Bernhard Peter
Nagoya (Präf. Aichi), Burg Nagoya-jo, Honmaru Goten, Teil (1): Beschreibung und Pläne


Einer der ganz wenigen Paläste des 17. Jh. - eine meisterhafte Rekonstruktion
Der Honmaru-Palast der Burg Nagoya ist die große Hauptsehenswürdigkeit neben den steinernen Wällen. Und das um so mehr, als der nach der Kriegszerstörung unter Verwendung von Beton wiederaufgebaute Hauptturm (Tenshu-kaku) seit mehreren Jahren (seit 2018) nicht mehr besichtigt werden kann, weil die Sicherheit des Bauwerks insbesondere bei Erdbeben nicht mehr gewährleistet werden kann. Schon 2019 war der Abriß des 1612 fertiggestellten, 1945 zerstörten und in den 1950er Jahren aus Stahlbeton wiedererrichteten Tenshu und sein Neubau mit alten Techniken und aus traditionellen, originalgetreuen Materialien geplant, dann kam die Corona-bedingte Verzögerung aller Pläne. Im Jahr 2024 soll er endlich abgerissen werden. Der Wiederaufbau aus Holz soll 2026- 2028 erfolgen, so der derzeitige Plan. Deshalb ist es um so mehr der Honmaru-Palast, der mit der Möglichkeit zur Innenbesichtigung die verfeinerte und äußerst luxuriöse und prächtige Wohnkultur der Samurai-Eliten des 16. Jh. vermittelt. Es gibt nicht viele Burgpaläste aus der Feudalzeit in Japan; sie sind fast alle irgendwann abgebrannt, die meisten während des Bombardements im Zweiten Weltkrieg. Es gibt sogar nur einen einzigen original erhaltenen Burgpalast in Japan, das ist der Ninomaru-Goten in der Burg Nijo-jo in Kyoto. Der Honmaru Goten von Burg Kawagoe (Präfektur Saitama) ist zwar auch noch original, wurde jedoch erst 1848 erbaut, und sonst ist von der Anlage kaum noch etwas übrig. Der Ninomaru Goten der Burg Kakegawa stammt ebenfalls erst von 1861. In der außergewöhnlich gut restaurierten Burg Kumamoto gibt es noch einen Honmaru Goten, der wurde nach alten Ansichten und Ausgrabungsbefund meisterhaft rekonstruiert. Ansonsten sieht es mau aus mit erhaltenen Burgpalästen, weshalb der rekonstruierte Honmaru Goten von Nagoya zusammen mit Kumamoto-jo und dem originalen Nijo-jo eine einsame Trias bildet, die das 17. Jh. repräsentiert. Und wenn man sich den wiedererstandenen Palast in Nagoya und in Kumamoto anschaut, empfindet man es als Glück, daß man sie beide nicht schon damals in der Nachkriegszeit aufgebaut hatte, als man so viele Burgen aus Stahlbeton mehr schlecht als recht wiederherstellte, sondern daß damit bis in die 2000er Jahre gewartet wurde, wo man ganz anders authentische Rekonstruktionen machte.

Besichtigung und Öffnungszeiten
Der Palast ist täglich von 9:00 bis 16:30 Uhr zur Besichtigung geöffnet. Einlaß auf das Burggelände erfolgt wegen seiner Weitläufigkeit nur bis 16:00 Uhr. Der Eintritt ist im generellen Burgeintritt enthalten und liegt bei gemessen an den Wiederherstellungskosten moderaten 500 Yen für die gesamte Burg und den Palast. Ein Kombi-Ticket mit dem Garten Tokugawa-en kostet 640 Yen. Der gesamte Palast wird auf Strümpfen besichtigt; am Eingang deponiert man seine Straßenschuhe.  Innen ist Photographieren ohne Blitzlicht erlaubt. Es empfiehlt sich, größere Taschen in den Schließfächern zu deponieren. Wer dennoch Taschen mit sich nimmt, sollte sie unbedingt vorne tragen, also auch Tagesrucksäcke oder Kamerataschen gehören vor den Bauch, nicht auf den Rücken. Denn zu leicht stößt man sonst an irgendwelche Oberflächen und beschädigt sie. Und auch wenn die Versuchung noch so groß ist, das frische, duftende Holz zu streicheln - sämtliche Oberflächen dürfen nicht berührt werden. Es gibt auch die Regel, daß man keinerlei Schreibwerkzeug mit sich führen soll - leider aus gutem Grund. Und sonst gilt das Übliche: Nicht telephonieren, nicht essen oder trinken. Um die Authentizität nicht zu beeinträchtigen, gibt es innen während des Rundgangs keinerlei sanitäre Anlagen. Man findet solche, wenn man vor oder nach der Besichtigung außen herum geht, im Norden der Anlage.


Ein reiner Palast
Bei diesem Burgpalast handelt es sich um eine reine Palastarchitektur innerhalb einer Wehranlage. Der militärische Schutz wird allein über die umliegenden Wälle, Gräben und Türme gewährleistet, die baulich völlig separat sind. Der Palast selbst ist ein reines Wohn-, Residenz- und Luxus-Bauwerk, das selbst mit keinerlei Wehreinrichtungen ausgestattet ist. Der Palast nimmt in keiner Weise durch seine Architektur Rücksicht auf wehrtechnische Erfordernisse. Allein sein Baugrund wird durch Wehranlagen geschützt. Das ist ein großer Unterschied zu europäischen Burgen, bei denen es meist die in den wehrhaften Gebäuden befindlichen Räume waren, die prunkvoll ausgestattet wurden, aber selber verteidigungsfähige Mauern besaßen. Dieser japanische Palast war die bequeme Residenz des Burgherrn in Friedenszeiten. In Situationen akuter Bedrohung nutzte man den unbequemeren, aber sichereren Tenshu. Der Tenshukaku war ein militärisches Bauwerk, der Honmaru Goten war der eigentliche Lebensbereich. Er trägt seinen Namen wegen seiner Lage im innersten Wehrbereich, dem Honmaru.

