Bernhard Peter
Banten tegeh - Opfergaben Bali 2002
Banten tegeh: Turmhohe Opfergaben bei Tempelfesten

Nicht wegzudenken sind bei Tempelzeremonien die Opfergaben (banten). Vor dem Gebet werden sie gebracht, häufig schon im Laufe des Tages, das hat den Vorteil, daß sie schon den ganzen Tag zum prachtvollen Schmuck des Tempels beitragen und gebührend von allen Teilnehmern, insbesondere Nachbarn, bestaunt werden können. Man geht umher und schaut sich nach neuen Techniken um, bewundert und läßt bewundern. Sie werden in den Bales (offene Pavillons) abgestellt, bei größeren Tempelfesten reichen die vorhandenen Bales bei weitem nicht aus, dann werden zusätzliche Tische aufgestellt, im Pura Puseh in Ubud waren sie sogar durch "Platzkarten" beschriftet, so daß jede Bringerin von Opfergaben weiß, wo sie ihren Turm abstellen soll. Wie lange die Gaben im Tempel verweilen, ist unterschiedlich. In manchen Tempeln nur während des Gebetes, in anderen bis alle abendlichen Zeremonien beendet sind. Das Bringen der Opfergaben ist prinzipiell Frauensache. Vielfach sieht man schon viele Straßen vorher die alten Damen mit ihrem unglaublich hohen und zerbrechlich aussehenden Turmbau dem Tempelbezirk zustreben. Meist kommen die Frauen einzeln oder in kleinen Grüppchen. Jüngere Generationen gehen mit der Zeit, und folgendes Bild ist beileibe kein Einzelfall gewesen: Junger Mann auf seinem Moped, im dichtesten Verkehrsgewimmel, sportlich ringsum jeweils 5 cm Sicherheitsabstand kalkulierend und ab durchs Gedränge, hinten drauf die Sozia im "Damensattel", d. h. um 90° versetzt mit beiden Beinen auf der linken Seite, im Arm liebevoll einen Opfergabenturm, 1,20 m kunstvoll arrangiertes Obst, und die Palmblattfransen flattern mit den Haaren im Fahrtwind um die Wette. Vor dem Tempel werden die Haare geordnet, dann wird der polsternde Ring auf den Kopf gelegt, und dann wird der Turmbau auf den Kopf überführt, und mit unglaublicher Anmut und Würde zugleich wird das Opfer in den Tempel gebracht. Das Opfer wird auf dem Kopf transportiert, weil das der heiligste Teil des Körpers ist und nur so die Götter-Speise angemessen transportiert werden kann. Ein bis anderthalb Meter Obst auf dem Kopf - der kritischste Moment ist der Eintritt in den inneren Bezirk. Ein Candi bentar zu durchschreiten ist kein Problem - nach oben unbegrenzt offen. Doch die Höfe untereinander sind mit gedeckten Toren verbunden, die Gefahr des Anstoßens ist groß! Doch meist steht hier ein Pemangku (Laienpriester) oder sonst eine hilfreiche Hand bereit, um die obere Zone zu beobachten, während die Dame vorsichtig in die Knie geht.

