Bernhard Peter
Shinto-Schreine: Kyoto, Kawai jinja


Der Kawai jinja ist zwar baulich eine selbständige Einheit, gehört aber zum Komplex des Shimogamo-Schreines und stellt einen Subschrein desselben dar, deutlich abgesetzt von diesem im Süden der Parkanlage gelegen. Der Komplex ist in dem dreieckigen Zwickel zwischen den Flüssen Kamo-gawa und Takano-gawa zu finden, im Süden begrenzt von der Straße Mikage Dori, im Westen von der Straße Shimogamo Hon-dori (die Adresse lautet: 59, Shimogamo Izumigawacho, Sakyo-ku, Kyoto-shi, Kyoto-fu 606-0807). Die Erreichbarkeit ist die gleiche wie beim Shimogamo-Schrein, am besten über die Haltestelle Demachiyanagi der Keihan Line. Etwas länger ist der Fußweg von der Haltestelle Kuramaguchi der U-Bahn, die Kuramaguchi Dori immer nach Osten. Mit dem Bus kommen die Linien 4 und 205 (jeweils Haltestelle Shimogamo jinja-mae), 204 und Raku 102 (Demachiyanagi Station) in Frage.

Die Gebäude bilden eine übersichtliche Einheit; in leicht nach links verschobener Süd-Nord-Richtung reihen sich Tor (Naka-mon, mittleres Tor), offene Aufführungsplattform Maidono, Zeremonienhalle und eigentlicher Schrein hintereinander. Die Zeremonienhalle ist in einen breiten Querriegel mit durchsichtigen Gitterelementen eingebaut, der den Honden von den Besuchern abschirmt. Rings um den zentralen Platz befinden sich Devotionalienverkauf und kleinere Nebenschreine.

Dieser im Wald Tadasu-no-mori gelegene Schrein ist der Göttin Tamayori-hime Mikoto gewidmet, wobei das eine andere ist als die gleichnamige vom Shimogamo-Schrein. Diese hier ist mit Kaiser Jinmu assoziiert. Besagte Göttin dient insbesondere als Kami der Damenwelt, und in dieser Hinsicht ist der Schrein einer der wichtigsten: Wer sich als Frau Schönheit und gutes Aussehen wünscht, ist hier genau an der richtigen Adresse.

Der Verkauf von Kagami-Ema (Votivtäfelchen) in Form eines Handspiegels blüht: kreisrund, mit kleinem Stile und aufgemaltem Gesicht, das von den Käuferinnen nach Belieben zeichnerisch optimiert und mit Makeup versehen werden kann und soll, entsprechend ihrem Wunschaussehen. Auf die Rückseite schreiben die Damen dann ihre ganz speziellen Wünsche, wie sie sich noch perfekter vorstellen und wie sie gerne wären. Vor dem Schrein werden die fertig individualisierten Ema mit den Wunsch-Selbstportraits der Damen in Reih und Glied zur Schau gestellt. Diese Schönheit ist einiges wert, kostet doch ein Täfelchen ca. 6 €. Auch Schönheitswasser steht hier zum Verkauf, genannt "Bijin sui" oder "Karin sui"= "schönmachendes Wasser", hergestellt aus einer chinesischen Quittensorte.

Überhaupt kann man mal spaßeshalber Kyoto aus folgender Sicht betrachten: Wo überall kann ich meine Lebensumstände systematisch erheblich verbessern? Also wo man für ein schöneres Aussehen hingeht, ist jetzt klar. Jetzt muß es auch noch mit der Liebe klappen - da geht man zum Jishu jinja auf dem Gelände des Kiyomizudera, und dann versucht man mit geschlossenen Augen von einem dieser speziellen Steine zum nächsten zu laufen, dann wird der Wunsch garantiert erfüllt werden. Wenn der neuen Liebe alte Beziehungen im Weg stehen, hilft der Yasui Konpiragu jinja einen klaren Schlußstrich unter Vergangenes zu ziehen. Glück im allgemeinen kann man sich in vielen Schreinen holen, aber besonders schön geht das im Kurumazaki jinja: Dort kann man einen entsprechenden Glücksstein mitnehmen und immer bei sich haben. Nun kümmern wir uns um einen guten Job: Für gute Examen und Prüfungsergebnisse geht man zum Kitano Tenman-gu. Ein Besuch im Mikane jinja sorgt dafür, daß auch ordentlich Geld reinkommt. Und beim Ebisu jinja kann man für geschäftlichen Erfolg beten.

