Bernhard
Peter
Schattenspiel
in Bali 2002
Mit
dem Bananenstamm fängt alles an: Wayang Kulit auf Bali
Ein frisch geschlagener Bananenstamm, bei einem
Tempelfest irgendwo in der Ecke vorbereitet, ist erstes
sichtbares Zeichen einer bald stattfindenden Aufführung des
Wayang Kulit, des Schattenspiels. Wichtigstes Utensil der Bühne,
werden in diesen weichen und wasserhaltigen Stamm doch die
spitzen Stöcke der Figuren gepickt, wenn sie als Dauersymbol
längere Zeit sichtbar sein sollen oder einfach, um sie am Rand
der Bühne in Griffweite zu haben, oder um feste Szenenbilder
abzustellen, oder um zu Beginn des Spiels einige wichtige
Charaktere vorzuzeigen, die dem Zuschauer Aufschluß über das zu
erwartende Stück geben. Dazu hat der Bananenstamm noch einen
weiteren Vorzug. Frisch geschlagen, ist er so saftig, daß ihn
auch heruntertropfendes Öl aus der Lampe nicht entzünden
könnte.
Um diesen Bananenstamm wird nun die Bühne
aufgebaut. Das ist ein gespanntes Tuch, dahinter wird an einem
horizontalen Stab die Öllampe aufgehängt. Weitere Stangen
stützen diese Konstruktion. Selbstverständlich kennt man auch
in Bali moderne Projektionstechniken, doch das Licht der
Ölfunzel ist unvergleichlich in seiner Atmosphäre, in seiner
flackernden Wärme. Es ist niemals zu erreichen mit elektrischem
Licht, denn sie ist vor allem auch Stimmungsträger. Das warme
Feuerlicht verleiht dem Spiel buchstäblich Wärme, das Flackern
der Flamme im Luftzug gibt dem Spiel zusätzliches Leben.
Am schönsten ist es, dem Puppenmeister, dem Dalang
hinter der Bühne zuzuschauen. Er sitzt im Schneidersitz hinter
dem Bananenstamm auf dem Boden oder auf einer Matte, rechts und
links von ihm die geöffneten Kisten mit Figuren, die wichtigsten
davon in der Reihe ihres Auftretens rechts oder links oder auf
beiden Seiten an das Gerüst gelehnt. Über oder vor seiner Stirn
hängt die Öllampe, er selbst reicht unter ihr durch und führt
die Figuren. Daraus folgt, daß die Figuren seltenst ganz dem
Tuch aufliegen, das tun sie nur, wenn sie in den Bananenstamm zum
zeitweiligen Verbleib gesteckt werden. Ansonsten werden sie
schräg geführt und dabei so gegen das gespannte Tuch gedrückt,
daß das obere Drittel abgebogen wird und plan anliegt und damit
auch den klarsten Schatten erzeugt, während die unteren Teile
schräg von der Leinwand weg weisen und sich damit für den
Betrachter langsam in Unschärfe verlieren. Und diese Unschärfe
gezielt einzusetzen, ist eine wahre Kunst. Figuren werden von
hinten herangeführt, wild wedelnd, tanzend, dann gegen die
Leinwand geschlagen, ganz angedrückt und wieder wegbewegt, dabei
verändern sich für den Betrachter Größe und Schärfe je nach
Dynamik des Spiels. Ein guter Dalang zeigt nicht einfach seine
Figuren, wie wir es tun würden, nämlich auf perfekte Abbildung
achtend, sondern er zieht alle Register der Dynamik:
Größendynamik durch Variation des Abstandes vom Tuch,
Schärfendynamik ebenfalls durch Abstandskontrolle, damit
einhergehend auch Schwärze des Abbildes und Kontrast. Und vor
allem ist es die Bewegung, die Dynamik ins Spiel bringt. Die
Figuren werden nicht nur geführt, gesittet gezeigt, nein, sie
werden unter Brüllen, Fauchen und Fußklappern zur singenden,
gezogenen Sprache des Vortrages an die Leinwand geschlagen, sie
werden wild um die Längsachse hin und her gezwirbelt, daß der
Schatten nur so flackert, sie werden über die Fläche gezogen,
als wolle man Fliegen oder Größeres damit erschlagen, sie
werden in Kampfesszenen auf die Leinwand gepeitscht und gegen
andere Figuren geschmettert, lautlich noch untermalt von
Fußschlägen des Dalangs auf den vor ihm stehenden Holzkasten,
klack! Man staunt, was diese Figuren aushalten, denn sie werden
nicht geschont beim dynamischen Spiel.