In Wirklichkeit ist der Aufbau eines solchen Opfergabenturmes (banten tegeh) noch komplizierter: Die Basis bildet ein gold- oder silberfarbener Teller auf einem hohen Sockel. Wenn man die Konstruktion auf dem Kopf trägt, wird sie durch Griff mit der rechten Hand entweder an den Sockel oder an den Tellerrand gesichert. Auf einem Dorn in der Tellermitte wird ein senkrechter Bananenstrunk (gedebong) befestigt. Das ist die tragende Struktur, denn alles Obst etc. wird mit kleinen Bambusstäbchen auf diese zentrale Säule genagelt oder gespießt. Was wird so alles für den Bau eines Opfergabenturmes verwendet? Obst, vor allem Obst, Orangen, Trauben, Kiwis. Natürlich heimisches Obst wie Bananen oder Salak (Schlangenhautfrucht), aber noch besser, denn eine Opfergabe soll so wertvoll wie möglich sein und auch die Nachbarn beeindrucken, wertvolles Importobst wie Äpfel. Man bedenke, richtig schöne große Äpfel, am besten noch mit dem stets nach außen gekehrten kleinen Aufkleberchen, sind natürlich viel kostbarer als einheimische Rambutan, und wer auf sich hält, zeigt seinen Reichtum auf diese Art und Weise. Weiterhin Gebäck und Reiskekse (jaja), Reispudding in Tüten aus oblatenähnlichen Material, ganze Mürbeteigkuchen zieren bisweilen das "Obergeschoß". Die Reiskuchen oder Reiskekse (jaja) sind weiß, gelb oder rosa gefärbt, oft auch in sich gemustert, je nach Phantasie. Dann kommt eine komplizierte und pahnatasievolle Palmblatt-Schnitz- und Flechtarbeit (sampian), deren Enden lose wie ein Röckchen aus langen Fransen den Opfergabenturm umspielen oder wie Stacheln aufrecht in die Runde starren, zuoberst kommt ein kleines mit Perlen oder Metallfäden besticktes Mützchen oder eine umgedrehte silber- oder goldfarbene Metallschale, unter dem bzw. der ein Canang sowie kleine Kostbarkeiten, z. B. alte balinesische Münzen, Geld, Blüten etc. liegen. Und ganz besonders lecker wirkt ein von außen auf die Konstruktion gespießtes Brathähnchen. Manchmal in Folie eingepackt und fest in die Struktur eingebaut, dann bleibt es bis zum Schluß drin. Oder mit ausgebreiteten Flügeln außendraufgespießt, dann wird es häufig schon fürs Abendessen abgenommen und zu Hause verspeist, weil es sich nicht so lange hält wie der Rest des Opfergabenturmes. Ein unvergleichlicher Anblick, wenn eine würdevolle Dame den Turmbau auf ihrem Kopf ausbalancierend zum Tempel schreitet und ein Brathähnchen die Front ziert wie ein gegen die Scheibe geflogener und dort hängengebliebener Gummiadler. Die Hauptkunst im Bauen eines solchen Opfergabenturmes (banten tegeh) besteht darin, möglichst viel Obst etc. möglichst hoch aufzutürmen, ohne daß ein Reiskeks unter dem Gewicht zusammenbricht o.ä., und vor allem, daß das Arragement so lückenlos ist, das man nichts von der tragenden Konstruktion erkennen kann. Ich habe in viele Opfer hineingespäht, und nur bei ganz schlecht gebauten sieht man den Bananenstrunk und die Bambusstöckchen. Und alles zusammen soll natürlich noch harmonisch aussehen. Das ist so der typische Opfergabenturm, wie ich ihn z. B. beim Odalan des Pura Puseh in Ubud zu Hunderten gesehen habe.

So ein Opferturm (banten tegeh) ist denn auch eine kostspielige Pflicht: 130000 -150000 Rupien (35-38 DM) sind ein normaler und für indonesische Verhältnisse stolzer Preis. Den Preis kenne ich deshalb, weil ich zum Abschied meiner Gastfamilie in Ubud einen solchen Turm für ihr anstehendes Odalanfest im Tempel des Familienclans (Tempel hinter Cafe Lotus) spendiert habe, zum einen, um ihnen in akzeptabler Weise ein Dankeschön zu geben (einer Familie der Ksattriya-Kaste konnte ich kein Trinkgeld geben!), zum anderen, weil ich so viel schöne und schönste Obstkunstwerke gesehen habe, daß einfach auch einer von mir dabei sein soll. Man kann nicht nur die Pracht schauen wollen und verlangen, daß das alles von indonesischem Durchschnittseinkommen finanziert wird. Und in engerem Kreise wird auch durchaus gejammert, was die Feste, zu deren Ausschmückung man verpflichtet ist, alles kosten. So haben wir uns geeinigt, daß eine solche Opfergabe in meinem Namen angefertigt wird und mit dem Wunsch verbunden wird, daß die Götter meine baldige Rückkehr nach Bali ermöglichen mögen.

Im Pura Agung in Pejeng habe ich die höchsten Opfergabentürme (banten tegeh) überhaupt gesehen, bis zu 2 m hoch. Der Trick war die Verwendung senkrechter Röhren aus ausgehärtetem knusprigem Reiskuchen (jaja), vier Röhren ringsum geben beträchtlich Höhe und Halt bei geringem Gewicht; die Spalten dazwischen waren mit Salak oder Eiern oder Äpfeln gefüllt. Eine schwierige Konstruktion, weil die Röhren äußerst zerbrechlich sind und das Gewicht des Obstes geschickt auf den zentralen Bananenstrunk abgeleitet werden muß. Dort habe ich auch gesehen, daß mit den Farben ornamental gearbeitet wird, der Höhepunkt war sicher ein Opfergabenturm, bei dem zwischen lauter Äpfeln mit weißen gekochten Eiern mehrfach das Swastika-Motiv eingelegt war. Gekochte Eier kamen in Pejeng häufig vor, dafür habe ich kein einziges Brathähnchen gesehen. Jedes Dorf hat wohl so seine eigenen ästhetischen Richtlinien! Auch ist die Bekrönung oft nicht nur ein Mützchen, sondern eine äußerst fein geflochtene und mit Blüten geschmückte Palmblattarbeit (sampian), die wie ein Strahlenkranz über dem Turmbau zu stehen kommt. Ich stand in Pejeng nur fassungslos vor diesen turmhohen Opfergaben und wurde von Wayan gebeten, Schiedsrichter zu sein und das schönste Kunstwerk zu benennen. Während ich mich diplomatisch bemühte, gleich mehrere erste Preise zu vergeben, hier für den höchsten Turm überhaupt, dort für die Farbharmonie und dort hinten für die beste Palmblattarbeit, strahlten die Mädchen: "Das ist meiner!" oder: "Und den habe ich gemacht!".

