Bernhard Peter
Totenverbrennung auf Bali 2002
Eine Totenverbrennung in Teges, Bali

Eine Totenverbrennung ist ein Ereignis, welches man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte, wenn man die Möglichkeit hat, daran teilzunehmen. Von Seiten der Familie hat man immer die Möglichkeit, sich eine Verbrennung anzuschauen. Eine Verbrennung ist ein gemeinschaftliches Ereignis, das den ganzen Banjar sowie entfernteste Verwandte miteinbezieht, warum sollte nicht auch der Tourist sein Plätzchen finden? Es ist vollkommen o.k., man wird nie als Störfaktor betrachtet und weggeschickt. Man stelle sich das mal in Deutschland vor: Ein Tourist lungert mit Kamera vor einem Trauerhaus herum. Ein Angehöriger tritt aus dem Haus, läuft auf ihn zu, bittet ihn hinein mit den Worten "Kommen Sie rein, deswegen sind Sie doch hergekommen, um sich so etwas anzuschauen, los, kommen Sie schon. Und photographieren können Sie, so viel Sie wollen." Erst wenn man sich das mal andersherum vorstellt, wird einem manchmal klar, wie gastfreundlich und offen die Balinesen dem Touristen gegenüber sind. Es gibt höchstens Unterschiede je nach Kaste. Bei Sudras kann man sicherlich ins Familienheim hinein und bei allen Vorbereitungen zusehen, bei hohen Kasten ist dies weniger leicht möglich, weil die Angehörigen höherer Kasten auf besondere rituelle Reinheit achten. Der Zug und die Verbrennung selbst sind natürlich öffentlich.

Wie erfährt man, wo eine Totenverbrennung ist? In den Touristenzentren, z. B. in Ubud, gibt es in der Tourist-Information eine Tafel, auf der aktuelle kulturelle Ereignisse angekündigt werden, Prozessionen, Odalans und auch Verbrennungen. Häufig werden gleichzeitig Fahrten dahin organisiert. Oder man frage gleich in örtlichen Reisebüros nach Cremation tours. Das bietet eine gewisse Garantie, daß es in erster Linie ein Touristenspektakel wird, denn gerade bei Verbrennungen hochgestellter Persönlichkeiten werden von überall her Touristen busweise herangekarrt. Außerdem ist es teuer, denn die Reiseveranstalter wissen um die Sehnsucht der Touristen nach spektakulären Verbrennungen und lassen sich die Unfähigkeit zur Nutzung lokaler Transportmöglichkeiten teuer bezahlen. Aus der Nähe sieht man da nicht mehr viel, die Atmosphäre einer gemeinschaftlichen Begleitung auf dem Weg der Seele zum Aufbruch ist dahin, jeder Tourist drängt sich vor für das beste Photo. Fazit: Die Atmosphäre ist am besten bei Verbrennungen von "Kleinen Leuten" in irgendwelchen Dörfern, hier bekommt man den engsten Kontakt zur Familie. Die Verbrennungen von Brahmanen oder anderen Hochkasten-Angehörigen sind dagegen die prächtigeren Anlässe, mit den höchsten Türmen, den meisten Menschen und dem schönsten Spektakel. Also entscheiden: Privatheit oder Spektakel? Die beste Methode, von Verbrennungen zu erfahren ist fragen, den Vermieter, den Bike driver, die Bedienung im Warung etc. So erfährt man, was in der weitläufigen Verwandtschaft passiert, was in den nicht-touristischen Dörfern los ist. Um so bereitwilliger teilen einem Taxi driver so etwas mit, wenn man durchblicken läßt, daß man sich über den Transport einig werden könnte.

Verbrennung sofort oder später? Eine Verbrennung ist ein soziales Ereignis erster Klasse, ein farbenprächtiges und aufregendes Spektakel und vor allem eines - teuer. So teuer, daß eine Familie das kaum bezahlen kann. Angehörige hoher Kasten müssen unmittelbar verbrannt werden, da hilft kein Aufschub, da muß die ganze Familie ihre Groschen zusammenkratzen und darf sich auch im Spektakel nicht lumpen lassen. Bei niedrigen Kasten kann man sich eine Verbrennung eigentlich noch weniger leisten, deswegen wird der Verstorbene häufig erst einmal zwischengelagert, d. h. beerdigt, bis die Familie das Geld zusammengespart hat. Deswegen gibt es Friedhöfe neben den Totentempeln, Pura Dalem. Doch beim genauen Hinsehen sind alle Grabsteine sehr jungen Datums. 1, 2, 3 ganz selten über 4 Jahre liegen die Toten hier, weil die Familie währenddessen alles unternimmt, um Geld zu sparen für eine würdige Veranstaltung. Was ist so teuer? Das ist in erster Linie die Bewirtung aller Verwandten und Helfer sowie die Bezahlung des Priesters für die Riten.

