Bernhard
Peter
Der
Shintoismus - Weg der Götter
Shintoismus
und Buddhismus
Das Spannende an Japan ist,
daß Shintoismus und Buddhismus sich gegenseitig ergänzen,
obwohl es grundverschiedene Religionen sind. Aber jede stillt ein
eigenes und anderes Bedürfnis, so daß es keinerlei Widerspruch
ist, zwei Religionen auszuüben, so daß man ohne mathematisch
rot zu werden behaupten kann, daß Japans Bevölkerung zu rund 84
% dem älteren Shintoismus anhängen und zu rund 73 % dem im 6.
Jh. eingeführten Buddhismus, wobei der erstere ein rein
japanisches Phänomen ist und der letztere im gesamten
asiatischen Raum vorkommt. Das Christentum ist mit 2,5 % Anteil
gering vertreten; und rund 8 % der Bevölkerung sind Anhänger
"anderer" Religionen, darunter ca. 300 in den letzten
150 Jahren entstandene "neue Religionen" (Shinshukyo)
bzw. Sekten, die weder eindeutig shintoistisch noch eindeutig
buddhistisch sind und deren größte Gruppe die 1930 in Japan
gegründete "Werteschaffende Gesellschaft" (Soka
Gakkai) ist. Oder in absoluten Zahlen: Im Jahre 2017 hatte Japan
126 045 000 Einwohner, davon 106 Millionen Shintoisten und 92
Millionen Buddhisten. Japaner sehen Religionszugehörigkeit
äußerst pragmatisch: Drei Viertel aller Japaner fühlen sich
beiden Religionen zugehörig. Bei Fragen des Jenseits oder der
allgemeinen Lebensreflexion ist der buddhistische Tempel
zuständig, auch bei Beerdigungen. Bei freudigen Anlässen wie z.
B. einer Hochzeit wendet man sich an den Shinto-Priester
(manchmal wird auch eine christliche Hochzeit inszeniert, auch
wenn es nur die Kulisse einer Kirche ist und nicht wirklich ein
geweihtes christliches Gotteshaus), und auch für die kleinen
Wünsche nach Glück und die den Alltag betreffenden Bitten ist
der Shinto-Schrein zuständig, wenn man den Segen der Kami
braucht. Auch Neujahrsriten fallen in den Bereich des
Shintoismus. Das ist kein Widerspruch, sondern eine Frage der
Bedürfnisse und der Zuständigkeit, und die Basis dieser
Aufgabenteilung ist eine grundlegende Toleranz, die im Vergleich
kein besonderes Wesensmerkmal monotheistischer Religionen ist -
aber bei Buddhismus und Shintoismus geht das völlig problemlos.
Die jeweiligen Priester pflegen die Einzeltradition (wobei die
sich natürlich im Lauf der Geschichte vielfältig beeinflußt
haben), und die Gläubigen leben in ihrem
persönlich-individuellen Synkretismus. Historisch hatten viele
buddhistischen Tempel ihre eigenen, ihnen zugehörigen
Schutz-Schreine in der Nachbarschaft. Das Zusammenspiel beider
Religionen im Alltag hat sogar einen Namen:
"Shin-Butsu-Shugou". Dieser pluralistisch-tolerante
Umgang mit Religion prägt das ganze Land. Japaner sind da
äußerst pragmatisch: Religionen werden dafür genommen, wofür
man sie gerade braucht, sozusagen flexibel à la carte. Daran ist
sehr positiv, daß sich die Japaner auch nicht für irgendeine
Religion oder ihre Dogmen vollständig vereinnahmen und
instrumentalisieren lassen.
Reinigung
und Erneuerung
Es gibt im Shintoismus keine
Offenbarung und weder ein Anfangsdatum noch ein Anfangsjahr,
keine faßbare Gründung. Shintoismus ist eine gewachsene Praxis,
in der eine Vielfalt spiritueller Praktiken sich im
gesellschaftlichen Konsens verbunden und langsam zu einer
organisierten Religion entwickelt haben. Dogmen oder eine
eigentliche Theologie im Sinne einer möglichen Orthodoxie gibt
es im Shintoismus nicht. Es gibt auch kein grundlegendes
religiöses Werk, keine einzelne heilige Schrift, kein zu
befolgendes Regelwerk, noch nicht einmal einen definierten
Heilsweg oder ein Heilsversprechen. Man macht es, weil man sich
gut dabei fühlt, weil man durch göttlichen Rückhalt subjektiv
Stärke gewinnt und weil es die Gemeinschaft fördert. Die
Schriftwerke, aus denen man viel über die Götter erfährt, sind
die historischen Geschichtswerke "Kojiki" und das
"Nihon-Shoki".