Es gibt unzählige Varianten von Opfergaben. Im Pura Dalem in Peliatan habe ich solche gesehen, die vorne mit einem langgezogenen goldfarbenen Blech verblendet waren, so daß das Obst nur einen Kranz um das Blech bildete, immerhin 1.50 m hoch, leicht süßlich-kitschig.

Im Pura Agung in Pejeng habe ich ganz besondere Konstruktionen gesehen: In Löcher im Boden, wie für Fahnenmasten, wurden sie verkeilt, so daß sie wie ein Spalier in Reihe unter freiem Himmel standen. Die zentrale Achse aus Bambus führt zuerst zu einer korbartigen Konstruktion, unten mit Palmblattfasern umhüllt, oben mit einer Palmblattschnitzarbeit mit langen Fransen bekrönt. Dann folgt ein hoher Zylinder, der nur aus rechteckigen, braun-weißen, ca. 10 x 10 cm großem Reiskeksen besteht, obendrauf kommt wieder ein Palmblattkunstwerk, und oben heraus ragt eine lange dünne Stange, die in regelmäßigen Abschnitten viele Quirle mit orangefarbenen Tagetesblüten trägt, offensichtlich die selbe Symbolik wie bei den Merus. Insgesamt wird so eine Konstruktion locker 4-5 m hoch, und sie waren auch für längeren Verbleib im Tempel während des ganzes Festes bestimmt.

Nach vollendeter Zeremonie werden die gesegneten Opfergaben, an deren Aussehen, Schmuck, Geruch sich die Götter während ihrer Anwesenheit beim Fest die Sinne erfreut haben, wieder von ihren Besitzerinnen mit nach Hause genommen, um dort im Familienkreis verzehrt zu werden, ich bekam als Gast des Hauses im Homestay Menara auch meinen Teil ab. Über die gesundheitliche Unbedenklichkeit nach einem Tag Besuch von Fliegen auf den Reispuddings etc. läßt sich streiten, aber besser nicht vor den Augen der Gastfamilie. Manche packen leicht verderbliche bzw. nicht schälbare Ware wie Kuchen etc. darum auch in durchsichtige Plastikfolie ein. Es ist überhaupt kein Problem, die Opfergaben zu essen, denn die Götter haben sich bedient, haben den "sari" genommen, haben sich erfreut, und die zurückbleibenden Lebensmittel können nicht noch einmal für religiöse Zwecke verwendet werden. Der Abtransport der Opfergaben kann ganz unspektakulär vonstatten gehen wie beim Pura Puseh in Ubud, wo sich nach allgemeiner Auflösung der Gesellschaft jeder seinen Opfergabenturm griff und nach Hause ging. Oder wohlgeordnet wie beim Pura Dalem in Peliatan. Dort war der Andrang so groß, daß das Gebet in vielen Gruppen durchgeführt werden mußte. Pecalangs (Tempelwächter) regelten Zugang und Ausgang, und immer wieder füllte sich der innerste Hof von neuem mit Betenden. Und als der Zeitpunkt kam zum Nachhausetransportieren der Opfergaben, wurde der Strom genauso kanalisiert. Und dann war es ein Gefühl, als ob alle Schleusen geöffnet worden waren: Das Tor öffnete sich, und eine richtige Prozession wand sich wie ein unendlicher Lindwurm aus dem Tempel und schritt in Formation in die beginnende Dämmerung hinein über den riesigen Tempelvorplatz, erst an der Straße bzw. am Parkplatz wurden erste Lücken in der geballten Formation sichtbar. Alle verheirateten Frauen des Banjar einheitlich in braune zeremonielle Kleidung gehüllt, alle mit ähnlicher Frisur - schwarze Haare nach hinten gekämmt und zu einem asymmetrisch sitzenden "Dutt" gelegt, so daß alle Haarspitzen unter der großen Schlaufe zu liegen kamen, alle im Haar eine Spange mit einem halben Dutzend Goldflitterrüschen, alle ihre turmhohen Opfergaben auf dem Kopf, meist mit der rechten Hand an den Tellerrand fassend, ganz Geübte auch freihändig. Geballte Frauenpower quillt aus dem Portal und hört nicht mehr auf, keine Chance, die Straße noch zu überqueren. Dutzende, Hunderte, Tausende will es scheinen, dazu Musik von einer begleitenden Musikergruppe, alle im Einheits-Look, eine schöner als die andere, jeder Obst-Turm phantasievoller als der vorherige, eine erschlagende festliche Wucht - die Turmträgerinnen von Peliatan.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2002-2005
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