Der erste Honmaru Goten
Der erste Shogun der Tokugawa-Zeit, Tokugawa Ieyasu, ließ 1615 (Keichou 20) den Honmaru-Palast von Nagoya für sich und seine Familie als Residenz erbauen. 1615 war ein Schlüsseljahr, denn da fand mit der Belagerung von Osaka (Osaka natsu-no-jin) die letzte Auseinandersetzung mit möglichen Rivalen statt, und das war zugleich die letzte militärische Auseinandersetzung mit Widerstand gegen seine Regierung. Mit dieser Belagerung war zugleich das Ende der Familie Toyotomi besiegelt, und von da an bestand das neue Shogunat unangefochten. Die Zäsur war so groß, daß man nach Osaka sogar den Namen der Ära von Keichou in Genna änderte. Der Shogun residierte in seinem neuen Palast zusammen mit seiner Familie und insbesondere seinem 9. Sohn, Yoshinao, der das Lehen Owari bekam und damit der eigentliche Burgherr war; er bezog den Palast 1616. Der Palast war zugleich das administrative Zentrum des Lehens. Den Stil des Palastes nennt man Shoin-zukuri, Shoin-Stil. Dieser Stil, der typisch für adelige Residenzen wurde und auch von einigen Tempelanlagen übernommen wurde, entwickelte sich zwischen der Muromachi-Zeit und der frühen Edo-Zeit. Im Jahre 1620, also nur 5 Jahre später, zogen Yoshinao und seine Familie etwas weiter nach draußen in den ab 1617 erbauten Ninomaru Goten der Burg Nagoya. Tokugawa Ieyasu bliebt im Honmaru Goten wohnen, das war die Zeit der intensivsten Nutzung. Und dieser Palast war damals so außergewöhnlich, daß er neue Maßstäbe setzte und seinerseits Vorbild für andere Paläste wurde.

Der zweite Honmaru Goten
Der Palast änderte nach Ieyasus Tod sein Aussehen und sein Layout fast komplett. Der erste Palast von 1615 nahm eine viel größere Grundfläche ein, fast den gesamten Honmaru-Bereich abgesehen von den Haupt- und Ecktürmen und den Toranlagen. Knapp 20 Jahre nach dem ersten Palast wurde das Konzept geändert, und der zweite Palast entstand aus Anlaß des Besuches des dritten Shoguns, Tokugawa Iemitsu, wobei die Prunkräume des ersten Palastes übernommen wurden. Nur der Bereich von Genkan und Omote-shoin wurden soweit komplett übernommen, alles links davon wurde neu konzipiert. Der Grund war erstens, daß der Shogun hauptsächlich in Edo weilte und hier nur zu Besuch vorbeikam, und zweitens, daß der Daimyo des Lehens Owari, Tokugawa Yoshinao, sich den Ninomaru-Goten erbaut hatte, der größer und bequemer war. Deshalb wurde der zweite Palast kleiner, und er lag mehr in einer Diagonalhälfte des Honmaru. Und er war anders. Der erste Honmaru-Palast war noch der administrative Mittelpunkt der Herrschaft und der Macht, der zweite Honmaru-Palast war ein Hotel für den durchreisenden Shogun. Im ersten Palast war der Taimenjo das kostbare Herz der Anlage, im zweiten Palast ist das der Joraku-den. Was hier bis 2018 wiederauferstanden ist, ist der zweite Palast. Diese Besuche der Nachfolger im Shogunat nach dem ersten Shogun sollten wir aber nicht überbewerten: Der eigentliche Regierungssitz des Shoguns war in Edo. Jeder Shogun machte mindestens einmal in seiner Amtszeit einen Pflichtbesuch in Kyoto beim Kaiser. Wenn Mißstimmung herrschte, konnte das auch mal ausfallen. De facto weilten die Shogune nach Tokugawa Ieyasu hier nicht Monate oder Wochen, sondern Tage. Ein gigantisches Gebäude wurde also unterhalten, nur um einmal im Leben für wenige Tage, mal einen, mal zwei, bereitzustehen als Hotel für den Shogun, wenn er denn mal kam. Die Fakten: Der zweite Shogun, Tokugawa Hidetada, kam 1623 und 1626. Der 3. Shogun, Tokugawa Iemitsu, weilte hier zwei Tage im Jahr 1634. Und der 14. Shogun, Tokugawa Iemochi, kam viel später für einen Tag. Der zweite Palast wurde also über 200 Jahre unterhalten für den Fall der Fälle, und er wurde nur genau wenige Tage von den späteren Shogunen genutzt.


Ende und Untergang
Nach dem Ende des Shogunats und mit den Meiji-Reformen gelangte Burg Nagoya mitsamt dem Palast 1872 in die Verfügung der kaiserlichen Armee und 1893 an den Kunaisho, dem Ministerium des kaiserlichen Haushalts. Die Burg wurde nun als Nagoya Rikyu bezeichnet und war ein kaiserlicher Nebenpalast. Die wertvollen Gebäude blieben aufgrund der Nutzung durch die kaiserliche Familie der Meiji-, Taisho- and Showa-Zeit erhalten und wurden nicht wie andernorts abgerissen. Der Palast wurde in dieser Zeit intensiver genutzt als je nach Ieyasus Tod. Schließlich wurde die komplette Burg Nagoya mit Palast 1930 der Stadt Nagoya übertragen. Im Jahre 1930 erklärte Japan den Honmaru-Palast wegen seiner außergewöhnlichen künstlerischen Qualität, der vielen dort angebrachten Gemälde der Kano-Schule (u. a. von Kano Sadanobu und Kano Tanyu), der außergewöhnlich hochwertigen Metallbeschläge und seiner guten Erhaltung zu einem der ersten Nationalschätze des Landes, zusammen mit den Türmen der Burg und anderen Strukturen. 1942 wurden die Malereien auf den Wänden und den Schiebetüren zu Nationalschätzen erklärt. Als 1945 die amerikanischen Fliegerbomben flächendeckend die Städte der Süd- und Ostküste Japans in Schutt und Asche legten, gingen sowohl der Tenshukaku als auch der Honmaru Goten in Flammen auf.