Das einzige die Anhänger verbindende Grundprinzip ist das der Reinigung und Erneuerung: Reinigung bedeutet rituelle Reinheit des Körpers, der Kleidung, der Wohnstatt und der Seele (Makoto no kororo = reines Herz). Auch die Topographie einer Schreinanlage wird bestimmt vom Reinheitsgebot, denn bei keinem Schrein darf das Wasser fehlen, sei es in Form von Wasserbecken, sei es in Form von Flüssen oder Bächen, an denen die Schreine angelegt wurden, oder von rituellem Reinigen der Besucher durch Überschreiten des Wassers auf Brücken. Wasser ist lebensspendendes Element und verheerende Naturgewalt zugleich, Glück und Unglück, deshalb ist in den Schreinen das Wasser zugleich reinigendes Element als auch Barriere gegen Unheil. Auch die Tätigkeiten der Priester sind im wesentlichen Reinigungsrituale.
Deshalb gibt es auch die Praxis, einige Shinto-Schreine alle 20 oder 21 Jahre abzureißen und wieder neu zu erbauen. Aus Kostengründen wird das nur bei wenigen Schreinen heute noch aufrechterhalten. Seit seiner Gründung vor ca. 1300 Jahren ist aber z. B. der Schrein von Ise alle 20 Jahre abgerissen und neugebaut worden, zuletzt 2013, ein Symbol der Vergänglichkeit des Daseins, eine rituelle Erneuerung der Andachtsstätte, die so stets den Menschen Mut gibt, immer wieder innezuhalten, sich zu reinigen und selbst wieder neu und frischen Mutes anzufangen: was immer sich in der Zwischenzeit ereignet hat, was auch immer man für Unreinheiten angesammelt hat, man kann sich davon befreien und dann im Einklang mit den Göttern und der Natur wieder neu beginnen.
Kyoto, Shinto-Schrein auf dem Gelände des buddhistischen Tofuku-ji.
Unterscheide
buddhistische und shintoistische Stätten
Weil Buddhismus und
Shintoismus eng miteinander verwoben sind, vorab ein paar
grundlegende Merkmale, wie man buddhistische und shintoistische
Stätten unterscheidet: Zunächst am Namen: Shinto-Stätten enden
auf -jinja, -yashiro, -miya, -sha oder -guu. Buddhistische
Stätten enden auf -dera, -tera, -jiin oder -ji. Der Eingang
einer Shinto-Stätte besitzt ein oder mehrere Torii, der zu einer
buddhistischen Anlage meist Türwächter oder Himmelskönige.
Eine einzelne, große, mit einem horizontalen Holzbalken
anzuschlagende Glocke in einem eigens dafür gebauten Gebäude
ist typisch für buddhistische Stätten, für shintoistische
dagegen eine oder mehrere Schellen (Metallhohlkugel mit Schlitz
und Kugel im Innern) mit Seilen und Stoffstreifen vor einer
Gebäudefront. Räucherstäbchen, Verkauf derselben und Behälter
zum Aufstellen sind typisch für die buddhistischen Stätten,
nicht für Schreine. Und die Kleidung der Bewohner ist auch ein
typisches Unterscheidungsmerkmal: Mönche sind meist orange oder
grau gekleidet, Shinto-Priester (Kannushi), die mit Familie auf
dem Schreingelände leben, tragen dagegen im Dienst weite, oft
weiße Roben mit hohen Kopfbedeckungen (Kammuri oder Eboshi).
Ebenso typisch sind Lackschuhe aus Paulonienholz (Asagutsu).
Diese Kleidung hat ihr Vorbild in der aristokratischen Mode der
Heian-Zeit.
