Bernhard Peter
Umweltbewußtsein auf Bali 2002
Umweltbewußtsein auf Bali - ja und nein

Wenn eine Weltanschauung geeignet ist, den Menschen in perfekter Harmonie mit der Natur leben zu lassen, dann eigentlich die der Balinesen. Der Glaube Hindu Dharma beinhaltet viele animistische Elemente. Natur ist beseelt. Man lebt in Respekt vor der Natur, in Respekt vor der lebensspendenden (Schreine in Reisfeldern z. B.) wie vor der zerstörenden Natur (Vulkane!). man weiß um die entfesselten Gewalten der Natur, man schätzt den Wert der fruchtbaren Felder, die sich zwischen den Extremen Meer und Vulkan ausbreiten. Dieser Respekt erklärt z. B. die Regel, daß niemand in Bali höher bauen darf als die Palmen sind. Und diese Regel wird angenehmerweise wirklich befolgt, so daß sich die Gebäude in angenehmen Maßen halten. Und Bali ist auch die Insel grandiosester Naturschönheiten: Vulkanlandschaften, Wasserfälle, Steilküsten, weiße und schwarze Sandstrände, ganz zu schweigen von der Üppigkeit tropischer Vegetation. Bali ist auch berühmt für die perfekte Schönheit seiner Agrarlandschaft, seiner Kulturlandschaft: Sanft geschwungene Reisterrassen unter Lontarpalmen sind Inbegriff einer gelungenen Mischung aus landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschönheit, und die Reisterrassen können ohne weiteres als Weltwunder gelten. Und besonders augenfällig wird die prinzipielle Nichtgegensätzlichkeit von Kultur und Natur sowie von Verehrungsstätte und Urwald in den Tempeln. Beispiel ist der ganz einsame Waldtempel am Batukaru: Man fährt lange durch herrlichen Regenwald, bis man ihn in seiner einsamen Lage erreicht. Merus mit verwitterten Dächern, ein moosbewachsener Bejitempel in der Nähe eines großen Wasserbeckens, torkelnde bunte Schmetterlinge, vielfältiger Vogelgesang, leise plätscherndes Wasser - hier läßt sich meditieren, hier kann man die Göttlichkeit der lebendigen Natur atmen, hier kann man die Kraft eines Glaubens erfahren, der die Natur als integralen Bestandteil der zu bewahrenden Harmonie empfindet. Das ist ein Tempel, der den Menschen dadurch etwas bedeutet, daß er sich einkuscheln möchte in ein Stück funktionierendes Ökosystem, eine Oase, um zu lauschen den Vögeln, dem Rauschen der Blätter, ein Tempel, in dem man ganz leise wird, um die Harmonie nicht zu stören. Oder häufig sind die Tempel richtig in tropische Vegetation eingebaut, oft steht auch ein mächtiger Baum im Tempelgrund, der dann bei Feiern ebenso fein säuberlich mit schwarz-weiß-geschachten Tüchern umhangen und mit bunten Schirmchen versehen wird wie die Wächterfiguren. Oder man denkt an die unzähligen kleinen Schreine und Tempelchen mitten in den Reisfeldern, an Quellen, an allen Orten, wo sich Kräfte und Schönheiten der Natur offenbaren. Wie man sieht, eignet sich der gedankliche Ansatzpunkt der Religion sehr, um ein ausgeprägtes Bewußtsein für Natur und Umwelt zu entwickeln.

