Bernhard
Peter
Märkte
und Handeln, Bali 2002
Märkte, Kunsthandwerk, Geschäfte und Handeln in
Bali
Märkte (Pasar) in Bali haben zwei ganz
unterschiedliche Gesichter: Zum einen gibt es die
Einheimischen-Märkte mit all dem bunten Leben, dem Geschrei und
Gestank, zum anderen die Touristenmärkte. Beides kann auf dem
selben Gelände sein, nur zeitlich versetzt, wie z. B. in Ubud
Pasar. Wer morgens früh aufsteht und in den hinteren Teil des
Pasar von Ubud geht, findet dort die ganze Palette
landwirtschaftlicher Produkte (Obst, Gemüse, Gewürze) zu
vernünftigen Preisen. Und wenn dort hinten schon wieder die
ersten Planen über die Verkaufsstände gelegt werden, werden die
ersten Läden mit Sarongs für Touristen im vorderen Bereich
geöffnet. Wesentliche Unterschiede sind Geruch, Opfergaben,
Waren und Publikum. Ein echter Markt stinkt zum Himmel: Faulendes
Gemüse, verwesendes Fleisch, Blut, Müll, Urin, Kot der
Dorfköter, überreifes Obst und intensive Gewürze ergeben eine
so typische wie eklige Geruchs-Mischung, die einem, einmal
eingeatmet, in ewiger Erinnerung bleibt, und die einem jeden
echten Markt 100 Meter gegen den Wind ankündigt. Und ein echter
Markt scheppert, gackert, knurrt, knattert und lacht, während
eine unerträglich stinkende Brühe in Pfützen zwischen den
Ständen steht und sich in schmalen Rinnsalen den Weg zum
nächsten Kanal sucht. Dagegen sind Touristenmärkte
vergleichsweise gepflegte Boutiquen für Sarongs,
Holzschnitzereien, bemalte Masken, Flechtarbeiten, Kitsch und
Kunsthandwerk. Jedes Mitbringsel-Bedürfnis wird befriedigt. Die
Balinesen sind Meister im Kopieren jeden Kunststiles.
Schnitzereien von Papua-Neuguinea bis Schwarzafrika sind als
originale Fälschungen an jeder Ecke erhältlich. Jeder Wunsch
kann erfüllt werden, jeder Stil kopiert, jede Oberfläche auf
alt getrimmt werden. Wer hier Antiquitäten zu finden erhofft,
wird ein reichhaltiges Angebot finden, nur eines ist garantiert:
Alt und echt ist nichts. Ganze Dörfer sind darauf spezialisiert,
die beliebten Mitbringsel herzustellen: Celuk ein Dorf der
Silberschmiede, Mas ein Dorf der Schnitzer, Batubulan ein Dorf
der Steinmetze. Und in tropischem Klima genügen 1 oder 2 Jahre
in der Erde, um ein ehrwürdiges Alter vorzutäuschen. Wenn man
über Land fährt, sieht man die Werkstätten für Antiquitäten,
mit richtig schönem Aushängeschild "Antiquities",
davor geparkt die frische Holzlieferung auf dem LKW, oder
"Original African Antiquities". Fazit: Man kann viele
schöne Dinge kaufen, doch alt ist definitiv nichts. Dafür ist
Bali seit Jahrzehnten viel zu touristisch, ist das tropische
Klima viel zu zerstörerisch. Vielleicht ist das auch der Grund,
warum das Kunsthandwerk so lebendig ist - viel zu häufig wird
ein Tempel durch vulkanisches Geschehen zerstört, oder die
natürlich rasche Verwitterung macht Renovierung notwendig. Die
Balinesen leben mit der schnellen Zerstörung. Und die
Zerstörung hält das Kunsthandwerk lebendig. Die Renovierung
eines Tempels erfordert keine langwierige Suche nach
Restauratoren - ganze Dörfer stehen bereit, die nötigen
Schnitzarbeiten und Skulpturen sowie Reliefs in unverminderter
Qualität zu liefern.
Woran kann man noch Einheimischen-Märkte von
Touristen-Märkten unterscheiden, gute von schlechten Märkten?
Ein echter Markt hat viele Opfergaben-Verkäuferinnen. Umgeben
von ganzen Körben mit fein zerfaserten Blättern, bunten Blüten
und sonstigen Zutaten, stapelweise Palmblättern fangen die
Frauen frühmorgens mit der Produktion an. Ein kleines
Palmblattkörbchen, Blättchen, Blüten, gehächselte
Pandanusblätter, Betel, fertig ist das Opferschälchen. Im Laufe
der Zeit türmen sich die Schälchen vor den Herstellerinnen.