Staats-Shintoismus
Es gab freilich im Laufe der
Geschichte Japans Zeiten, in denen mal das Pendel in die eine
oder andere Richtung ausschlug. In der Tokugawa-Zeit wurde der
Buddhismus favorisiert. Als dann während der Meiji-Zeit die
Macht des Kaisertums wiederhergestellt wurde, wurde der
Shintoismus stark gefördert. Vor allem stand das shintoistische
Gedankengefüge in starkem Zusammenhang mit der mythologischen
Legitimation des Kaiserhauses. Vor dem Hintergrund der Bedrohung
durch ausländische Interessen (Zwangsöffnung des bisher
abgeschotteten Landes) und der Notwendigkeit der Erstarkung der
nationalen Identität, um nicht als amerikanische Kolonie zu
enden, betonte man die einheimische, landeseinzigartige und im
Land entstandene Religion des Shintoismus entgegen dem einst aus
anderen Ländern importierten, "landesfremden" und in
vielen anderen Ländern praktizierten Buddhismus. Die Besinnung
auf das Eigene, das Typische war die Antwort auf die politischen
Herausforderungen jener Zeit; der Staats-Shintoismus entstand.
Der Stärkung der nationalen Identität entsprach auch die
Besinnung auf wichtige Persönlichkeiten der japanischen
Geschichte, auch verstorbenen Wegbereitern der Meiji-Reformen,
die vergöttlicht und als Kami verehrt wurden. Per Gesetz wurden
buddhistische Tempel und Shinto-Schreine, auch diejenigen, welche
historisch zusammengehörten (Schutzschreine von Tempeln),
voneinander getrennt (Shinbutsu bunri) und sind seitdem
unterschiedliche Institutionen. Pointiert kann man sagen, daß
der Shintoismus erst durch diese erzwungene Trennung zur
eigenständigen Religion wurde. Im Zuge dieser politisch
motivierten Erstarkung des Shintoismus wurden viele Schreine
wiederhergestellt und neu gebaut, und es wurde ein völlig neues,
bis 1946 gültiges System der Klassifizierung von Schreinen
erdacht. Nach dieser Vereinnahmung des Shintoismus durch den
Staat als nationaler Kult wurde nach 1946 die
Glaubensgemeinschaft strukturell und wirtschaftlich neu
organisiert, ein Verdienst des Dachverbandes Jinja Honchou.
Shintoismus
- eine Naturreligion
Der Shintoismus, der Weg der
Götter (Kami), ist primär eine Naturreligion und eine
Volksreligion. Der Name setzt sich zusammen aus Shin = Gottheit
und To (Tou) = Weg. Grundlegend ist der Glaube, daß es Kami
(Götter) gibt, deren Anzahl unbegrenzt ist (die Mythen nennen
häufig yaoyorozu no kami, also acht Millionen Götter, was aber
einfach nur "unvorstellbar viele" bedeutet), und daß
diese Kami unser Leben beeinflussen können, indem wir Vorteile
oder Nachteile erfahren, Glück oder Unglück. Da jeder
Verstorbene prinzipiell zum Kami werden kann, müßte theoretisch
die Anzahl der Kami sogar täglich steigen. Kami leben an
besonderen Orten, meist an herausragend schönen oder
auffälligen Stellen in der Natur (markante Felsen, Berggipfel,
große Bäume, Quellen) oder an eigens für sie eingerichteten
Orten. Kami können als Mensch, Tier, Gegenstand, Pflanze oder
auch als Fabelwesen auftreten. Einige Kami können wie Menschen
aussehen, denken und fühlen, und andere Kami können im Wind, im
Meer, in Bergen, in Blitz und Donner oder im Regen präsent sein.
Unsere Umwelt, unsere Natur und Naturereignisse sind belebt und
beseelt; göttliche Geister sind in allem präsent, was uns in
der Natur begegnet und beeindruckt, und genau deswegen bringen
wir dieser Natur Respekt und Verehrung entgegen. Kami sind
allgegenwärtig, im Brunnen genauso wie im Küchenherd. Und wegen
dieser Allgegenwart größerer Kräfte und Energien bestimmt der
Shintoismus das gesamte tägliche Leben, von der Nahrung über
die Wohnung bis zu Kleidung und Handlungen. Shintoismus ist auch
eng mit landwirtschaftlichen Zyklen, insbesondere dem Reisanbau
verbunden, und die Priester sind für die Riten im Agrarzyklus
zuständig, damit das jeweils richtige Maß an Wasser im Sommer
zur Verfügung steht und damit kein Taifun im Herbst die Ernte
zerstört, auch dafür sind Regen-Kami und Wind-Kami zuständig,
zu denen man Kommunikation aufbaut.
