Bernhard
Peter
Jantar
Mantar - astronomische Geräte Indiens, Teil 2:
Die Observatorien des Jai Singh: Folly oder Kunst? Wissenschaft
oder Machtarchitektur?
Maharaja Sawai Jai Singh II, erst Prinz von Amber, dann Maharaja von Jaipur, war der Erbauer der größten und bedeutendsten indischen Observatorien, wovon das am besten erhaltene bzw. restaurierte in Jaipur steht, der Stadt des Sieges, die er 1728 AD gründete und ihr seinen eigenen Namen gab. 1734 war das Observatorium in Jaipur vollendet, 7 Jahre nach Gründung der Stadt. Verantwortlich für den Entwurf waren neben dem Herrscher selbst Raj Guru Jagannath und Guru Vidyadhar. Jai Singh starb 1743 AD. Es gibt viele Wege, sich den Observatorien des Jai Singh zu nähern:
Ästhetik:
In dem an verspielten Formen
reichen Rajputana auf so kraftvolle und schlichte Linienführung
in der Architektur zu stoßen, läßt die Kunstwerke wie aus
einer anderen Welt erscheinen das Design ist einfach
nicht indisch. Die Oberflächen der Bauwerke sind
glatt und ungeschmückt, bis auf die schon durch das Material
Marmor herausgehobenes Skalen. Funktionale Architektur in klaren
geometrischen Formen muten fast wie moderne Kunst an. Gerade
deshalb wirken die Objekte zeitlos ästhetisch.
Tradition:
Von der Machart her stehen die
Observatorien weniger in Hindu-Tradition, sondern vielmehr in
islamischer Tradition. Direktes Vorbild könnte die Sternwarte
des Ulug Begh in Samarkand aus dem 15. Jh. gewesen sein, von der
einige Prinzipien übernommen wurden. Insbesondere das riesige
Gnomon mit seinem Quadranten hatte Vorbildfunktion. Auch
abendländisches Wissen fand durch regen Austausch mit Gelehrten
aus Europa Eingang in die Konstruktion. Unter anderem sandte Jai
Singh 1729/30 AD eine Gesandtschaft an den portugiesischen Hof zu
Lissabon, die ein Fernrohr und andere Geräte jener Zeit und
einen Astronomen namens Xavier de Silva mit nach Jaipur brachten.
Jai Singh war in regem wissenschaftlichen Austausch mit Emmanuel
de Figueredo aus Portugal sowie den Jesuiten Pons und Boudier aus
Frankreich.
Wissenschaft und ihre Grenzen:
Jai Singh war fest
entschlossen, die astronomischen Tabellen zu überarbeiten und
scheute keinen Aufwand, um die astronomischen Grundlagen seiner
Zeit zu überarbeiten. Er entwarf selbst mehrere Instrumente, die
in seinem Wissenschaftspark aufgestellt sind, und er schrieb
wissenschaftliche Werke über Astronomie allgemein, über
astronomische Instrumente und veröffentlichte eigene
astronomische Tabellen.
Sein Hauptwerk, das Zig Muhammad Shahi, gründet aber im wesentlichen auf den Tabellen von Ulug Beg und europäischen Quellen und enthält nichts bahnbrechend Neues.
Sai Singh gibt selber an, daß er diese Observatorien überall baue, um jedem Interessierten die Möglichkeit zum Studium der Himmelskörper zu geben. Ein edler Gedanke - aber rechtfertigt er diese immensen Ausgaben?
Größe allein bringt keine Verbesserung der Ergebnisse. Und das muß auch dem Erbauer und Auftraggeber klar gewesen sein, wenn schon nicht nach Lektüre der Standard-Traktate und auch nicht nach dem Austausch mit Wissenschaftlern anderer Länder, so doch spätestens nach dem Bau des ersten Riesen-Samrat Yantra. Und doch wurde weitergebaut...