Auf der anderen Seite ist Indonesien ein Entwicklungsland mit allen Problemen, die man mit diesem Status assoziiert. Sogenannte Segnungen der Zivilisation werden dankbar angenommen, ohne daß es funktionierend in das bestehende System eingeordnet werden kann. Früher wurde Essen und anderes in Bananenblätter eingeschlagen - sauber, effektiv und kompostierbar. Heute wird alles in Plastik verpackt - und jenes Plastik wird genauso entsorgt wie seit Urzeiten die Bananenblätter, nämlich einfach in die Palmenhaine gekippt. Ich habe bei Lovina und bei Candi Dasa Palmenhaine und Bananenpflanzungen gesehen, die so voller Plastikmüll waren, daß man wirklich keine Erde mehr zwischen den Pflanzen gesehen hat! Genau so ein Fluch für die Insel sind die praktischen Wasserflaschen aus Plastik. Jeder kauft sie, weil sie einfach praktisch sind und wirklich qualitativ hochwertiges Trinkwasser enthalten. Und der Großteil landet im Straßengraben oder in den angrenzenden Pflanzungen. Am schlimmsten betroffen sind die Randgebiete der Städte, jene endlosen Siedlungen entlang der Ausfallstraßen, in denen es weder eine geregelte Müllentsorgung noch eine Initiative zur Müllverbrennung gibt. Die Äcker, Plantagen oder Wälder entlang dieser Gebiete sind einfach nur ein großer Müllhaufen. Mülltrennung gibt es nicht. Entweder wird alles kompostiert, d. h. in den Wald oder ins Meer gekippt, oder es wird alles verbrannt, inclusive Batterien, Kunststoff etc. Platz für Plastik ist in diesem System nicht. Wer Bali helfen möchte, sollte sich als Tourist an ein paar Regeln halten: Prinzipiell Plastikverpackungen ablehnen und Wasserflaschen in Unterkünften oder Restaurants aus Großbehältern wiederbefüllen lassen! Nicht entsorgbaren Abfall wie Batterien etc. wieder mit nach Hause nehmen!

In den Städten wird der Müll i.d.R. verbrannt. Entweder hat man irgendwo hinter dem Haus oder an der Straße ein gemauertes Geviert, darin wird alles gesammelt und am Abend angezündet. Oder man wohnt an einer Straße mit Kanal, dann hebt man die Deckplatten an, schüttet alles hinein und macht sein Schwelfeuer dort drin. Der nächste Regenguß spült die Asche und sonstige Rückstände in den nächsten Fluß. Und das ist eine Sache, an die man sich als Fußgänger gewöhnen muß: Die größte Gefahr für Leib und Leben in Bali sind weder Kriminelle noch Vulkane noch Krankheiten noch wilde Tiere, sondern die Bürgersteige bei Nacht. Die Kanäle seitlich der Straßen sind riesig - wer einmal Regenzeit in den Tropen erlebt hat, weiß, warum. Der Bürgersteig ist praktisch die Abdeckung des Kanals. Und wenn dann hier und da die Abdeckung entfernt wurde, weil der ganze Abfall in den Kanal geworfen und angezündet wurde, rate ich jedem Nachtschwärmer dringend zur Taschenlampe!

Bali kann froh sein, daß es eine tropische Insel ist. Bei der dichten Besiedlung wäre die Insel schon längst in ihren eigenen Schwelfeuerabgasen erstickt oder hätte schon längst keine landwirtschaftlich nutzbare Fläche mehr, wenn nicht ein gnädiger Wind den Gestank der Plastikfeuer über das Meer verwehte, wenn nicht der jeweils nächste Regenguß die Asche und Rückstände mit fortschwemmte und wenn nicht eine üppige Vegetation alle Sünden und Wunden einfach überwucherte.

Der Kunststoff ist der eigentliche Fluch der Insel. Aus naheliegenden Gründen werden selbst bei Tempelfesten einzeln zugeschweißte Plastikbecher mit Trinkwasser immer populärer - nach dem Fest wird alles mit Palmblattrippen-Besen zusammengekehrt und angezündet. Es stinkt zum Himmel. Bei Totenverbrennungen hält auch Schaumstoff und Synthetik Einzug - die gelbgrauen Qualmwolken sind meilenweit zu sehen und zu riechen.

Auch sonst ist das Bewußtsein für die Tragfähigkeit des Ökosystems einfach nicht vorhanden. Damit meine ich nicht, daß gerade Ärmere in den Dörfern keine eigenen sanitären Anlagen haben und den Bewässerungskanal als Badewanne und den Wald als Toilette nehmen - alles noch im Rahmen. Aber daß LKWs zum Waschen einfach in den Fluß gesteuert werden oder daß der Kohl zwischen alten Batterien wächst, wird sich Bali nicht mehr lange leisten können.

Ein nicht so augenfälliges, weil nicht so stinkendes, aber umso nachhaltiger schädigendes Problem ist die nicht mehr mit dem natürlichen Gleichgewicht in Einklang stehende Nutzung des Landes wie z. B. die irreversible Umwandlung der Mangrovensümpfe an der Nordküste von Java in Garnelenfarmen oder die zu intensive Nutzung des tropischen Holzes. Zum Glück sind weite Gebiete des Landes rings um die Vulkane so unwegsam, daß sich dort wirklich noch tropischer Primärwald gehalten hat (insbesondere um den Batukaru), aber das Kreischen der Kettensägen begleitet einen in weiten Urwaldgebieten von Balis Osten, und große Teile des Landes sind allenfalls noch von Sekundärwald begrünt.