Der "zweite zweite" Honmaru Goten
Glück im Unglück war, daß man die originalen Wandgemälde ausgelagert hatte und daß auch die Photos (Tokugawa Yoshikatsu, der letzte Daimyo hier, war selber begeisterter Photograph), Zeichnungen und Pläne, die man in der frühen Showa-Zeit angefertigt hatte, an sicherem Ort den Krieg überlebt hatten. Man verfügte als Basis der Rekonstruktion über 700 Photographien, 309 Planzeichnungen aus der Vorkriegszeit und 1047 Tür- und Wandelemente aus der Edo-Zeit als Vorbilder. Dazu hatten die meisten Grundsteine für die Holzpfosten den Brand überlebt; ca. 2000 Grundsteine erlaubten die exakte Positionierung aller Pfosten an der alten Stelle. Mit der Sichtung und wissenschaftlichen Auswertung dieses Materials hatte man schon 1992 begonnen. Anhand dieser Unterlagen war man in der Lage, den Honmaru Goten originalgetreu zu restaurieren. Die abschnittsweise in drei Bauphasen untergliederten Arbeiten begannen 2009 und wurden 2018 abgeschlossen. Das Zypressenholz (Hinoki) wurde in den Wäldern des Kiso-Tals in der Provinz Nagano geschlagen. 2013 konnte der Omote-Shoin-Bereich im Osten eröffnet werden, 2016 folgte der Taimenjo-Bereich, und 2018 war die Gebäudegruppe komplett fertiggestellt. Das Ergebnis ist ein zwar nagelneuer, aber bis ins kleinste Detail außen wie innen rekonstruierter Burgpalast der Zeit nach 1615, der seinerzeit schon zu den besten gehörte. Es wurde nicht nur ein kunstgeschichtlicher Höhepunkt des Landes wiedererrichtet, sondern es wurde das gebaute feudale Lebensgefühl der damaligen Zeit wiederbelebt, so gut, so detailliert und so vorlagengetreu wurde der Neubau wie vor 400 Jahren zuvor ausgeführt. Neuneinhalb Jahre Bauzeit erscheinen einem angesichts der herausragenden Ergebnisse noch eher wenig.


Gliederung des Honmaru Goten
Die gänzlich aus Zypressenholz (Hinoki) errichtete Palastanlage mit 13 Einzelgebäudestrukturen, über 30 Räumen und einer Grundfläche von 3100 m2 hat einen zunächst unübersichtlichen Grundriß ohne durchgehende Außenlinien. Das liegt daran, daß für den Shoin-Stil typischerweise mehrere Hallen mit einem System aus Korridoren vernetzt werden, alles im rechten Winkel angesetzt. So entsteht ein lockeres Netz mit vielen Innenhöfen (hier sind es insgesamt vier Innenhöfe und zwei fast geschlossene Höfe) und den einzelnen Hallen als Bebauungsschwerpunkten. Dennoch lassen sich baulich und funktional drei Bereiche unterscheiden, der Omote-Shoin (vorderer Shoin) mit dem früheren Haupteingang im Südosten und mit dem Bereich, wo allgemein Audienzen abgehalten wurden, dann der etwas privatere Taimenjo-Bereich in der Mitte, der Audienzen mit vertrauteren Vasallen vorbehalten war, und schließlich der private Bereich des Jorakuden, der exklusiv dem Shogun als Wohnbereich vorbehaltene Teil. Und ganz im Westen gibt es noch den Bereich mit dem privaten Badehaus und Rückzugsräumen.

Anmerkungen zum Plan
Der hier verwendete Plan ist ein Hybrid aus dem Soll-Zustand und dem Ist-Zustand des "zweiten zweiten" Honmaru Goten. Mehrere Punkte sind im Plan so, wie es die Rekonstruktion erfordert, aber nicht dem aktuellen Befund entsprechend: Alle Räume, die zum Auslegen mit Tatami-Matten gedacht waren, sind hier mit Tatami-Matten (blaßgelb) dargestellt. Tatsächlich sind die Korridore, in denen die Besucher an den Prunkräumen vorbeilaufen, entweder gar nicht mit Tatami-Matten ausgelegt, das würden diese nicht lange überstehen, oder zu ihrem Schutz mit grauen Abdeckungen versehen. Im Norden, wo der Eingang zum Museumsshop liegt, ist anstelle der kurzen, steilen Holztreppen eine breitere Doppeltreppenkonstruktion mit Geländer vorgebaut, die weiter in den Honmaru hineinreicht und oben ein Podest hat. Die kurzen steilen Holztreppen, die dem Original entsprechen, sind zwar überallvorhanden, aber kein Besucherzugang. Ferner wurde ein Teil der ehemaligen Küchen im Nordtrakt zu sanitären Anlagen umgewandelt. Der Zugang erfolgt auf der Westseite des Langen Nordflügels, und hier ist eine lange, behindertengerechte Rampe vorgebaut, die am Nordflügel entlang führt. Eine zweite solche Rampe ist auf der Nordseite des Ostflügels angebaut, so daß man hier barrierefrei in den Raum mit den Schließfächern gelangen kann. Diese modernen Zubauten wurden in der Rekonstruktionszeichnung weggelassen.


Zwei Eingänge
Die Besichtigung beginnt im äußersten Osten, im Naka-no-guchi (Naka-no-guchi-beya, Seiteneingangshalle), im dem der warme Ton frischen Zypressenholzes dominiert. Früher trafen sich hier die wichtigeren Vasallen, außerdem wurden hier Amtsgeschäfte erledigt, heute dient der Bereich der Organisierung der Besucher. Nach Passieren des Ticket-Office, Ablegen der Schuhe und Verstauen der Taschen in den Schließfächern geht es nach dem Naka-no-guchi zunächst geradewegs durch den Tamari-no-ma genannten Wartebereich nach Süden, um dann in die Südostecke abzubiegen, den Genkan. Dort ist außen der Kuruma-yose mit seinem geschwungenen Giebel (Karahafu) vorgebaut, der frühere Haupteingang mit Wagenvorfahrt. Dort kamen früher die höhergestellten Besucher zu Pferde oder in einer Tragesänfte an. Das geschweifte Giebeldach über der Vorfahrt wird mit Zedernholz-Schindeln (Kokera-Schindeln) bedeckt, viele Lagen aus 3 mm dicken Holzschindeln, die mit Bambusnägeln fixiert werden. In dieser Art ist das komplette Dach der ganzen Anlage ausgeführt, einzige Ausnahme: Ganz im Norden über dem Küchenbereich ist der Mittelteil mit Ziegeln gedeckt. Zurück zum Kuruma-yose: Diesen Eingang nehmen aber die heutigen Besucher nicht. Und auch in früheren Zeiten war dieser Eingang dem Shogun und seinen wichtigsten Vasallen vorbehalten, es war eine Ehre, hier vorgelassen zu werden. Die ganzen anderen Besucher nahmen auch früher den Seiteneingang, genau wie wir heute als Touristen. Noch ein Blick auf den Kuruma-yose: Die beiden wuchtigen Pfosten, die den Eingang flankieren, sind die dicksten des ganzen Palastes.