Selbstverständlich kann man das auch ganz einfach und billig haben: Ein paar Opfer, ein Priester, Feuer, fertig. Doch das widerspricht zutiefst balinesischen Selbstwertgefühls. Man ist es sich, insbesondere dem Verstorbenen, den Verwandten sowie dem Dorf schuldig, eine "gute" Verbrennung zu machen. Jede Form von Geiz wäre ein Akt der Respektlosigkeit gegenüber dem Verstorbenen. Eine großartige Verbrennung beeindruckt Geister, Seelen und Nachbarn zugleich. Außerdem wird der Verstorbene bald ein verehrter, ja, ein vergöttlichter Ahn, da wäre eine Billigverbrennung ein äußerst schlechter Start. Also wird eine Verbrennung gefeiert, was die finanziellen Möglichkeiten und Reserven hergeben.

Einzelverbrennung oder Massenverbrennung? Wegen der immensen Kosten nutzen Angehörige niederer Kasten oder Sudras gerne die Möglichkeit, sich woanders einzuklinken. Wenn daher ein Angehöriger einer hohen Kaste mit großem Pomp und Zeremoniell verbrannt wird, werden einige Familien fragen, ob sie ihren Toten dazustellen dürfen. So kann es zu richtigen Massenverbrennungen kommen, wo der Hauptzuverbrennende von vielen kleinen Holzstößen mit kleinen Päckchen darauf umgeben ist. Oder man tut sich zu mehreren zusammen und organisiert im Dorf eine gemeinschaftliche Verbrennung, wenn mehrere Familien das gleiche Problem haben und sich die Kosten gerne teilen würden.

Was braucht man für Teilnahme an einer Verbrennung? Erstens ist es ein religiöses Ereignis, deshalb ist rituelle Kleidung angesagt, mindestens Sarong und Hüftschärpe, Hemd und evtl. Udeng in Schwarz. Zweitens braucht der Zuschauer Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Teilnehmer an Cremation tours sollten sich darauf einstellen, daß es morgens zum Platz geht, dann wird bis nachmittags (!) gewartet, ehe es endlich losgeht. Und keiner traut sich, den Platz kurzfristig zu verlassen, weil ja genau dann das Entscheidende geschehen könnte. Also warten, warten, warten. Bei der kleinen Verbrennung, die ich in Teges gesehen habe, kam ich um ca. 12 Uhr hinzu, die Vorbereitungen im Hause waren schon in vollem Gange. Bis allerdings der Priester fertig war und der Zug begann, war es 4 Uhr, und die Asche wurde um ca. 6 Uhr abends eingesammelt. Das ist so ein typischer zeitlicher Rahmen für einfache Verbrennungen. Und drittens genug Filme. Aus purer Nervosität, weil alles so lange dauert, verknipst man zu viele Bildchen, weil jedes Detail so interessant ist, und die eigentlich fotogenen Szenen kommen erst noch! Ich denke z. B. an ein englisches Paar, das während der Vorbereitungen im Hause total gestreßt von einem Touristen zum nächsten ging und nach überschüssigen Filmen fragte, die sie abkaufen könnten - vergeblich. Dabei hätte sie dreimal den Weg nach Ubud zum Filmekaufen und zurück schaffen können, bis es endlich richtig losging.