Irgendwie alle nach dem gleichen Schema befüllt, hat doch jede
Herstellerin ihren eigenen Stil, mal sind alle Körbchen
quadratisch, mal blümchenförmig, mal stehen ringsum lange
Fransen ab, mal überwiegen die gelben Blüten oder das grüne
Gehäcksel, dort die Nachbarin hat offensichtlich prachtvolle
Hortensienblüten, deren bleiches Blau in jeder Schale dominiert,
und jene nimmt leuchtend orangefarbene Tagetes. Wenn die anderen
Stände so langsam abbauen, die Mopeds und Minibusse die
Fußgänger zu verdrängen beginnen, kommt die eigentliche Zeit
für die Opfergabenverkäuferinnen. Jeder muß noch schnell ein
paar kaufen, um den Markterfolg und die kommende Heimfahrt mit
Göttern und Dämonen in Einklang zu bringen. Und nicht weit
entfernt ist meist ein ganz kleiner Tempelbezirk, deren Statuen
über und über mit Opfergabenschälchen bedeckt sind, auf dem
Haupt, in den Armbeugen, auf den Knien, und vor allem auf den
Simsen, Stufen oder Bambusgestellen davor häufen sich die
vergänglichen Kunstwerke. Oder sagen wir lieber Kunstwerke der
Vergänglichkeit, mit Liebe und Hingabe produziert, den guten und
bösen Kräften dargeboten, ein Stückchen Harmonie im stinkenden
Straßendreck, abgestellt vor einem Eingang, auf einer Stufe, vor
einem Laden, um im nächsten Augenblick getreten, zerfahren, von
Hunden auf der Suche nach ein paar Reiskörnern zerstöbert zu
werden.
Handeln in Bali gehört selbstverständlich zum
guten Ton. Jedes Handeln beginnt mit der Herstellung einer
freundlichen Atmosphäre. Freundliches Geplauder sorgt für eine
angenehme Stimmung. Als ich in Bali war, war häufig die
Bewunderung für die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der
gerade anstehenden Weltmeisterschaft ein geeigneter Einstieg
seitens des Händlers. Und ganz dezent wird die Wirtschaftskraft
des Kaufinteressenten abgeschätzt. Fragen wie "Wo hast du
ein Zimmer gemietet?" oder "Wohnst du weit von
hier?" oder "Was machst du beruflich?" wollen
sorgfältig beantwortet werden, um den Preis nicht versehentlich
in die Höhe zu treiben. Fragen wie "Bist du zum ersten Mal
in Bali?" dienen der Abschätzung, ob der Kunde die
richtigen Preise kennt. Ich habe es auch direkter erlebt:
"Was verdient man denn in Deutschland so als
Apotheker?"
Handeln geht nach folgenden Regeln vonstatten:
Es gilt beim Handeln den richtigen
Preis zu finden. Der richtige Preis ist sozusagen ein der Lage
angemessener Preis, der beiden Parteien gerecht wird. Er ist
nicht fest, sondern variabel, er hängt von Angebot, Nachfrage,
Qualität, Verkaufsdruck des Händlers, Kaufdruck des Käufers
(Dauer des Aufenthaltes, Wohnen im selben Ort oder nicht, Zeit
bis zur Abreise) und geschätzter Wirtschaftskraft des Käufers
(Unterkunft, Beruf) ab. Während des einleitenden Gespräches
ermittelt der Verkäufer blitzschnell den richtigen Preis. Zwei
verschiedene Reisende können also mit ganz unterschiedlichen
"richtigen" Preisen bedacht werden.
Das erste Angebot macht der Käufer,
nicht der Verkäufer. Falsch wäre es, den Verkäufer zu fragen,
wieviel etwas kosten solle. Und wenn man den richtigen Preis aus
Unerfahrenheit nicht kennt, wäre das ein Eigentor, weil man
nämlich dann gezwungen ist, ein Gegenangebot zu machen. Besser:
Selber bieten, der Verkäufer wird ein Gegenangebot machen, der
richtige Preis liegt in der Mitte. Dann weiterhandeln.
Nicht Entrüstung oder Zerknirschung,
Kummer und Verzweiflung folgt einem für unangemessen gehaltenen
Angebot, sondern ausgelassene Heiterkeit.
Etwas irritierend ist die Art des Handelns.