Genkan - der Eingangsbereich
Vom Eingang aus kommt man jedenfalls zu zwei nebeneinander liegenden Räumen (Genkan ichi-no-ma im Westen, für die ranghöheren Besucher, Genkan ni-no-ma im Osten, für die rangniederen Besucher) des Genkan, deren bemalte Wände mit Tigern und Leoparden dekoriert sind, Tiger an einem Wasserfall, Tiger im Bambuswald (Chikurin-Hyoko), sogar mit Baby-Leopard, alles mit goldenem Hintergrund. Typisch für den Shoin-Stil ist die abgeteilte erhöhte Nische im Hintergrund, daneben eine kleinere Nische mit Fächern und höhenversetzten Regalbrettern (Chigaidana). In diesen beiden Räumen, die auch wegen der Dekoration Tiger-Räume genannt werden, warteten die Besucher, bis sie vorgelassen wurden. Die Wahl der Motive stimmte die Besucher auf das ein, was sie erwartete: die Begegnung mit der Macht. Insofern sind die Tiger und Leoparden nichts anderen als eine Allegorie der Macht, Kraft und Gefährlichkeit, die vom Landesherrn ausging. Das Problem bei diesen Tieren ist, daß es sie in Japan nicht gab, man mußte sich beim Malen darauf verlassen, was Malereien und Erzählungen aus Korea oder China als Bild übermittelten. So glaubte man, der Leopard sei ein weiblicher Tiger, daher kommt die Mischung der beiden Raubkatzen. So gesehen werden am Bambuswald einfach Tigermädchen mit Tigereltern dargestellt, eine Tigerfamilie, auch wenn zwei davon Flecken und Kreise statt Streifen haben. Oben wurde gesagt, daß die originalen Gemälde 1945 durch Auslagerung der Zerstörung entgingen; sie werden manchmal im Rahmen von Sonderausstellungen gezeigt (in den Abbildungen sind zwei originale Schiebewände mit dem Motiv Chikurin Hyoko-zu zu sehen, ausgeführt von einem Maler der Kanou-Schule). In den Räumen installiert sind jedenfalls permanent die Kopien. Die beiden Räume haben zwar thematisch das gleiche Motiv, doch der höherwertige Raum ist durch Tokonoma und Chigaidana als der etwas bessere für die besseren Besucher kenntlich gemacht worden.


Der Omote-Shoin: Drei Vorzimmer
Von diesem noch zum Genkan-Bereich gerechneten Wartebereich führt ein sehr breiter Korridor (Ou-rouka) nach Westen in den Omote-shoin (vorderer Shoin), dem regulären Audienzbereich des Herrschers, den Räumen, in denen er seine Vasallen empfing. Das war vor dem Bau des Ni-no-maru-Goten das alleinige administrative Zentrum für Tokugawa Yoshinao, den Daimyo des Lehens Owari. Dieser Bereich wurde 1615 als erstes gebaut, und bei der Wiederherstellung baute man ebenfalls diesen Teil zuerst, sodaß er schon 2013 für die Besichtigung freigegeben werden konnte. Während der Edo-Zeit wurde dieser aus fünf Räumen bestehende Bereich Hiroma genannt. Der Besucher umschreitet in der heutigen Wegeführung vier dieser Räume im Uhrzeigersinn und sieht daher zuerst das San-no-ma (drittes Zimmer), das größte und zugleich rangniedrigste. Das die Nordwand beherrschende Thema der Malerei zeigt Zibetkatzen (Jako-neko) am Flußufer neben dort wachsenden Azaleen und anderen blühenden Bäumen wie Malus halliana (Hana-kaido), im Hintergrund sind ferne Hügel zu sehen. Der hintere Teil der linken (westlichen) Wand ist frei von Motiven und einfach nur von Gold bedeckt; vermutlich gab es hier früher einen zweiten Zugang zum innenliegenden Lagerraum (Nando-no-ma).

In der Mitte folgt das kleinere Ni-no-ma (zweites Zimmer), dessen nördliche Rückwand einfach nur eine Goldmalerei ohne weitere Motive zeigt; dahinter liegt der bereits erwähnte, nicht von außen einsehbare Stauraum. Hier war die ursprüngliche Ausmalung nicht dokumentiert, deshalb die einfache Goldfläche; man weiß einfach nicht, welche Motive hier vorher waren. Die Seitenwände zeigen sparsam gesetzte Pflanzen und Bäume, einen Ahornbaum in Herbstfärbung, auch eine Kiefer als Symbol der Ausdauer und des langen Lebens, dazu Vögel. Sukzessive steigern sich im Uhrzeigersinn der Rang der Zimmer und die Qualität der künstlerischen Ausstattung.

Dann folgt das genauso große Ichi-no-ma (erstes Zimmer), dort sind auf den Wänden Frühlingslandschaften mit blühenden Kirschbäumen (Sakura) und Fasanen (Kiji) dargestellt. Gerade die Kirchblüte ist nicht nur einer der jahreszeitlichen Höhepunkte japanischer Ästhetik, sondern wegen ihrer erlesenen Schönheit und Kurzlebigkeit auch ein Symbol für die Ideale der Samurai und des Buddhismus. Die Unbeständigkeit und das kurze Leben implizieren Vergänglichkeit und Schicksal, dennoch aber dient das kurze Leben der Entfaltung von Perfektion und Schönheit. Die Fasanen sind glückverheißende Symbole, denn sie stehen für Macht, Überfluß und gute Verheißungen. Im Ichi-no-ma besteht wie in den beiden vorhergehenden Räumen die Decke aus einer geraden und flachen Kassettendecke (Kogumigou-tenjou, ko-gumi = kleines Raster, tenjou = Decke) aus naturfarbenem Holz. Die Ramma über den Wandpaneelen und Schiebetüren sind ein schlichtes feines naturfarbenes Gitter in schwarz lackiertem Rahmen.