Eine Verbrennung in Teges: Diese Verbrennung war sogar in der Tourist-Information in Ubud ausgeschrieben, doch wahrscheinlich zu klein, um viel Touristen anzulocken. Auf der Jalan Raya verhandelte ich mit einem Bikedriver über Transport nach Teges. Er wußte auch nicht, wo die Verbrennung sein sollte, und hatte es furchtbar eilig, wieder zurückzufahren. Die Verbrennung ist natürlich beim Pura Dalem, aber das Haus kann meilenweit entfernt sein. Schließlich nach langem Durchfragen sah ich in einer schmalen Gasse die Vorbereitungen. In strahlendem Sonnenlicht standen da zwei Bambusplattformen, aus armdicken grünen Bambusstangen mit schwarzem Plastikklebeband zusammengebunden, jede auf kurzen Beinchen, so daß sie leichter anzuheben sind. Auf der ersten Plattform war der Verbrennungssarkophag befestigt: Ein roter Leopard mit schiefem, wild gefletschten Maul, grimmigen Augen und einem kleinen weißen Tuch über dem Kopf gespannt. Der ganze Körper war von rotem Samt überzogen und mit golden zungenförmigen Applikationen so leopardenhaft wie möglich gestaltet. Auf der zweiten, hinteren Plattform war der Verbrennungsturm befestigt. Ein stufenförmiger Aufbau mit zentralem Schrein und Dach, ganz in Gold, bunten Farben und mit Druckbrokat verziert, dazu viele Tücher in den heiligen Farben weiß und gelb.

Sarkophag und Turm: Jeder zu Verbrennende hat zwei zu tragende Großkonstruktionen: Im Turm wird der Leichnam befördert, oder ein stellvertretendes Objekt (s. u.). Im Sarkophag dagegen wird er verbrannt. Beide Konstruktionen werden im Leichenzug mitgeführt. Die Umbettung vom Turm in den Sarkophag findet am Verbrennungsplatz statt. Beide Konstruktionen variieren je nach Kaste. Die Sarkophage sind immer in Form vierfüßiger Tiere. Brahmanen haben einen weißen Stier (lembu, oder eine gelbe Kuh für Frauen), dann folgt der schwarze Stier. Das Privileg des schwarzen Stieres (Reittier Shivas, Gottesaspekt des Todes!) kann auch Angehörigen der zweiten Kaste verliehen werden. Es gibt ferner geflügelte Löwen, Fisch-Elefanten (gajah mina), Hirsche und Leoparden. Wichtig ist, daß das Tier vier Füße hat, denn die vier Füße symbolisieren die kanda empat, die vier spirituellen Geschwister. Der Verbrennungsturm (wadah oder bade) ist um so höher und hat umso mehr Dächer, je höher der Tote gestellt war. Ein Brahmane königlichen Geschlechts hat bis zu 11 Dächern, niedere Kasten 3-9, Kastenlose ein einziges Dach. Der Turm symbolisiert das Universum: Ganz unten die Unterwelt mit der Schildkröte, auf deren Panzer die Welt ruht, gebunden von den zwei Drachenschlangen. Darüber die Welt des Menschen mit dem Toten, oben die Himmelswelt mit ihren Dächern. Auf der Rückseite ist Bhoma oder einfach ein Photo des Toten. Manchmal ist ein Turm so hoch, daß die Telefon- und Stromleitungen auf der Prozessionsstraße abgebaut und nachher wieder aufgebaut werden müssen! Hohe Kasten können sich da nicht lumpen lassen und bezahlen lieber Telefongesellschaft und Elektrizitätsgesellschaft, als daß sie auf die ihnen zustehenden hohen Türme verzichten würden.