Auch wenn der Kawai jinja der Schrein für die Damen ist, einer der berühmtesten Bewohner dieses Schreines war jedoch keine Frau: Im 12. Jh. wurde einem Shimogamo-Priester ein Sohn geboren, der jedoch nicht seinem Vater beruflich nachfolgte, warum auch immer, vielleicht fühlte er sich zu Unrecht übergangen o.ä. Aus ihm wurde vielmehr ein Dichter und einer der bekanntesten Schwarzseher Japans; sein Name war Kamo no Nagaakira oder auch Kamo no Chomei oder auch Chomei Kawai (1153/55-1216). Er schrieb neben Gedichten und Anthologien ein Buch des Titels Hojoki (Hoojooki), in dem er sich ausführlich mit Naturkatastrophen beschäftigte, die die Menschen von Kyoto heimsuchten, Erdbeben, Hungersnöte, Unglücksfälle. In den Mittvierzigern entschied er, sein Leben fortan als buddhistischer Einsiedler zu verbringen, unter dem Namen Ren'in. Erst lebte er im Dorf Ohara im Norden Kyotos am Fuße des Berges Hiei, dann zog er in die Hügel bei Hino im Süden Kyotos und lebte bis zu seinem Tod auf dem Berg Toyoma. Er schrieb über die Freuden und Leiden des einsamen und naturnahen Lebens, aber auch über den Niedergang der Heian-Zeit, die Vergänglichkeit und den Tod, wie eben Weltschmerz und depressive Gedanken entstehen, wenn man in selbstgewählter Einsamkeit lebt und sich am Ende fragt, ob man nicht mit seiner Weltflucht übertrieben hat und ob nicht die Fokussierung auf dieses Leben die echte Erleuchtung gerade verhindert hat. Ein Nachbau seiner Hütte (Hojo no iori, fünfeinhalb Tatami-Matten groß, ca. 3 x 3 m = 1 Hojo), in der er als Einsiedler gelebt hat, ist auf dem Gelände des Kawai-Schreines im östlichen Bereich aufgestellt, umgeben von einem Schilfzaun.

Das Tor zum Schreingelände gibt Zugang von Süden her. Die Zedernrinde des Daches ist malerisch mit Moos bewachsen.

Blick nach Norden: In der Bildmitte die Halle Maidono. Rechts im Bild der Nachbau der Hütte des Poeten-Eremiten.

Blick nach WSW: Maidono, die frei stehende und reihum offene Plattform für Zeremonialtänze. In dem Raum vor dem roten Torii werden Ema verkauft und angemalt.

Am Maidono hängen reihum goldene Laternen. Diese werden Tsuri-doro (Tsuri-dourou) genannt und sind gesponsort.

Blick nach NW: Für eine große Hängelampe werden 500000 Yen (ca. 3770 Euro) fällig, für eine kleine nur 300000 Yen (ca. 2260 Euro).

Vor dem eigentlichen Hauptheiligtum im Norden.

Eingang zum Hauptheiligtum, vorne die Zeremonienhalle. Rechts im Bild sind die Rahmen, in denen man die Ema plaziert.

Linker Teil des eigentlichen Heiligtums. Eine überdachte Abschirmung trennt diesen Bereich vom Publikumsverkehr ab.

Einsteck-Rahmen für die Ema. Die nur teilweise vorgedruckten Ema werden liebevoll individualisiert mit Makeup etc.

Der Kami weiß hoffentlich, was die mehr oder weniger begabten Zeichnerinnen wirklich gemeint haben.

Abgeschirmt vom Publikumsverkehr liegt der eigentliche Schrein (Honden)

Rings um den Honden bedeckt ein Kiesbett den Hof. Ein gedeckter Gang verbindet den Honden mit der Zeremonienhalle davor.

Beiderseits des Eingangs stehen Komainu auf der Veranda des Hauptheiligtums.

Mehrere Nebenschreine sind auf dem Gelände zu finden.


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf google maps: https://www.google.de/maps/@35.0345533,135.7718948,18.64z - https://www.google.de/maps/@35.0347123,135.7718469,62m/data=!3m1!1e3
Ernst Lokowandt: Shinto - Eine Einführung. Publikation der OAG Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Tokyo 2001, 117 S., Verlag Iudicium 2001, ISBN-10: 3891297270, ISBN-13: 978-3891297278
Joseph Cali, John Dougill: Shinto Shrines - a Guide to the Sacred Sites of Japan's Ancient Religion, 328 S., University of Hawaii Press 2012, ISBN-10: 0824837134, ISBN-13: 978-0824837136
Suzanne Sonnier: Shinto, Spirits, and Shrines - Religion in Japan, Lucent Books 2007, ASIN: B00FAWMA88
Kenji Kato: Shinto Shrine, Bilingual Guide to Japan, Nippan Verlag 2017, 128 S., ISBN-10: 4093884781, ISBN-13: 978-4093884785
Homepage des Schreins:
http://www.shimogamo-jinja.or.jp/kawai.html - http://www.shimogamo-jinja.or.jp/english.html
Kawai-Schrein:
http://www.greenshinto.com/wp/2012/10/26/kawai-jinja-at-shimogamo/
Kawai-Schrein:
http://www.japanvisitor.com/japan-temples-shrines/kawai
Kawai-Schrein:
https://micro.rohm.com/en/rohm-saijiki/shimogamo/5_closeup/closeup_05.html
Kamo no Chomei:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kamo_no_Ch%C5%8Dmei - https://en.wikipedia.org/wiki/Kamo_no_Ch%C5%8Dmei
auf JPManual:
http://jpmanual.com/en/shimogamo-jinja


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