Der Omote-Shoin: Audienzzimmer
In der Nordwestecke des Omote-shoin befindet sich der beste Raum dieses Komplexes, das Zimmer Jodan-no-ma (höher gelegenes Zimmer), ein Zimmer mit gegenüber den anderen erhöhtem Bodenniveau, ein gebauter Rangunterschied, denn in diesem Zimmer hielt sich der Lehnsherr bzw. Shogun auf, während er Gästen und Vasallen öffentliche Audienzen gewährte. Die hier dominierende Dekoration der bemalten Wände sind immergrüne Kiefern mit braunen Stämmen vor goldenem Grund, ein Symbol für die Langlebigkeit und Ausdauer. Überhaupt dominiert in diesem öffentlichsten der drei Bereiche die Farbe Gold als Hintergrund. Im Jodan-no-ma besteht die Decke aus einer Kassettendecke mit gekehltem Übergang zur Wand (Ori-age-Kogumigou-tenjou, oriage = erhöht, Rest siehe oben). An der Ostseite dieses Zimmers führt eine besonders schmuckvolle doppelte Schiebetür (Chodai-ga-mae) in einen Nebenraum, dort konnten Wachmannschaften postiert werden, und man konnte hier im Stauraum Sachen lagern. Es ist aber kein Chodai im konkreten Sinne, also kein Privatbereich. Die Türen, die so aussehen, als würden sie in einen Chodai führen, sind hier rein dekorativ. Dieser sozusagen im Inneren befindliche Raum (Nando-no-ma, Lagerraum) wird bei der Besichtigung nicht eingesehen. Links neben der Tokonoma-Nische befindet sich ein in den umlaufenden Gang hineingebaute Nische mit erhöhtem Boden (Tsuke-shoin, Schreib-Alkoven, auch als Zashiki-Kazari benutzt). Während man den Korridor an diesen beiden letzten Zimmern des Omote-Shoin entlanggeht, hat man auf der anderen Seite einen guten Ausblick auf den Irimoya-Giebel des dritten Bereiches, des privaten Lebensbereiches des Shoguns.


Der Taimenjo-Bereich
Nach Passieren des Jodan-no-ma führt ein kurzes Zwischenstück in den mittleren Palastteil, den Taimenjo-Bereich, der als zweites errichtet wurde und dessen Wiederaufbau 2016 eröffnet werden konnte. Seine Räume bilden das Herzstück der Anlage, obwohl der Bereich an der Südfront gar nicht markant in Erscheinung tritt. Dafür ragt er im Norden weit in den Platz des Honmaru hinein, im Grundriß ein großen "L" bildend. Dieser Teil besitzt sowohl repräsentative Räume als auch funktionale Räume wie die Küchen. Die Natur dieses Komplexes ist privater als beim Omote-Shoin, während in jenem eine größere Öffentlichkeit Zutritt hatte, gelangten in diesen mittleren Bereich nur die engeren Vasallen, Minister und Vertrauten. Hier traf sich der Shogun mit seiner Familie, hier wurde gefeiert, hier ergab sich durch die Küchennähe auch eine größere Präsenz des Hauspersonals. Die Motive der Malereien trumpfen nicht mit Machtsymbolen auf, sondern zeigen auch viel gemeines Volk, um die Atmosphäre lockerer und entspannter zu gestalten. In diesem Bereich fand z. B. die Hochzeit zwischen Tokugawa Yoshinao (2.1.1601-5.6.1650), dem neunten Sohn von Tokugawa Ieyasu, und Prinzessin Haruhime statt; er war zu dem Zeitpunkt 15, sie war 13 Jahre alt. Yoshinao wurde später der erste Daimyo des Lehens Owari, zu dem Nagoya gehörte. Er begründete die Owari-Tokugawa-Linie der Familie. Haruhime war die Tochter von Asano Yoshinaga, der erst Daimyo des Lehens Wakayama auf der Halbinsel Kii und später Daimyo des Lehens Hiroshima war.

Taimenjo, Küchen und nördliche Räume
Im einzelnen gibt es dort folgende Räume: Im nördlichen Kopfende liegt an der Westseite die große Küche für den Shogun und seine Familie, Kami-daidokoro, aus fünf Kompartimenten bestehend. In der Mitte des Nordtraktes liegt der Einzelraum Yanagi-no-ma (Weiden-Zimmer). Südlich schließt daran der Raum Kujaku-no-ma (Pfauen-Zimmer) an und bildet den "unteren Abschluß des vertikalen L-Schaftes".  Beide Räume sind schlicht, Schiebetüren und Wandpaneele sind ohne Bemalung. Das liegt daran, daß hier die Originale verlorengegangen sind und auch nicht dokumentiert waren. So sind die Kompositionen unbekannt, auch wenn der Name der Räume das Thema nennt. Der eigentliche Taimenjo ist der "horizontale L-Strich", in dem fünf Räume unterschieden werden. Die beiden nördlichen Räume der Zentraleinheit dienen zum Aufbewahren von Dingen, sie werden als Nando-ichinoma (erster Lagerraum) und Nando-ninoma (zweiter Lagerraum, der einzige Raum, der von Besuchern betreten werden darf) bezeichnet.  Im Nordteil dieser Baueinheit, wo früher die Küchen waren, ist ein von außen, also von der Nordseite her separat zugänglicher Museums-Shop eingerichtet; dieser Teil wird bei der Innen-Besichtigung ausgeklammert.