Jai Singh ließ diese Observatorien bauen, um Fehler in alten astronomischen Werken zu korrigieren und das Zeitmeßsystem auf eine neue Grundlage zu stellen. Was ihm und seiner Zeit noch nicht bewußt war, war das Phänomen der Präzession der Erdachse als Ursache für damalige Ungereimtheiten in den astronomischen Werken. Deshalb konnten zwar der Zeit angepaßte richtige Werte festgestellt werden, das Problem der Präzession als solches war damit aber noch nicht erkannt und gelöst.
Trotz des großen Interesses öffnete man sich aber nicht gegenüber Erfindungen, die woanders Standard waren, Alidaden z. B. und Teleskope. Neue Erkenntnisse waren daher schon beim Bau nicht zu erwarten.
Ein weiteres Charakteristikum der Instrumente ist die diskontinuierliche Funktionsweise mancher Instrumente, so der Jai Prakash Yantras, des Rama Yantra, der Rashi Valaya Yantras, was in der Bauweise und im Konzept begründet liegt ein Problem, das sich bei den in Europa zeitgleich üblichen Instrumenten nicht stellt.
Ingenieurskunst:
Bewundernswert die Präzision
der Anordnungen, der Bau der Marmorquadranten von
schwindelerregenden Ausmaßen, die Verbindung der einzelnen
Marmorplatten mit Doppel-T-förmigen Ankersteinen, die Verwendung
von Zick-Zack-Fugen für mörtelfreie Verfugungen, die Entlehnung
von Zimmermannstechniken für die Steinverbindung. Insbesondere
ist auch einzigartig, wie mit Wasserwaagen in situ,
kleinen Wasserkanälen, die die Plattform durchziehen, für eine
ebene Ausrichtung gesorgt wurde. Jai Singh geht durch seine
Observatorien viel eher in die Geschichte der großen Bauherren
als in die Geschichte großer Astronomen ein.
Folly:
Gigantische Instrumente, die
weniger leisten als eine kleine Armillarsphäre in Messing,
diskontinuierlich funktionierende Meßgeräte, die wirklich gute
Peilungen von Sternen nur zu bestimmten Zeitpunkten ermöglichen,
und das alles zu Zeiten, als das astronomische Fernrohr und
genaue Uhren längst erfunden waren das läßt die
Instrumente wie ein Anachronismus erscheinen, zumal davon
auszugehen ist, daß Jai Singh durch seinen wissenschaftlichen
Austausch mit europäischen Gelehrten von anderen Instrumenten
gehört haben mußte, außerdem existieren kleinere Instrumente
aus Metall ebenfalls in seinem astronomischen Park und in seinem
Palast. Im Grunde waren die Instrumente schon zu ihrer Bauzeit
obsolet. Man griff z. B. Ideen des Observatoriums von Ulug Beg in
Samarkand auf, das Ergebnis leistete aber weniger als dieses,
etliche Jahrhunderte später! Alles sieht daher älter aus, als
es tatsächlich ist. Und die gigantische Größe war vollkommen
unnötig, da es längst Fernrohre mit Mikrometerschrauben gab. Im
Gegenteil die Größe brachte eher Probleme mit sich. Vor
allem war es überflüssig, gleich fünf Observatorien zu bauen.
Insgesamt waren die Instrumente einfach unnötig, weil präzise
Instrumente aus Metall vorhanden waren und bessere Ergebnisse
lieferten. Gewissen lebenszugewandteren Zeitgenossen kam das
Ganze auch wie eine gigantische Folly vor. Die Architektur
erinnert eher an das 4000 Jahre früher gebaute Stonehenge als an
wissenschaftliche Geräte der beginnenden Neuzeit, und das im
frühen 18. Jahrhundert! Ein Folly war es auch in Hinblick auf
den Aufwand an Geld und Arbeitskraft, was das Mißfallen von
Moghulkaiser Muhammad Shah hervorrief. Obwohl er Jai Singh als
wichtigen politischen Verbündeten ansah, hatte er nicht das
geringste Verständnis für dessen Astronomie-Tick und ließ ihn
dies deutlich durch Entzug seiner Gunst spüren.