Shintoismus
- eine Volksreligion
Der Shintoismus ist die
älteste Religion Japans, bekam aber den Namen erst im 6. Jh. n.
Chr., als die Notwendigkeit auftrat, eine Bezeichnung im
Gegensatz zum Buddhismus zu finden, um eben einen
unterscheidenden Namen zu haben. Die Religion entstand aus dem
Volke heraus und entwickelte sich als Konsens spiritueller
Bräuche und als Mittel, um auf religiöse Weise das Verhalten
der Menschen positiv zu beeinflussen. Die grundlegende soziale
Einheit war früher die Familie, der Clan (Uji), insbesondere auf
dem Land. Die Abstammungsgemeinschaft bildete die Gemeinde (Ujiko
= Kinder des Uji). Jeder Clan besaß eine Schutzgottheit, das war
der Clan-Gott, Uji + Kami -> Ujigami. Dazu hatte das Dorf eine
Dorfgottheit, und irgendwann flossen beide zusammen. Im Dorf
bildete der Schrein das soziale Zentrum, und die
landwirtschaftlichen Zyklen gingen einher mit dem Rhythmus im
Schrein. Die Rolle des Wassers im Shintoismus, die Lage der
Schreine am Wasser, das hat auch einen Bezug zum wasserintensiven
Reisanbau, zur Bedeutung von weder zuwenig noch zuviel Wasser
für eine gute Reisernte, und auch für die Kontrolle und
Zuteilung von fließendem Süßwasser. Die Prinzipien des
Shintoismus sind keine abstrakten theologischen Konstrukte,
sondern volkstümlich und auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft
und des Lebens der Mitglieder ausgerichtet. Das macht ihn so
einfach und so erfolgreich, so pragmatisch-japanisch, und so
integrativ in Bezug auf andere, komplexere Religionen.
Schreine des Shintoismus
liegen oft in großartiger Naturkulisse und besitzen meist uralte
heilige Bäume:
Abb. links: Kyoto, am Hirano-Schrein. Abb. rechts: Arashiyama,
kleiner Schrein am See beim Daikaku-ji.
Die
vier Arten des Shintoismus
Shintoismus existiert in Japan
in vier verschiedenen Erscheinungsformen mit fließenden
Übergängen: 1.) Jinguu Shinto = Schrein-Shintoismus, 2.)
Minkan-Shinto = Folklore-Shintoismus, 3.) Koushito-Shinto =
Kaiserhaus-Shintoismus und 4.) Kyouha-Shinto =
Sekten-Shintoismus. Der Tourist begegnet am vordergründigsten
dem Schrein-Shintoismus, bei dem der Ritus, das angemessene
Verhalten und die korrekte Durchführung von Reinigungsritualen
im Vordergrund stehen. Über 80000 Schreine bilden die Basis für
diese wichtigste und lebendigste Erscheinungsform der Religion.
Die Organisation Jinja Honchou mit Sitz in Ise bildet einen
Dachverband, dem die meisten Schreine angehören. Dieser
Dachverband besitzt aber keinerlei inhaltliche Deutungshoheit
oder Weisungsbefugnis. Der Folklore-Shintoismus faßt rituelle
Handlungen zusammen, die nicht an einen Schrein gebunden sind und
auch nicht von deren Priestern durchgeführt werden, sondern vom
einfachen Volk zu Hause oder in freier Natur (Felsen, Bäume)
oder an nicht vom Schrein-Shintoismus anerkannten Kultstätten.
Bei diesem Folklore-Shintoismus gibt es viele Praktiken, die auf
buddhistischen, taoistischen oder lokalen spirituellen
Erscheinungsformen beruhen. Hier fließen auch magische Praktiken
und der Glaube an okkulte Kräfte ein, und der Grenze zwischen
Glaube und Aberglaube ist in diesem Bereich fließend. Der
Kaiserhaus-Shintoismus ist der Einsatz von Religion als Mittel
der Legitimation und Stabilisierung einer Herrscherdynastie und
beruht auf der mythologischen Abstammung des Kaiserhauses von der
Sonnengöttin Amaterasu Omikami. Deshalb unterhält das
Kaiserhaus auch besondere Beziehungen zu all den Schreinen, die
die entsprechenden göttlichen Vorfahren verehren, allen voran
der Ise jingu. Der Sekten-Shintoismus entstand im 19. Jh.