Taimenjo, zwei Prunkräume
Die beiden südlichen Räume sind Jodan-no-ma (der südwestliche mit dem erhöhten Bodenniveau) und Tsugi-no-ma (der südöstliche Vorraum). Ersterer besitzt eine schmuckvolle Ausstattung mit erhöhter Tokonoma und mit einem höhenversetzten Regal (Chigaidana) daneben, typische Ausstattungsmerkmale der jeweils besten Zimmer im Shoin-Stil. Der Jodan-no-ma besitzt eine interessante Kassettendecke aus schwarz lackiertem Holz mit umlaufender Kehlung am Rand; sie hat zwei Ebenen; das Mittelrechteck ist höher gesetzt mit erneuter Kehlung. So eine Decke bezeichnet man als Kuro-urushi-nuri nijuu oriage kogumigou-tenjou, wobei kuro = schwarz, urushi = Lack, oriage = erhöht und ni-juu = zwei Ebenen, zwei Stockwerke und tenjou = Decke bedeutet. Die rückwärtige Nordwand besitzt einen schwarz lackierten Rahmen um die gemalten Paneele mit vielen vergoldeten Beschlägen.

In diesen weniger öffentlichen Räumen, die ebenso eine Abfolge von rangmäßig unterschiedlich eingestuften Kompartimenten bilden, sieht man nicht mehr das dominante Gold als Hintergrund der Wände wie im öffentlicheren Omote-Shoin, sondern vielmehr das feinere Weiß, Gelb oder Creme. Die Räume des Taimenjo sind mit Sansui-kacho-zu-Malerei dekoriert: Die Motive sind Berge, Wasser, Vögel und Blumen. Für die bessere Sichtbarkeit der Malereien wurden viele der einst zum Gang hin trennenden Shoji-Wände entfernt, so wie auch die Korridore abschnittsweise Shoji-Wände eingesetzt hatten. Wo also heute die Besucher dem durchgehenden Weg folgen, waren früher die Übergänge in intimere Räumlichkeiten deutlicher wahrnehmbarer.

Die Wandmalereien stellen im Jodan-no-ma (Wohnbereich von Yoshinao) auf hellbeigem Untergrund den Yoshida-Schrein und den Kamigamo-Schrein in Kyoto dar, zu denen die Familie Tokugawa eine besonders enge Beziehung pflegte. Am Yoshida-Schrein wird Yudate Shinji gezeigt, ein Schreinmädchen taucht einen Bambuszweig in einen großen Behälter mit heißem Wasser und verspritzt dann das Wasser auf die anwesenden Betenden. Den Kamigamo-Schrein erkennt man an der Darstellung eines Pferderennens. Im Tsugi-no-ma (Wohnbereich von Haruhime) wird hingegen auf gelbem Untergrund Wakano-ura dargestellt, der Geburtsort der Braut Haruhime, die so weniger Sehnsucht nach ihrem Zuhause haben sollte. Wakano-ura ist eine Bucht an der Mündung des Flusses Kino; die dortige Landschaft war für Dichter der Nara-Zeit und der Heian-Zeit ein gerne gewählter Ort kultureller Inspiration. Heute ist die Bucht am südwestlichen Stadtrand von Wakayama zu finden, knapp 5 km von der Burg Wakayama entfernt. Im Herbst wird eine Art Erntegebet abgehalten; Schiffe und Salzgewinnung sind zu sehen. Die beiden genannten Räume boten die Kulisse für die Hochzeit von Tokugawa Yoshinao und Prinzessin Haruhime.

Taimenjo, Anrichteküchen
Dann gibt es noch den Raum Shimo-gozensho (untere Anrichteküche), dieser befindet sich rechts am Ende des unteren L-Striches, durch einen Innenhof vom südlichen Omote-Shoin getrennt. Dieser Raum diente der Vorbereitung und dem Anrichten der in der Küche hergestellten Speisen. Von hier aus wurden der Omote-Shoin und der Taimenjo mit Essen versorgt. In der Mitte des mit Holzdielen ausgelegten Raumes ist eine mit Stein gerahmte und mit Sand gefüllte Vertiefung bzw. Aussparung im Fußboden, wo mehrere Dreifüße aufgestellt sind, dort konnten Kessel mit Speisen erwärmt werden. In der Decke ist ein Dunst- und Rauchabzug eingebaut. Dieser Raum wird aber erst gegen Ende des üblichen Rundgangs erreicht. Mehrere Staffeleien tragen große Tafeln, auf denen die Wiederherstellung des Honmaru Goten unter besonderer Berücksichtigung der Gewinnung und Verarbeitung des Zypressenholzes illustriert wird.

Weiter im Westen gibt es noch ein Gegenstück mit gleicher Funktion: Im Norden des Jurakuden liegt, durch einen Hof von diesem getrennt, eine vom Taimenjo aus erschlossene Halle; diese gehört funktional zum Servicebereich; sie heißt Kami-gozensho (obere Anrichteküche), und sie diente zum Vorbereiten der Speisen für den Shogun und seine Familie, also das Gegenstück zum Shimo-gozensho, nur diesmal exklusiv für den "Chef". Von hier aus wurde ausschließlich der Joraku-den mit Essen versorgt. In der Mitte ist im Boden eine Feuerstelle ausgespart, und dort sind mehrere Dreibeine aufgestellt, auf denen die Kessel positioniert werden konnten. Dieser Raum ist reihum mit Tatami-Matten ausgelegt, im Laufbereich der Besucher sind sie allerdings mit grauen Matten abgedeckt. In der Decke ist ein Abzug für Rauch und Dunst eingebaut.


Der Joraku-den
An der Südwestecke des Taimenjo erfolgt der Übergang zum dritten, privatesten Bereich des Honmaru Goten: Der westliche Abschnitt ist der Bereich des Joraku-den, der private Wohnbereich des Shoguns. Dieser Teil des Palastes wurde aber nicht mehr unter Tokugawa Ieyasu errichtet, und auch nicht für seinen Sohn Tokugawa Yoshinao, sondern 1634 unter dem dritten Shogun, Tokugawa Iemitsu. Der Bereich trägt den Namen Joraku-den, weil der Shogun hier auf der Reise von Edo zum Kaisersitz Kyoto hier Station machte und Quartier nahm, und Joraku bedeutet genau das: nach Kyoto gehen. Dieser Bereich wurde bei der Wiederherstellung zuletzt vollendet und konnte im Herbst 2018 für den Publikumsverkehr geöffnet werden.