Im Haus: Draußen sitzen Männer des Banjar und rauchen und schwatzen, alles wartet auf den Priester. Aus dem Hause erscheint ein Angehöriger und lädt die Anwesenden zum Eintreten ein. Das Anwesen ist gedrängt voller Leute, alle Damen in feinster Festkleidung. Der Hof des Anwesens ist extra für diesen Anlaß überdacht worden mit Gerüsten aus Bambusstangen und Palmblattdächern, die durch feine Schlitze Sonnenstrahlen einlassen. Brokat ist zum Schmuck angebracht. Ein Turm als Sitz für den Priester ist gebaut worden, Lampen und Leitungen verlegt worden. Die Stimmung ist angespannt, erwartungsvoll, nicht verzweifelt oder traurig. Es ist auch kein Trauerfest, sondern man ist glücklich, es sich endlich leisten zu können, der verstorbenen Seele den Beginn eines neuen Zyklus zu ermöglichen. Denn erst die Verbrennung trennt die Seele vollständig vom Körper, erst nach abgeschlossener Verbrennung der sterblichen Hülle kann sich die Seele eine neue Existenz suchen. Solange der Körper nicht verbrannt ist, bleibt die Seele in seiner Nähe, schwebt sozusagen noch über ihm und kann sich nicht richtig von ihm lösen. Die unsterbliche Seele (atman) kann sich auch im Schlafe vom Menschen lösen, umherstreifen und etwas erleben, was wir nach Rückkehr der Seele als Träume bezeichnen. Wenn die Seele nicht mehr in den Körper zurück kommt, tritt der Tod ein. Doch die Seele bleibt in der Nähe und hat noch so starke Bindungen an den Körper, daß sie jetzt noch nicht in der Lage ist, auf die große Reise aufzubrechen. Schlimmer, sie kann als Geist die Hinterbliebenen heimsuchen. Erst die Verbrennung löscht diese behindernden Bindungen aus. Doch jetzt endlich haben alle mitgeholfen und gespart, damit die Seele des Verwandten sich ein neues Zuhause suchen kann - man ist froh, es geschafft zu haben, man ist froh, endlich seiner Pflicht nachkommen zu können, man freut sich für die unsterbliche Seele des Toten, daß ihr "Leben" weitergeht und sie sich eine neue Existenz suchen kann. Der Tod ist in Bali nicht die große menschliche Tragödie, sondern ein weiterer Schritt weiter dem großen Ziel aller Seelen entgegen: Der Wiedervereinigung mit Sanghyan Widdhi Waca. Der Körper ist nur eine unreine, zeitweilige Hülle ohne eigene Signifikanz, er ist zeitweiliger Wohnort der Seele, durch ihn ist die Seele auf der Welt verankert. Um so mehr konzentriert man sich jetzt auf der Seele Weg zum Himmel. Der leblose Körper ist etwas, das jetzt noch der vollständigen Befreiung der Seele im Weg steht und so schnell und erfolgreich wie möglich vernichtet werden sollte. Das ist die Stimmung im Hause. Und man ist ein bißchen müde von den tagelangen Vorbereitungen.

Gleich hinter dem Eingang ist rechts eine große Halle, in der ein Orchester Platz genommen hat und die Zeremonien sowie das Warten so lange begleitet, bis der Priester kommt.

Die Anwesenden sitzen in allen verfügbaren Pavillons, auf den Stufen oder auf dem Boden, warten, tauschen neueste Nachrichten aus und betrachten die Aktivitäten, in die sie nicht unmittelbar involviert sind. Ständig kommen neue Gäste, Verwandte, Bekannte, Banjar-Mitglieder, bringen Opfergaben, festliche Gestecke auf ihrem Kopf tragend, schreiten sie durch das Tor, reichen die Opfergaben den Angehörigen und werden dann von diesen betreut und bewirtet, reihen sich in den Kreis der Familie und warten auf die nächsten Ankömmlinge. Lichtstrahlen dringen durch die improvisierten Palmblattdächer und strahlen den Rauch der Räucherstäbchen an, so daß helle Nebelstrahlen dem Ort Atmosphäre verleihen. Im Zentrum des Geschehens ist die Bahre selbst, eine Art Bett, auf dem in Tüchern verborgen etwas ruht. Es ist nicht der Tote selbst bzw. seine Überreste. Der war zwischenbeerdigt worden, und um nichts in der Welt würde man die wieder ausgegrabenen Reste wieder ins Haus nehmen. Die Reste des Toten hat man nach dem Ausgraben in einem Schrein in der Nähe des Verbrennungsplatzes deponiert, sie werden erst viel später diskret hervorgeholt und in den Sarkophag gesteckt. Nein, auf dieser Bahre ruht etwas Stellvertretendes (Adegan) in die Tücher gehüllt. Man sieht eigentlich gar nichts, so hoch türmen sich die Opfergaben.

