Bernhard Peter
Sorgfalt für Objekte: Post aus Japan


Kaum eine Nation geht so sorgfältig mit schönen Dingen des Alltags um wie Japan. Die Perfektion findet hier ein weites Betätigungsfeld: Wertvolle Dinge werden benutzt, aber zugleich sehr gepflegt. Alte Sachen können bei guter Pflege wie neu wirken. Eine typisch japanische Besonderheit sind die kleinen Holzkästchen, in denen wertvolle Dinge nach Gebrauch wieder verstaut werden. Da man nur das Benötigte vom Lagerort holt, kann man das Einzelobjekt inszenieren und genießen, z. B. bei einer Teezeremonie, oder wenn Gäste kommen. Danach wird alles gut gesäubert, in ein Tuch geschlagen und wieder in die passenden Holzkästchen verstaut. So ist es nicht schlimm, wenn bei einem Erdbeben mal ein paar Kästchen ins Rutschen kommen - der Inhalt überlebt.

Hier mal ein kleines Beispiel, wie unglaublich sorgsam mit Objekten umgegangen wird. Wenn man in Deutschland ein Objekt bei Ebay kauft, ist es schon eine Besonderheit, wenn man es in einem neuwertigen Pappkarton zugesandt bekommt und nicht lieblos in alte Pappe geklebt. Wenn man aber in Japan bei Ebay einkauft, ist das Auspacken schon fast ein Zeremoniell besonderer Sorgfalt, bei dem Schicht für Schicht die Spannung ins Unermeßliche steigt. Auspacken wird zum Erlebnis einer vorbildlichen Sorgfalt.

Fangen wir an: Post ist da! Die erste Schicht ist ein stabiler Pappkarton, ohne sichtbare Zweitverwendung, ohne Restaufkleber vergangener Nutzungen. Vor dem Photo wurde nur die Zollerklärung mit den persönlichen Daten abgerissen, das sind die Spuren auf der Oberfläche.

Innen empfängt uns eine lockere Polsterschicht aus alten Zeitungen, zweite Schutzschicht. Reihum geknüllt, so daß der Inhalt nach allen Seiten gut gefedert ist, mit reichlich Abstand zum Außenkarton, der so ruhig mal einen kräftigen Stoß bekommen kann, ohne daß etwas passiert.

Die nächste, dritte Schutzschicht ist eine eng anliegende Luftpolsterfolie, passend geschnitten, Erstverwendung, mit einem Klebeband zugeklebt, das man leicht abziehen kann und das keine Spuren hinterläßt.

Die vierte Schutzschicht gehört quasi zum Objekt und wird mit diesem verkauft. Das passende Holzkästchen mit Deckel ist meist aus Paulownienholz, einem sehr leichten und großporigen Holz, das fast schon ein wenig an Balsaholz erinnert. Meist ist das Holzkästchen außen beschriftet, Objekt, Künstler, Herstellungsort etc. Der Deckel ist mit einem textilen Band auf dem Körper fixiert, das oben zu einer Schleife gebunden wird.

Vorsicht beim Aufziehen der Schleife - die ist anders als bei uns! Bei uns wird eine Schleife gebunden, indem das Band unten überkreuzt wird und die oben wieder von gegenüberliegenden Seiten kommenden losen Parten verknotet werden, was beim Binden ein Umdrehen des Kästchens erfordert. Bei japanischen Kästchen ist das anders: Unten gibt es kein Verschlingen, sondern Führungen im Fuß, damit die Kästchen trotz Band eben stehen. Oben verlaufen die festen Parten über Eck, die losen Parten kommen von den beiden anderen Seiten im rechten Winkel zueinander. Von oben kommend schlingt man nun von sich weg von oben kommend die rechte lose Part in die Schlaufe der festen Part, zieht das unten herauskommende Ende straff zu sich und dann nach links. Dann nimmt man die linke lose Part und schlingt sie ebenfalls von oben greifend hinter die feste Schlaufe (nicht das erste Ende kreuzend, sondern innerhalb bleiben) und zieht das Ende wieder unten zu sich und dann nach rechts heraus. Dann legt man die beiden losen Parten zusammen und bildet eine Schleife wie gewohnt, macht also einen doppelt geslippten Überhandknoten. Der Vorteil der Methode ist, daß man beim Binden das Kästchen nicht stürzen muß.

Der Deckel liegt nicht etwa lose auf, sondern besitzt Führungsleisten, damit er in geschlossenem Zustand nicht seitlich verrutschen kann. Doch innendrin klappert nicht etwa das eigentliche Objekt lose herum, weit gefehlt: Säuberlich werden alle freien Ecken mit speziellen, an Marshmallows erinnernden Polsterungen gefüllt. Diese sind nicht starr und steif, sondern gut mit den Fingern formbar, und sie üben selbst nicht zu viel Druck aus. Das ist die fünfte Schutzmaßnahme.

Hat man diese Sicherungen entfernt, kommt die sechste Schutzschicht zum Vorschein: Damit das Objekt im Holzkistchen keine Kratzer abbekommt und nicht klappert, wird es zuvor in ein Tuch eingeschlagen. Dieses Tuch gehört wie das Holzkästchen zum Objekt dazu, trägt oft ebenfalls die Künstlersignatur und wird mit dem Objekt mitverkauft.

Für den Transport per Post begnügt sich der Sender aber nicht damit: Falls durch den Transport das Tuch verrutschen würde, könnte ja ein direkter Kontakt zur Holzwand entstehen. Also wird als siebte Schutzschicht das Objekt noch einmal in Seidenpapier geschlagen.

Nach Entfernen des Seidenpapiers liegt das eigentliche Objekt vor uns, eine Natsume, eine lackierte Holzdose zur Aufbewahrung von Matcha-Teepulver bei einer Teezeremonie. Da sie aus Unterteil und Deckel besteht, die trotz aller Schutzmaßnahmen bei widrigsten Umständen aufeinander reiben könnten, hat der Absender noch einmal gekreuzte Seidenpapierstreifen über die Öffnung gelegt, ehe er den Deckel aufsetzte - achte Sicherungsmaßnahme.

Erst nach Entfernen dieser innersten Schutzmaßnahme können wir das Objekt in seiner ganzen Schönheit bewundern. Im Alltag wird es aber bei Nichtbenutzung grundsätzlich erst in ein Tuch eingeschlagen und dann zurück ins Kästchen getan, egal, ob es sich um eine Natsume oder eine Teeschale handelt. Anstelle des Tuches können auch Brokat-Säckchen verwendet werden, Shifuku genannt. Durch diese Maßnahmen sind selbst alte Objekte makellos gepflegt, und die kleinen Kostbarkeiten überstehen das tägliche Hantieren sicher.

Dank vorbildlicher Verpackung ist dieses Objekt nicht nur trotz eines Alters von einem knappen halben Jahrhundert noch taufrisch und dazu noch ohne einen einzigen Kratzer heil 12500 km gereist. Und das allererstaunlichste daran ist, daß eine solche Sorgfalt nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Die gleiche Sorgfalt begegnet dem Besucher auch im Land bei seinen Einkäufen: Sichere Verpackung ist Ehrensache und Respekt vor der Kunstfertigkeit des Inhalts.


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