Joraku-den, Reiher-Korridor
Gleich am Anfang beginnt der Bereich mit dem Sagi-no-rouka, dem Reiher-Korridor, der zeitlich auch ins Jahr 1634 zu datieren ist. Er leitet vom Mittelteil über und führt am L-Winkel des Taimenjo entlang. Er heißt so, weil auf den Wandgemälden vor goldenem Hintergrund weiße Reiher auf schneebedeckten Weiden-Bäumen dargestellt werden. Das warme Gold der Fläche läßt die grau-weißen Äste und das stahlblaue Wasser der Winterlandschaft noch eisiger und kälter erscheinen. Die Kassettendecke besitzt naturfarbene Füllungen und schwarz lackierte Gitterraster mit goldenen Beschlägen an den Kreuzungen. Die Malereien oderhalb des Nageshi (dekorative Balken) stammen aus der Kan-ei-Zeit.

Joraku-den, Pflaumen-Zimmer
Nördlich dieses Korridors liegt der Raum Ume-no-ma, das ebenfalls 1634 entstandene Pflaumenzimmer. Normalerweise wird der Raum erst auf dem Rückweg von der Besichtigung des westlichen Teils erreicht. Beherrschend sind die knorrigen Äste wilder Pflaumenbäume vor goldenem Hintergrund mit weißen Wolkenbänken und stahlblauem Wasserlauf, bereichert durch Fasanen und andere Vögel. Auch dies ist eine Winterlandschaft. Das Thema der Malerei wird Sechu-roubai-zu genannt, der alte Pflaumenbaum im Schnee. Dieser Raum war der Aufenthalts- und Warteraum für die Besucher des Daimyo in diesem Teil des Palastes. Seine Dekoration ist edel, aber schlicht, um noch Steigerungsmöglichkeiten im nächsten Teil zu haben.


Joraku-den, drei Vorzimmer
Der eigentliche Joraku-den besitzt vier kostbar ausgestattete Räume, deren Bezeichnungen derjenigen in den anderen Hallen folgen: Der beste Raum, der Jodan-no-ma mit dem erhöhten Boden, mit der Tokonoma und dem Staffelregal (Chigaidana), also das Arbeits- und Schreibzimmer des Shoguns, befindet sich in der nördlichen Reihe ganz im Westen. Die drei südlichen Zimmer werden von Westen nach Osten durchgezählt: Ichi-no-ma (erstes Zimmer), Ni-no-ma (zweites Zimmer) und San-no-ma (drittes Zimmer). Alle vier Zimmer sind äußerst luxuriös ausgestattet und stellen das Beste an Handwerkskunst dar. Der große Einfluß traditioneller chinesischer Landschaftsmalerei ist an den Wandgemälden abzulesen. Absolute Höhepunkte sind die Holzschnitzereien mit Vögeln im oberen Bereich der Trennwände und die Metallbeschläge der konstruktiven Elemente. Der Grundriß ist noch nicht vollständig, denn auf der Nordseite der Halle liegen weitere Räume, wie man an der großartigen Doppelschiebetür an der Ostwand des Jodan-no-ma sehen kann. Dahinter waren Zimmer für Wachen, Schlafzimmer, Stauräume.

Der Besucher erreicht zuerst das San-no-ma (drittes Zimmer). Die Wandgemälde stellen im Gegenuhrzeigersinn aufeinander folgend die vier Jahreszeiten dar mit jeweils passenden Blumen und Vögeln. Die Sommerlandschaft (Sanbe-matsuki-zu) ist im Westen angebracht, mit einer Kiefer, einem Wasserfall und einem ruhig auf Beute wartenden Reiher.

Das Thema der in Richtung Westen nachfolgenden Räume Ichi-no-ma und Ni-no-ma bilden hingegen Szenen aus der chinesischen Geschichte, die aus dem Teikanzusetsu entnommen sind, einer von Zhang Juzheng geschriebenen Kaisergeschichte (Teikanzu). Der Autor war ein chinesischer Staatsmann und Oberster Großsekretär unter den Kaisern Longqing und Wanli während der Ming-Dynastie, war de facto Regent von China und lebte 1525-1582. Auf seine Reformen geht die Stärkung des Zentralstaates zurück. Jedenfalls diente dieses Buch den Malern der Kanou-Schule als Vorbild für die Ausmalung der beiden Räume, wobei sie aber nur die Geschichten der guten Kaiser auswählten und die der schlechten geflissentlich übergingen. Denn hier ging es ja nicht um neutrale Geschichtsschreibung, sondern um eine ansprechende Kulisse für den Shogun, der ebenso wie der Autor des Geschichtswerk die tatsächliche Macht im Kaiserreich Japan ausübte. Insbesondere Kanou Tanyuu war hier als Maler tätig.

Im Ni-no-ma beeindrucken erneut die Holzschnitzereien im oberen Teil der Wände (Ramma): Es ist eine durchbrochene Arbeit, aber auf beiden Seiten der Wand ist nicht einfach das spiegelbildliche Motiv zu sehen, sondern ein anderes Thema. Wir sehen dort z. B. Schmuckhühner, von denen ein Hahn auf einer runden Trommel steht. Wolken und ein Dickicht aus Büschen und Bäumen bilden den verwirrend komplizierten Hintergrund jedes Filigran-Reliefs. Im Jorakuden sollte man auch den Blick zu den Decken richten: Es handelt sich zwar von der Konstruktion um eine einfache Kassettendecke, doch alle Kreuzungen sind mit vergoldeten Beschlägen versehen (Kintsujigu).

Joraku-den, Zimmer des Shogun
Im besten Zimmer dieser Halle kommt zwar auch dieses Grundprinzip zur Anwendung, zusätzlich ist diese Decke mit zwei Ebenen versehen (ni-juu) und besitzt noch Malereien in den einzelnen Feldern (Tenjou-e = bemalte Decke). Auch die Beschläge sind von erlesener handwerklicher Qualität: Man achte auf die Türgriffe (Hikite) und die Abdeckungen der Stellen, wo Holznägel sichtbar wären (Kugikakushi). Im Juraku-den sind diese besonders prächtig; auf den schwarz-goldenen Schmuckplaketten sieht man öfter das Motiv von Eichhörnchen und Weintrauben, Budo ni Risu zu. Dabei handelt es sich um ein Wortspiel, denn Budou = Traube und Budou = Bushidou, Weg des Kriegers, und Rissu = Verhalten und Risu = Eichhörnchen. Hier wird als Rebus dargestellt: Verhalten wie ein Krieger, ein beliebtes Motiv in der Kunst. Viele dieser Beschläge tragen das Wappen (Ka-mon) der Tokugawa-Familie, die drei Aoi-Blätter im Dreipaß. Im Jodan-no-ma gibt es nicht nur Tokonoma und Chigaidana, sondern auch eine exquisite Tür (Chodai-ga-mae) mit zwei Schiebetüren (Fusuma) zu einem Nebenraum. Dieser Teil des Palastes wurde auch Onari-shoin genannt.