Machtarchitektur:
Wer die Zeit und den Kalender
kontrolliert, hat die Macht über die landwirtschaftlichen Zyklen
und damit über die Menschen. Je größer, desto manifester war
der Führungsanspruch des Herrschers nicht nur in astronomischen
Erkenntnissen, sondern auch bei der Gestaltung der Konsequenzen.
In der Tat dürften sozio-politische Motive für die Gestaltung
eine Rolle gespielt haben. Dazu paßt auch, daß Jai Singh in
jeder Stadt, in der er als Gouverneur eingesetzt wurde ein
Observatorium bauen ließ, insgesamt fünf.
Die Existenz einer Sternwarte in jeder seiner Städte war ihm wichtiger als die Fokussierung aller Anstrengung auf eine einzige. Das Observatorium wurde so zum Symbol seiner Oberhoheit über die betreffende Stadt. Außerdem war es in der ganzen Moghulzeit durchaus Sitte, seine Macht über eine Stadt durch das Errichten großer und prächtiger Bauten zum Ausdruck zu bringen und der Stadt so seinen Stempel aufzuprägen. Insbesondere die großen Samrat Yantras, von weitem sichtbar als Wahrzeichen, wurden zum Symbol seiner Herrschaft. Dazu paßt auch, daß viele Instrumente jeweils das Gleiche anzeigen, daß die Aussage mancher Instrumente insgesamt relativ dürftig ist, verglichen mit einer einzigen kleinen Armillarsphäre aus Metall. Nicht nur die Erkenntnis an sich scheint Jai Singh wichtig gewesen zu sein, sondern vor allem auch das ostentative Zeigen der Tatsache, daß er sich damit beschäftigt und auskennt.
Religion:
Nur mit Hilfe genauer
Astronomie ließen sich Kalender, wichtige Festtage und
religiöse Events genau bestimmen. Interessant ist vor allem,
daß in Jaipur der astronomische Park genau die Stelle einnimmt
im Palastbezirk bzw. im Stadtgrundriß, wo man normalerweise den
Tempelbezirk vermuten würde. Allein durch die Anordnung ist der
Bezug zum Religiösen gegeben. Weiterhin ist von Interesse, daß
wichtige Instrumente auf Plattformen errichtet sind - wie
hinduistische Tempel auch. Auch der Name Yantar Mantar trägt in
sich eine Nähe zum Religiösen Mantar ist vom selben
Ursprung wie Mantra religiöse
Formel und bedeutet hier in diesem Zusammenhang auch
wissenschaftliche Formel, Yantar bedeutet
Instrumente. Im religiösen Sinne mögen uralte
Hindu-Prämissen eine Rolle gespielt haben: Die Beschäftigung
mit dem Himmel und seinen Ereignissen statten denjenigen, der
sich diesen Vorgängen widmet, mit Wissen und Macht aus, die weit
über die Wahrnehmung der Fakten hinausgeht. In dem Maße, in dem
sich Jai Singh Wissen über den Himmel verschafft, wird er zum
Experten in allen göttlichen Dingen erhoben. Der Anspruch, die
Vorgänge des Himmels zu erklären, ging einher mit einem guten
Verhältnis zu den Mächten des Universums und begründete damit
auch von selbst seinen Führungsanspruch auf Erden.
Islamisch-wissenschaftliches und hinduistisch-gnostisches Erbe
mischen sich dabei.
Fazit:
Ein extravagantes und
kostspieliges Denkmal für Jai Singh von begrenztem
wissenschaftlichen Wert und hoher Ästhetik, das hinduistische
und islamische Traditionen in sich vereinigt, welches zu
Lebzeiten den Herrscher als politisches und religiöses Oberhaupt
feierte und welches heute geeignet ist, dem unbefangenen Besucher
auf spielerische und anschauliche Weise Lust auf Beschäftigung
mit Himmelsmechanik zu machen.
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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