Hierzulande gewohnte Tricks wie Hinweisen auf Qualitätsmängel,
Beschädigungen, oder Verlangen eines Mengenrabattes oder
Stammkundenrabattes etc. verfangen nicht. Viel wichtiger ist die
Beeinflussung des richtigen Preises im Vorgespräch. Aber nicht
zu dick auftragen wie z. B. "Ja, ich war schon viermal in
Bali, ich wohne in der billigsten Absteige und habe die Reise
auch nur im Preisausschreiben gewonnen, leisten könnte ich mir
das nie bei meinen 5 Kindern, für die ich sorgen muß...."
Wer sich den Flug nach Bali leisten kann, landet so oder so in
einer oberen Preisklasse. Auf einen ganz und gar abwegigen
Preisvorschlag reagiert der Verkäufer mit ungezwungener
Heiterkeit. Man wird einfach herzlich ausgelacht. Nach Abebben
der Lachsalve greift er einen freundschaftlich am Knie oder Arm
und macht den kameradschaftlich wirkenden Vorschlag, einen
vernünftigen Preis zu nennen. Falle! Erst muß er selber wieder
einen Schritt machen, sonst endet man nicht beim richtigen Preis!
Übliche Mittel des Verkäufers sind Auslachen, Aufrufen zur
Vernunft, Wegräumen der Ware, abrupter Themenwechsel, Umtausch
der guten Ware in schlechtere "Hier, das ist für den
genannten Preis", Senken des Preises um kleinere Stufen als
der Kaufinteressent sein Angebot anhebt etc. Übliche Mittel des
Kaufinteressenten sind Auslachen, Greifen nach besserer Ware oder
nach einer größeren Menge, Nennen von Vergleichspreisen,
Hinweise auf bisher getätigte günstige Geschäfte, Vorzeigen
einer geringeren Summe Geldes und demonstratives
Wiedereinstecken, Weggehen und später wiederkommen. Gerade das
Weggehen oder das Wiedereinstecken eines Bündels Geldscheine
kann einen Verkäufer weichkochen. Selbst wenn er einem nicht
nachruft, beim zweiten Gespräch versteht man sich immer besser.
Mit am härtesten gehandelt habe ich bei meinen 4
Wayang-Kulit-Figuren, die ich aus Ubud mitgebracht habe: Fünfmal
war ich deswegen in dem kleinen Laden, an die 4 Stunden haben wir
uns insgesamt über Fußball, Bali, Schattenspiel, seine Familie,
meine Familie etc. unterhalten. Wir haben uns glänzend
unterhalten, ich habe viel über die Herstellung von
Schattenspielfiguren gelernt, denn sein Schwiegervater war selbst
Dalang, und aus seinem Besitz stammte die Truhe mit den älteren
Figuren, aus denen ich meine vier ausgesucht habe. Und sowohl er
selbst als auch sein Bruder stellen selbst Figuren her; er zeigte
mir, was er gerade in Arbeit hatte und wie jeder Arbeitsgang
aussieht. Und auch bei scheinbar erreichter Einigkeit kann es
noch Verzögerungen geben: Weniger Geldscheine anbieten als
zuletzt genannt, oder der Verkäufer gibt weniger Rückgeld als
vereinbart, dann holt entweder der Käufer oder der Verkäufer
die schon eingepackte Ware wieder aus der Tasche heraus und
räumt sie wieder demonstrativ ins Regal, der Käufer geht oder
der Verkäufer scheucht den Käufer weg, er solle doch gehen und
sehen, wo er die Ware so günstig wie beabsichtigt kriegen kann,
nicht ohne ihm nach drei Metern Weges rufend zu signalisieren,
daß man sich doch noch mal unterhalten könne. Beim Kauf meines
Saputes für den Tempelbesuch bin ich im Laufe des Gespräches
zweimal selbst weggegangen und einmal weggeschickt worden, und
jedesmal rief mir die Verkäuferin wieder nach, sie hätte noch
eine Idee, oder sie wolle mir noch eine Alternative zeigen oder
sie wolle jetzt einfach das Thema beenden "Just to
finish", auch wenn sie noch nie so billig verkauft hätte.
Und selbst dann holte sie den Saput wieder aus meiner Tasche
eigenhändig heraus und räumte ihn wieder ins Regal, als ich
mich über zuwenig Wechselgeld beschwerte. Zwei Salakfrüchte,
frisch vom Markt, als Zugabe, stellten den Frieden wieder her.