Charismatische religiöse Anführer gründeten zwischen 1876 und
1900 insgesamt 13 Sekten, die von der Meiji-Regierung als Zweige
des Shintoismus offizielle Anerkennung erfuhren. Tatsächlich
haben sich diese Gruppierungen teilweise sehr weit vom
Shintoismus entfernt oder haben gar nichts mit ihm mehr
gemeinsam. Sie werden lediglich dem Shintoismus zugerechnet, weil
es in der Meiji-Zeit nur drei erlaubte Kulte gab, den
buddhistischen, den shintoistischen und den christlichen Kult.
Neue Sekten wurden der Einfachheit wegen als Shinto-Sekte
klassifiziert, selbst wenn darin keine Shinto-Gottheiten mehr
angebetet wurden wie in der von Kawate Bunjiro gegründeten Sekte
Konkokyo (Konkoukyou). Da der Folklore-Shintoismus rückläufig
ist, der Kaiserhaus-Shintoismus im wesentlichen auf die Schreine
des Kaiserpalastes limitiert ist und die Sekten teils künstlich
dem Shintoismus zugeordnet wurden, ist daher, wenn von "dem
Shintoismus" ohne weitere Angaben die Rede ist, der
Schrein-Shintoismus gemeint.
Schreine
als räumliche Basis des Shintoismus
Ein Schrein (Jinja) ist ein
Bauwerk, das für die Präsenz von Kami vorbereitet ist und wo
Kami durch Opfergaben angelockt und durch Priester und Gläubige
verehrt werden. Auch wenn Kami prinzipiell allgegenwärtig sein
können, und sie auch prinzipiell überall, z. B. im eigenen
Privathaus oder an einer Quelle im Wald, verehrt werden können,
bilden doch die Schreine die räumliche Basis des Shintoismus.
Hier wird die Nähe und Anwesenheit der Kami vorausgesetzt, hier
wohnen die Götter, hier bindet man sie mit Zuwendung, hier betet
und opfert man, und man erhofft hier auch die Gegenleistung der
Kami in Form von Vorteilen. Wer im Allerheiligsten eines solchen
Schreines auf die leibhaftige Gegenwart eines Kami von Angesicht
zu Angesicht hofft, wird enttäuscht werden: Da ein Kami eher
spirituell anwesend ist, hängt da häufig einfach nur ein
Spiegel. Shintoismus ist eine im Volk sehr lebendig gepflegte
Religion, auch wenn es im Vergleich zum Buddhismus weniger
Priester pro Kultstätte gibt. Im ganzen Land gibt es ca. 89000
öffentliche Shinto-Kultstätten. An jeder einzelnen bilden die
im jahrzeitlichen Zyklus durchgeführten Zeremonien zugleich ein
Bindeglied für die Gemeinschaft. So sind die Schreine zugleich
Treffpunkt der Gemeinschaft zur Äußerung ihrer Bedürfnisse und
ihrer Wünsche an das Schicksal und zur Pflege bestimmter Riten
und aufgrund der oft wunderschönen Lage in der Natur zugleich
Ort der Entspannung und Ruhe und des friedvollen Naturgenusses
und bilden so einen wichtigen Gegenpol zum Alltag.
Kyoto, shintoistischer Inari-Schrein auf dem Gelände des buddhistischen Sanjusangendo mit Büscheln von Sakaki-Zweigen in den Vasen.
Die
Vielfalt der Kami und ihres Goshintoku
Die vielen dezentralen Orte in
der Natur, die Bäume, Felsen, Quellen, Steine etc. mit ihren oft
undefinierten Kami sind das eine Ende der Skala, das andere sind
die Schreine, in denen wichtige und namentlich definierte,
mythologische oder historische, später deifizierte Personen als
Kami verehrt werden. Dazu zählen Personen aus der
Gründungsmythologie Japans und des Kaiserhauses wie
Susanoo-no-mikoto, Kushiinadahime-no-mikoto,
Yahashira-no-mikogami, Kaiser Ojin, auch unter dem Namen
Homudawake-no-mikoto bekannt, Kaiser Nintoku, Kaiser Chuai, auch
unter dem Namen Tarashinakatuhiko-no-mikoto bekannt, Kaiserin
Jingu, auch unter dem Namen Okinagatarashi-hime-no-mikoto
bekannt. Weiterhin zählen wichtige Personen der japanischen
Geschichte wie die drei Reichseiniger Oda Nobunaga, Toyotomi
Hideyoshi und Tokugawa Ieyasu. Oder es sind tragische Schicksale
wie das von Uji no Waki-iratsuko (Ujigami jinja), die Menschen
postum zum Kami werden lassen. Dazu zählen ferner
Persönlichkeiten, denen Unrecht geschah und die zur
Besänftigung ihrer ruhelosen Geister Schreine gesetzt bekamen,
wie z. B. Fujiwara Tadafumi (Uji, Matafuri jinja) oder Sugawara
no Michizane (Tenjin, Kitano Tenmangu in Kyoto). Und es gibt
Schreine der neueren Zeit, in denen politisch oder militärisch
bedeutende Personen als Kami verehrt werden wie in den Gokoku
Jinja verschiedener Städte.