Opfergaben jeden Alters, jeder Form. Sichtlich einige Tage alt sind die Streifen Speck und die Sate-Spieße, die einen leicht strengen Geruch verbreiten und im brennenden Interesse aller Fliegen stehen. Neueren Datums ist eher der Bettpfosten links vorne, der eigentlich gar kein Bettpfosten ist, sondern ein langer Spieß, auf dem ein ganzes, gegrilltes Ferkel steckt, so daß der Stock aus seiner Schnauze ragt. Dazwischen Blütengestecke, Canangs, große palmblattverzierte Gaben. Und immer neue Gaben werden zur Witwe heraufgereicht, die sie in Empfang nimmt und ordnet. Links neben diesem Gebäude ist ein etwas erhöhter provisorischer Tisch, auch auf ihm lagenweise Canangs unterschiedlichsten Inhalts und unterschiedlichsten Alters. Die untersten vergammeln schon leicht, die obersten strahlen in blütenbunter Reinheit und Frische. Alle Opfergaben zur Freude der Ahnen und der Seele, die sich bald zu ihnen gesellen wird, aber auch zur Befriedigung der bösen Geister, Bhutas und Kalas, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, menschliches Handeln zu durchkreuzen, wenn man sie nicht günstig stimmt. Und die Opfergaben sollen Gott anrufen, die Seele zu reinigen und ihr eine bessere Existenz bei ihrer Wiedergeburt zu ermöglichen.

Schließlich ist unter den Neuankömmlingen ein gewichtiger würdiger Herr mit Aktentasche. Er betritt das Haus und wird zu seinem Sitz geleitet. Das ist ein Turm aus Bambusstangen mit einer Sitzplattform in ca. 1.50 m Höhe und Dach darüber, gedeckt mit Palmblättern. Es ist nämlich der Pedanda, der Priester, seines Standes Brahmane. Für diese Zeremonie muß es ein Hochpriester, ein Pedanda sein, ein Pemangku genügt nicht. Auf diesem Turm thront er im Schneidersitz hoch über der Menge. Es ist nämlich Regel, daß niemand höher sitzen darf oder seinen Kopf höher tragen darf als der Brahmanenpriester. So ist garantiert, daß er immer über den Anwesenden thront. Er beginnt in aller Ruhe auszupacken: In seinem Aktenkoffer hat er seine Utensilien, er beginnt sich zu kleiden. Weißes Hemd, dann kommen die Ketten. Dreifache Kette von der linken Schulter zur rechten Hüfte, dreifache Kette von der rechten Schulter zur linken Hüfte, dreifache Kette um den Hals. Eine kleine, einfache Kette wird über jedes Ohrläppchen gehängt. Dann wird die hohe, glockenförmige, schwarze und goldverzierte Mütze aufgesetzt. Jetzt wendet er sich den heiligen Gerätschaften zu: Die Glocke, mit der die Götter zur Anwesenheit angerufen werden. Räucherstäbchen. Blüten. Heiliges Wasser. Schalen. Fast fließend gehen die Vorbereitungen in rituelle Handlungen über. Heilige Texte werden murmelnd rezitiert, während immer noch Gäste mit Opfergaben kommen. Heiliges Wasser wird mit den Fingern über die Anwesenden geschnippt. Blutrote Hibiskusblüten sowie weiße duftende Frangipani-Blüten werden segnend in die Hände genommen. Lange Rezitationen folgen in mystischer Versenkung, dann werden die Blüten achtlos über die Anwesenden geworfen. Neue heilige Texte, Räucherstäbchen werden entzündet und an die Bahre gesteckt. Neues heiliges Wasser, neue Blüten, neue Rezitationen. Opfergaben werden ihm gereicht, auch über diese werden heilige Texte gemurmelt, in unendlicher Ruhe werden immer weitere heilige Texte rezitiert. Und plötzlich, ohne daß man sich dessen recht gewahr wird, kommt Bewegung in die Menge. Jeder greift sich eine Opfergabe, einen rituellen Gegenstand, das aufgespießte Ferkel etc., ordnet sich in kreisender Richtung, dann wird der Aufbruch eingeleitet. Das Geschehen verlagert sich nun abrupt auf die Straße. Mehrere Männer des Banjar haben schon die Transportgestelle in die richtige Richtung gedreht und erledigen letzte Handgriffe. Das Stellvertreterobjekt wird in den Transportturm gelegt, die weißen und gelben Tücher geordnet. Die Opfergaben werden aus dem Haus gebracht. Ein Gestell ist so groß, daß man es nicht durch den engen Spalt zwischen Dämonenabwehrmauer und Tor hindurchbringt, es wird schließlich über die Mauer geworfen, damit es auch noch mit kann. Draußen sind inzwischen die Musikanten vollzählig, tragbare Gongs, an Stangen getragene Becken, Trommeln etc., schön mit roten Wollquasten verziert. Ein alter Mann trägt auf seiner Schulter die lange Stange mit dem Ferkel, ein zweiter hält das rituelle Messer, ein besonders geformtes Hiebmesser, mit dem nachher der Sarkophag-Rücken geöffnet werden wird. Ein junger Mann tritt nun aus dem Haus, in seiner Hand ein Stab mit einem ausgestopften Paradiesvogel (manuk dewata). Er wird später den Transportturm besteigen und den ganzen Weg lang mit dem Vogel dort oben stehen. Der Vogel symbolisiert die unsterbliche, gereinigte Seele, zu der die noch unreine mitreisende Seele atman bald wird und welche sich bald zur Freude aller in unendliche Weiten aufschwingen wird auf der Suche nach einer neuen Existenz. Ein anderer Mann trägt an einer langen Schnur einen lebendigen Vogel, vielleicht eine Wachtel o.ä., die mittlerweile von der stundenlangen Gefangenschaft ganz apathisch geworden ist und sich nicht so ganz sicher ist, ob sie da lebend wieder raus kommt. Sie wird. Denn es ist Brauch, bei der Verbrennung Vögel freizulassen bzw. in eine günstige Richtung freizuwerfen, auch dies symbolisiert das Wegfliegen der unsterblichen Seele des Toten.