Und wenn einem der Verkäufer am Ende kopfschüttelnd mitteilt,
man sei ein harter Brocken, so was habe man noch nie erlebt, und
selbst Einheimische müßten mehr bezahlen, dann hatte man wohl
eine Punktlandung auf dem richtigen Preis erzielt. Beste
Kontrollmöglichkeit: Abends hat meine Vermieterin oder ihre
Schwester, Tjok Istri Sri Agung Astiti oder Tjok Istri Nurhani,
den Neuerwerb begutachtet und den Preis kontrolliert. Und erst
wenn sie sagte "Ja, das müssen wir auch bezahlen",
dann war es ein gutes Geschäft. So macht Einkaufen Spaß!
Ätzend hingegen sind noble Antiquitäten-Geschäfte
in den Touristenzentren mit zwar guter Ware, aber total
überhöhten Preisen, wo kein Handeln möglich ist,
"standard of the house"-Gerede etc. Bei aller
Antiquitätenbegeisterung: Keiner soll glauben, es gäbe auf Bali
noch irgendwelche echten alten Stücke. Der Mann meiner
Vermieterin, Anak Agung, warnte mich eindringlich: Jede beliebige
Oberfläche kann hier künstlich erzeugt werden, jedes Objekt
kann auf jedes beliebige Alter getrimmt werden. Entscheidend
sollte allein sein, ob einem das Stück gefällt oder nicht.
Besser, man geht davon aus, man erhandelt sich ein neues Stück,
und es könnte alt sein, als umgekehrt. Und das sollte sich auch
in den Preisen widerspiegeln, die man maximal zu zahlen bereit
ist.
Genauso ätzend sind die Touristenfallen in den
weltweit bekannten Handwerkerdörfern. Ich besuchte mehr nolens
als volens eine Werkstatt für Schnitzerei in Mas, weil meine
beiden damaligen Fahrer meinten, das müsse man unbedingt gesehen
haben (Provision?): Eine ganze Halle voll mit handwerklich
erstklassiger und geschmacklich zweifelhafter Ware, perfekt
englischsprachigem und gut geschultem Personal, das kaum
lockerläßt und einen nach allen Regeln der Kunst in die Enge
treibt, internationaler betuchter Kundschaft und astronomischen
Preisen ab 100 Dollar Einstiegspreis aufwärts - jedes Handeln
ist sinnlos. Natürlich sind alles besonders günstige
Sonderpreise, weil man gerade im Betrieb Jubiläum feiert. Und
jedes einzelne Stück ist ein persönliches Angebot, weil das ihr
Großvater oder ihr Bruder etc. geschnitzt hätte. Und die
Touristen zücken ihre Kreditkarten und kaufen, als sei dies das
einzig echte Bali! Sicher, die handwerkliche Qualität ist
vollkommen, wirklich beeindruckend. Aber diese Produktion ist
nicht nur vollkommen überteuert, viel schlimmer: Sie ist ohne
Leben, ohne spirituellen Gehalt der Masken, ohne Eigencharakter,
ja, manchmal sogar eine Selbstverleugnung der eigenen
künstlerischen Sprache - eine einzigartige kunsthandwerkliche
Tradition, zunehmend formal korrumpiert durch den Massengeschmack
der Besucher. Noch ist die Qualität nicht gemindert, aber die
wahllose Anpassung in der Objektwahl an den Touristengeschmack
läßt auch in dieser Hinsicht Böses vorahnen. Typisch z. B.,
daß mir nachher die Fahrer erzählten, die Verkäuferin sei
schon eingeschnappt gewesen, weil ich die Vorzeigeschnitzer in
der offenen Galerie vor dem Eingang nicht wie alle anderen
Touristen photographiert hätte. Das ist der Stil in diesen
Schuppen! Und genauso ist es in Celuk bei den Silberschmieden,
genauso ist es in Batubulan, nur daß da touristische Käufe
wegen des Eigengewichtes der Skulpturen eine eher untergeordnete
Rolle spielen. Einzig interssanter Laden in Batubulan ist
"Keris" für Krise und Wayang-Figuren.
Die einzige Frage ist, wie man sich aus so einer
Nobel-Bude ohne Gesichtsverlust für beide Parteien zurückzieht,
ohne etwas zu kaufen, günstig war der Hinweis auf geplante
Rucksack-Ausflüge zu anderen Inseln, die eine ernste Gefahr für
die empfindlichen Schnitzarbeiten wären und die Bitte um die
Visitenkarte, um das Geschäft später wiederfinden zu können.
Und dann "nix wie wech". Nun ja, es geht zum Glück
auch anders, in den unzähligen kleinen Seitenstraßen von Ubud
etc.
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