Äußere Anbauten am Joraku-den: O-yudono-shoin und Kuroki-shoin
Zum Bereich des Joraku-den gehören noch zwei weitere, kleinere Hallen, die im Westen angebaut und mit dem Joraku-den verbunden sind. Dennoch kann der Besucher bei der Innenbesichtigung nicht einfach dorthinein wechseln; der Durchgang ist nicht offen. Da diese 1634 erbauten Hallen sehr klein dimensioniert sind, sind sie nur im Rahmen einer geführten Tour mit maximal 15 Teilnehmern zugänglich; die Tickets gibt es im O-yudono-shoin, also einmal um den Palast herum laufen und dort außen im Südwesteck anstellen. Es kostet nicht extra, es geht allein um die Begrenzung der Teilnehmer. Diese beiden Hallen heißen O-yudono-shoin (Bade-Zimmer, eigentlich mehr ein Dampfbad, denn das Wasser wurde im nördlichen Nebenraum heißgemacht, und der Dampf wurde durch Schlitze im Boden in die "Sauna" in der Mitte des Gebäudes geleitet) und Kuroki-shoin (innerer Empfangsraum, eine Abfolge sehr privater Räume).

Im erstgenannten konnte der Shogun ein Saunabad im Kamaya genannten Raum nehmen oder einen der drei Ruheräume (Jodan-no-ma im Westen, Ichi-no-ma im Süden und Ni-no-ma in der Mitte) aufsuchen oder im zweitgenannten ganz privat Besucher empfangen. Die Dekoration im Kuroki-shoin ist sehr zurückhaltend, edel, aber eben privat, hier mußte nicht mit viel Gold und kräftigen Kontrasten aufgetrumpft werden, hier mußten keine staatstragenden Symbole gezeigt werden, vielmehr sind es edle, feine Malereien, dominierend sind Weiß und Gold, ein Kontrast zu den schwarz lackierten Rahmen. Der Kuroki-shoin ist als einziges Gebäude des ganzen Palastes nicht aus Zypressenholz, sondern aus Kiefernholz gebaut, angeblich aus der Burg Kiyosu (Tenshu heute wiederaufgebaut), einer ehemaligen Burg von Tokugawa Ieyasu, die ausgeschlachtet wurde und deren Baumaterial in der Burg Nagoya an mehreren Stellen wiederverwendet wurde.


Literatur, Links und Quellen
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@35.1849776,136.899778,19.33z - https://www.google.de/maps/@35.1849496,136.8997887,137m/data=!3m1!1e3
Webseite der Stadt Nagoya zum Honmaru Goten:
https://www.nagoyajo.city.nagoya.jp/en/nagoyajo/honmarugoten/ mit Video https://www.youtube.com/watch?v=W8FmR02aw9Q - einzelne Räume: https://www.nagoyajo.city.nagoya.jp/en/nagoyajo/honmarugoten/room/ - über den Palast allgemein: https://www.nagoyajo.city.nagoya.jp/en/nagoyajo/honmarugoten/about/ - virtuelle Tour: https://my.matterport.com/show/?m=GiSAw5KfCmz
Honmaru Goten auf Japan-Guide:
https://www.japan-guide.com/ad/nagoya/
Artikel zum Honmaru Goten auf Japantravel:
https://en.japantravel.com/aichi/the-new-honmaru-goten-palace/59382 und https://en.japantravel.com/aichi/nagoya-castle-reconstruction-status/4211
Burg Nagoya auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Nagoya_Castle - https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Nagoya
Bericht auf Japan Experience:
https://www.japan-experience.com/all-about-japan/nagoya/attractions-excursions/nagoya-castle-hommaru-palace
Beschreibung auf Centrip-Japan: https://centrip-japan.com/article/1075.html
Artikel zum wiederhergestellten Honmaru Goten:
https://ittekuru.com/2014/10/22/field-report-nagoya-13-february-2014-part-12/ (2014) - https://ittekuru.com/2016/06/09/field-snapshot-the-honmaru-palace-of-nagoya-castle-japan-06-june-2016/ (2016) - https://ittekuru.com/2017/08/05/field-snapshot-yet-another-peek-at-the-honmaru-palace-of-nagoya-castle-japan-24-november-2016/ (Ende 2016) - https://ittekuru.com/2017/08/05/field-snapshot-yet-another-peek-at-the-honmaru-palace-of-nagoya-castle-japan-24-november-2016/ und  https://ittekuru.com/2019/07/20/field-report-the-honmaru-palace-of-nagoya-castle-japan-28-november-2018/ (Ende 2018)
Burg Nagoya und der Honmaru Goten:
https://uexinja.blogspot.com/2020/12/
Artikel in Japan Daily:
https://japandaily.jp/a-national-treasure-rises-from-the-ashes-5446/
Honmaru Goten:
http://kikuko-nagoya.com/html/honmaru-goten.html
Seite der Stadt Nagoya:
https://www.nagoyajo.city.nagoya.jp/en/nagoyajo/honmarugoten/about/
Burg Nagoya auf Centrip-Japan: https://centrip-japan.com/article/1079.html
Burg Nagoya:
https://www.japan-guide.com/e/e3300.html
Burg Nagoya: http://kikuko-nagoya.com/html/nagoya-castle.html
Bericht auf JCastle:
https://www.jcastle.info/view/Nagoya_Castle
ausführliches Video zur Burg Nagoya und dem Honmaru Goten:
https://www.youtube.com/watch?v=tsmJrhaWBI0


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