Vom Transportturm gehen nach vorne lange weiße oder gelbe Tuchbahnen (lancingan), die von anwesenden Frauen über dem Kopfe gespannt gehalten werden; das symbolisiert, daß alle mithelfen, das Objekt zu tragen. ich habe Gleiches auch bei einer Prozession in Ubud gesehen, wo Schreine zu einem Tempel in Campuhan gebracht wurden. Auch bei einer Verbrennung, deren Zug ich in Nordbali gesehen habe, waren lange Tücher gespannt, die von ca. 20-30 Frauen in Paaren getragen wurden.

Pecalangs, Tempelwächter in ihrem charakteristischen Outfit, schwarz-weiß-karierter Sarong, schwarzes T-Shirt und schwarzes oder schwarz-weißes Udeng, mit roten Säumen, riegeln den Verkehr auf der Hauptstraße ab. Die jungen Männer des Banjar und aus der Verwandtschaft stellen sich in die Lücken zwischen den Bambusstreben des Tragegestelles von Sarkophag und Turm, und los geht der Transport! Doch was ist das für ein Weg, der da eingeschlagen wird? Wie Trunkene gebärdet sich die Gruppe Träger. Turm und Sarg werden geschwungen, hin und her gewackelt, geschüttelt, als das Team seinen Rhythmus gefunden hat, gedreht und gewendet, wenige Meter getragen, dann wieder gedreht und unter heftigem Schütteln und Trara wieder gedreht. Warum? Die Familie macht schließlich den ganzen Aufwand, damit die Seele wirklich auf den Weg in die Unendlichkeit gebracht wird. Und das soll erfolgreich sein, also muß sie so verwirrt werden, daß sie den Weg zurück nicht mehr finden kann. An der Intensität des Schüttelns soll man angeblich ermessen können, ob der Verstorbene eher beliebt oder unbeliebt im Banjar war... Doch dieses Verwirren (wenn ich die Seele wäre, wäre mir schon ganz schlecht) ist nicht alles, was dem Zug auf seinem Weg zum wenige Kilometer entfernten Verbrennungsplatz zustößt. Viele Bewässerungskanäle werden unter der Straße durchgeführt, man durchquert gerade die an das Dorf angrenzenden Reisfelder. Hurtig springen Jugendliche vor und schöpfen aus diesen Gräben reichlich Wasser über die Träger, über den Sarkophag, über die Anwesenden. Eine ausgelassene Wasserschlacht ist im Gange. Dann wird wieder angehalten gedreht und geschüttelt, dann geht es weiter zum nächsten Bewässerungskanal, selbes Schauspiel.