Ein weiteres nicht zu übersehendes Problem ist die Zersiedelung des Landes. Ein großer Teil des Landes ist nicht oder nur sehr dünn besiedelt - der Nationalpark im Westen oder die Regionen um die Vulkane. Umso mehr drängelt sich alles in der fruchtbaren Ebene bzw. in den Tälern südlich der Vulkankette bzw. entlang der Küstenstraße rings um die Insel. Die Dörfer und Städte wachsen entlang ihrer Verbindungsstraßen zusammen. Die Bebauung ist nicht sehr dicht. Schon innerhalb eines Anwesens bevorzugt man eine Ansammlung von nach einem bestimmten Schema verteilten Hallen und Gebäuden auf dem Grundstück, dazu kommen noch landwirtschaftliche Nutzflächen. Der Übergang von einer Stadt ins Umland ist eher fließend. Nicht Ortsschild und damit Schluß, sondern unendliche Vorstädte, seien es landwirtschaftliche Betriebe, einfachere Quartiere oder noblere Hotelanlagen - es ist manchmal einfach uferlos. Wir sind - einfach gesprochen - von der Geschichte unserer Städte einen hochkondensierten Kern gewohnt, dann Stadtmauer und darüber hinaus nur noch Felder und Gehöfte. Auf Bali hat es nie diese Begrenzung der Städte und Dörfer nach außen durch eine Mauer o.ä. gegeben. Es wird nach außen einfach immer lockerer bebaut, und die Tiefe in den Seitenstraßen nimmt ab, aber die Häuser begleiten einen noch kilometerweit entlang der Straße, bis sie wieder dichter werden und schon das nächste Dorf ankündigen. Umso endloser läuft man die Straßen entlang, bis man z. B. vom Markt "ins Grüne" gelangt oder bis man vom Hotel aus endlich die "Innenstadt" erreicht. In Lovina Beach war es über 1 Stunde Fußmarsch einfache Strecke von der Unterkunft ins eigentliche Zentrum, in Candi Dasa eine Dreiviertelstunde. In noch viel größerem Ausmaß gilt das Gesagte für die von mir besuchten Großstädte in Javas Osten (Situbondo, Probolingo). Es handelt sich um riesige Städte, aber lang nicht so verdichtet wie unsere Großstädte. Umso endloser erscheinen sie einem bei der Durchfahrt, um so größer sind die Entfernungen beispielsweise von der "Innenstadt" zum Busterminal etc. Es ist vollkommen abwegig, hier - vor allem mit Gepäck - in kleinmaßstäblichen deutschen Dimensionen zu denken und auf die eigenen Füße zu vertrauen.

Zurück zur Verwachsenheit von Natur und bebautem Raum: Das hier für die Stadt Gesagte gilt in kleinem Maßstab ebenso für ein traditionelles Anwesen: Es gibt keine eigentliche Trennung von Natur und Bauwerk, keine strikte Trennung zwischen Haus und Garten, beides ist verwoben. Ein traditionelles Heim besteht aus mehreren Pavillons, die entweder ganz offen sind oder die zur Hälfte einen umbauten Schlafraum enthalten und ansonsten über offene Galerien und Veranden verfügen. Der Übergang in die Natur ist fließend - beim Gang vom Schlafzimmer zur Küche oder vom Kinderzimmer zum Familientempel durchquert man den eigenen Garten. Das Maß an Privatheit des Raumes wird eigentlich nur durch die hochzusteigenden Stufen definiert, und Pflanzen und Tiere nutzen die Freiräume und fließenden Übergänge.

Beidesmal handelt es sich um dasselbe Prinzip, einmal erleben wir es als Offenbarung, einmal als Bedrohung. Diese prinzipielle Offenheit der Natur gegenüber, die Öffnung des Bauwerks zur Natur macht die Schönheit eines traditionellen balinesischen Hauses aus, und die Öffnung der Ansiedlung zur umgebenden Landschaft ist Fluch der balinesischen Siedlung. Das Fehlen rigider Grenzen zwischen Drinnen und Draußen einerseits schenkt uns das Erlebnis der offenen tropischen Bauweise, das Fehlen der selben Grenzen zwischen Stadt und Land bedeutet Bedrohung der tropischen Landschaft durch Zersiedelung andererseits.

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