Die Vielfalt der Kami ist also groß und reicht vom namenlosen Naturkami über Reisgottheiten bis zu Menschen, die im Einsatz für die Nation einen gewaltsamen Tod gefunden haben. Jeder dieser Kami hat besondere Fähigkeiten, die sich die Betenden zunutze machen möchten. Der eine Kami gibt Schutz und Sicherheit im Straßenverkehr, der andere gibt Gesundheit, der nächste hilft beim Bestehen einer Prüfung und wiederum ein anderer hilft in Liebesdingen: Diese jeweils besonderen Fähigkeiten eines Kami nennt man Goshintoku. Ein paar Beispiele: Der Gott Okuninushi no O-kami hilft im Izumo O-yashiro beim Finden einer Liebes- und Heiratsbeziehung. Schutz des Landes und besonders der Samurai gibt es bei den Hachiman-Schreinen, wo Kaiser Ojin und seine Frau Jingu eingeschreint sind. Geschäftlichen und landwirtschaftlichen Erfolg verspricht das Gebet zur Reisgottheit Inari in den Inari-Schreinen. Für Wohlstand allgemein, Gesundheit und Segnungen im nächsten Leben betet man zu den drei Kami der Kumano-Schreine. Gegen Epidemien unternimmt man etwas durch Pflege der Beziehungen zu Susanoo no mikoto am Yasaka-Schrein in Kyoto. Wer Sicherheit bei einer Seereise braucht, wendet sich an die Gottheiten des Sumiyoshi Taisha in Osaka. All diese Fähigkeiten sind das jeweilige Goshintoku des Kami.
Literatur,
Links und Quellen:
Religionen in Japan: http://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Index - https://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Grundbegriffe
Shinto-Schreine: http://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Bauten/Schreine
Ernst Lokowandt: Shinto - Eine Einführung. Publikation der OAG
Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens,
Tokyo 2001, 117 S., Verlag Iudicium 2001, ISBN-10: 3891297270,
ISBN-13: 978-3891297278
Joseph Cali, John Dougill: Shinto Shrines - a Guide to the Sacred
Sites of Japan's Ancient Religion, 328 S., University of Hawaii
Press 2012, ISBN-10: 0824837134, ISBN-13: 978-0824837136
Suzanne Sonnier: Shinto, Spirits, and Shrines - Religion in
Japan, Lucent Books 2007, ASIN: B00FAWMA88
Kenji Kato: Shinto Shrine, Bilingual Guide to Japan, Nippan
Verlag 2017, 128 S., ISBN-10: 4093884781, ISBN-13: 978-4093884785
Shintoismus: www.planet-wissen.de/kultur/asien/japanische_kultur/pwiedershintoismuswegdergoetter100.html
Vereinigung der Shinto-Schreine: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/index.html - Schreine: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/shrines/index.html - Shintoismus: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/shinto/index.html - Naturverehrung: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/spiritual/index.html - Ahnenverehrung: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/spiritual/index2.html - Feste: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/festival/index.html - Durchführen von Gebeten: http://www.jinjahoncho.or.jp/en/shrines/index3.html
Florian Coulmas: Die Kultur Japans - Tradition und Moderne, 334
S., Verlag C. H. Beck, 2014, ISBN-10: 3406670970, ISBN-13:
978-3406670978, S. 105-117
Shintoismus: https://doyouknowjapan.com/shinto/
Andere Artikel über Japan lesen
Andere Länder-Essays lesen
Home
©
Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard
Peter 2017
Impressum