Schließlich sieht man linkerhand den Totentempel des Dorfes, den Pura Dalem liegen. Er liegt immer meerwärts, d. h. in die unreine Richtung. Er ist immer Shiva, dem zerstörerischen Aspekt Gottes geweiht. Shiva ist der Aspekt Gottes, welcher löst und zerstört. Gleich rechts zweigt der Zug ins Gebüsch ab und erreicht eine Lichtung unter Palmen, den Verbrennungsplatz. Eine Plattform und viel Holz sind schon vorbereitet, dazu eine kleine Turmkonstruktion ähnlich der, die sich im Hause für den Pedanda befunden hatte. Mit einem Hiebmesser werden die Plastikbänder zerschnitten, welche den Sarg auf dem Transportgestell festhalten. Der mittlerweile arg zerzauste und patschnasse Leopard wird auf die Plattform über den Holzscheiten gehievt. Der Transportturm wird, nachdem man ihm das Stellvertreterobjekt entnommen hat, achtlos in den Straßengraben gestürzt. Man macht sich noch nicht einmal die Mühe, den Turm vom Gestell zu lösen. Alle Aufmerksamkeit ist nun auf den roten Leoparden gerichtet. Mit dem rituellen Hiebmesser wird mittels kräftiger Schläge der Rücken geöffnet. Die Konstruktion wird sichtbar. Der burgunderrote Samt wird gnadenlos aufgerissen, gelbe Lagen von Schaumgummipolsterung kommen zum Vorschein, darunter das formgebende Drahtgeflecht und ein hölzerner Trog, in den hinein nun alles Folgende gelegt wird. Angehörige drängeln sich um den geöffneten Rücken. Viele Dinge werden hineingegeben: Ein Bündel aus weißen Tüchern, vermutlich die sterblichen Überreste, die man aus dem Schrein geholt hat, Opfergaben, das Stellvertreterobjekt. Ein Tablett mit Schalen wird gereicht. In jeder ist ein Plastikbeutel mit Wasser, worin ein paar Blüten schwimmen, heiliges Wasser verschiedenster Genese. Alles wird in den Sarkophag gegeben, mit weißen und gelben Tüchern zugedeckt, dann wird der Deckel wieder zugeklappt. Mit dem Messer schneiden sich die Pecalangs lange Bambusstangen aus der Transportplattform und stellen sich damit rings um den Scheiterhaufen auf. Helfer schichten Holzscheite. Ein weiterer bringt den Kerosinkanister, denn man will ja ein schönes Feuer, und der ganze Stoffüberzug des Leoparden ist immer noch patschnaß. Und schon hat jemand ein Streichholz gezückt, und die Flammen lodern empor. Schnell steht eine riesige Qualmwolke über dem Verbrennungsplatz, die Luft wird ätzend, gelbe Schwaden mischen sich mit weißen. Zum einen verdampft das ganze Wasser aus dem "Fell" des Leoparden und das in ihn hineingeschüttete heilige Wasser, zum anderen denke man an die Materialien: Synthetik-Samt, Schaumgummi-Polsterung, Plastikbänder zum Zusammenbinden etc. Nicht gerade umweltfreundlich, so eine Verbrennung! Es stinkt im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel, und man flüchtet schnellstens auf einen Platz in Windrichtung. Den anderen scheint es nichts auszumachen, sie hocken auf dem Boden und lassen die Schwaden in stoischer Gelassenheit über sich hinwegziehen. Wie kann eine heilige Handlung ungesund sein? Die Seele wird befreit, das allein ist jetzt wichtig. Der Brand zerfrißt den Leoparden. Schon wird das tragende Gestell und das Drahtgeflecht sichtbar. Der Kopf bricht ab und kullert den Pecalangs vor die Füße, die ihn wieder mit den Bambusstangen ins Feuer zurückbefördern. Mit ihren langen Stangen sorgen sie dafür, daß nichts verloren geht und alles schön durchglüht. Nach der Verbrennung wird etwas von der Asche eingesammelt und später ins Meer oder in einen nahen Fluß gebracht. Weiterhin werden jetzt die anderen Utensilien, z. B. die Bambusgestelle und der Transportturm dem Feuer übergeben.

Man sieht ein dramatisches Ereignis, sollte sich aber der Tatsache bewußt sein, daß das nur ein winziger Ausschnitt des Geschehens ist. Ein winziger Ausschnitt insofern, als die unsterbliche Seele dieses in mehr oder weniger ähnlicher Form schon mehrfach erlebt hat und noch erleben wird. Auch ein winziger Ausschnitt insofern, als er zugleich den Abschluß wochenlanger Vorbereitungen und den Ausgangspunkt weiterer wichtiger Übergangsriten darstellt.

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