten Papierlaternen ausgestattet.
Haraedo no O-kami ist ein Gott, der für die Reinheit von Körper und Seele zuständig ist. Seine Statue zeigt ihn auf einem doppelten walzenförmigen Kissen kniend. Und dann gibt es noch den Mizukake Jizo: Das sieht aus wie ein leicht veralgter Feldstein, war aber einmal eine Jizo-Figur, eine der kleinen Bodhisattvas, die man üblicherweise mit rotem Lätzchen am Weg stehen sieht. Wenn man es weiß, kann man den Umriß eines Brustbildes auf der Vorderseite des Steines noch erkennen. Mit einer kleinen Schöpfkelle (Hishaku) wird Wasser (Mizu) über diesen Stein gegossen, und schon fallen alle Sorgen von einem ab und das Bewußtsein wird gereinigt. Auch hier wird wieder deutlich, wie weit Shintoismus und Buddhismus sich über Jahrhunderte gegenseitig ergänzt haben, ehe beide Religionen während der Meiji-Zeit voneinander zwangsgetrennt wurden, denn Jizo ist eine eindeutig buddhistische Tradition, das Reinigungsritual eine shintoistische, vereint in einem Schrein auf dem Tempelgelände.
Berühmt ist ferner ein bestimmter Kirschbaum, der Jishu-sakura oder Kuruma-gaeshi-no-sakura genannt wird. Sakura = Kirschbaum, und der lange Name bedeutet "Kirschbaum, der den Wagen zur Rückkehr bringt" (gaeshi = zurück, kuruma = Wagen, Auto), das bezieht sich auf eine Legende um den Kaiser Saga, der im Jahr 811 dreimal genau so handelte und seinen Ochsenkarren jeweils umkehren ließ, weil er so begeistert von der Blütenpracht des Baumes war.
Hauptschrein für den Gott Okuninushi-no-mikoto
Gebetsstelle vor dem Hauptschrein, von Südosten gesehen.
Gebetsstelle vor dem Hauptschrein, von Südwesten gesehen.
Gebetsstelle vor dem Hauptschrein, von Süden gesehen.
Detail des Eingangs. Die Stoffstreifen zum Läuten sind hochgebunden.
Blick auf die Wand aus Schrifttafeln, die den Durchblick zum Schrein selbst verhindert.
Gebet vor dem Haraedo no O-kami, einer der wenigen figürlich dargestellten Götter.
Vergleich von Omikuji, der persönlichen Losorakel: Paßt es zueinander?.
Literatur,
Links und Quellen:
Lokalisierung auf google maps:
https://www.google.de/maps/@34.9952323,135.7850164,21z - https://www.google.de/maps/@34.9951838,135.7850141,60m/data=!3m1!1e3
Homepage des Schreins: http://www.jishujinja.or.jp/ - http://www.jishujinja.or.jp/english/
Jishu-jinja: https://www.japanhoppers.com/de/kansai/kyoto/kanko/1602/
Jishu-jinja: https://en.japantravel.com/kyoto/cupid-of-japan-kyoto-jishu-shrine/14550
Jishu-jinja: https://matcha-jp.com/en/1258
Jishu-jinja: http://www.greenshinto.com/wp/2011/10/01/kyotos-love-connection-jishu-jinja/
Liebesschreine in Kyoto: https://izanau.com/article/love-shrines-kyoto
Jishu-jinja: https://fastjapan.com/en/p115585
auf JPManual: http://jpmanual.com/en/kiyomizudera (unten)
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