Der Dalang hinter der flackernden Öllampe - ein
Schauspiel für sich. Was muß er nicht alles tun: Er führt den
kompletten Dialog aller Stücke, auswendig, dazu in der alten,
singenden Kawi-Sprache, der Ritual- und Zeremonialsprache.
Altjavanisch wird nicht gesprochen, sondern gesungen bzw.
rezitiert. Altjavanische Worte wehen mit den Figuren über die
Leinwand, und auch wer kein Wort versteht (wie die meisten
Zuschauer), ist ergriffen von der Modulation, der Eigendynamik
der Stimme, dem weichen, wehenden, gezogenen Klang. Auch andere
Sprachen werden benutzt: Hochbalinesisch für die Götter,
Mittelbalinesisch für den Adel, Niederbalinesisch für
gewöhnliche Charaktere. Dabei sind die Sprachebenen nicht
Dialekte, sondern wirklich unterschiedliche Sprachen! Der Dalang
kommentiert vermittels der vier lustigen Übersetzerfiguren die
Szenen in Balinesisch oder auch in Bahasa Indonesia, allgemein
verständlich, zur Freude der Zuschauer stellt er dabei auch
manch humoristischen oder satirischen Bezug zur gegenwärtigen
Lage her. Jeder der Zuschauer kennt die bloße Handlung des
Stückes fast so auswendig wie der Dalang selbst. Die wirkliche
Popularität eines Stückes steht und fällt daher mit der
Qualität, die der Dalang den kommentierenden Clown-Figuren
verleiht. So können selbst älteste und altbekannte Stücke zur
politischen Satire oder wahlweise zur Slapstick-Unterhaltung der
Dorfbewohner werden. Und hierin äußert sich die Wertschätzung
des Dalangs beim Dorf: In der sorgfältigen Auswahl und Mischung
von alten Epen für's Religiöse, wilden Action-Kampfszenen für
die Jugend und bissiger Satire und Humor je nach Publikum. In
Pejeng beim Odalan des Pura Agung übersetzte mir mein Freund
Wayan ein wenig das Gesagte, und ich glaube, je subtiler ein
Dalang klassisches Material mit aktuellem Tagesgespräch
verknüpfen kann und die Clown-Übersetzer-Figuren das
ausdrücken lassen kann, was alle gern öffentlich geäußert
hätten, den Finger auf manch wehe Stelle legen läßt, und mit
viel Fingerspitzengefühl ihre Pfeile abschießen läßt, desto
höher ist er beim Volke angesehen. Nicht nur technische
Perfektion oder stures Durchziehen einer perfekt inszenierten
religiösen Handlung ist gefragt, sondern daß der Dalang den
Stoff aktuell "rüberbringt", daß er ihn einfach als
Anlaß für Witz und Humor nimmt, daß er das Volk zum Lachen
bringen kann, indem er den lustigen Figuren beim Kommentieren der
Szenen Humor und Aktualität einhaucht und auch vor groben
Scherzen zur freudigen Ausgelassenheit des Publikums nicht
zurückschreckt.
Was sind die Anlässe für ein Schattenspiel? Das
kann ein Tempelfest sein, bestimmte Zeremonien in festgelegten
Abständen aus Anlaß einer Geburt, bei einer
Zahnfeilungszeremonie, aus Dankbarkeit für eine Gesundung, als
Erziehungsinstrument in Schulen, zur Unterhaltung bei politischen
Anlässen, bei einer Hochzeit oder bei einer Verbrennung etc.
oder einfach aus purer Freude am Spiel.
Der Dalang spielt alle Figuren allein, das können
je nach Stück über hundert sein. Er bedient mit den Füßen
einen hölzernen Klopfer zum akustischen Unterstreichen besonders
aufregender Szenen. Dazu leitet er das Gamelanorchester, welches
hinter ihm und zu seinen Seiten aufgebaut ist. Er ist umgeben von
Gehilfen, die sich um vieles kümmern müssen. Essentiell ist der
Ölnachgießer: Er sorgt für stets gute Füllung der Öllampe,
gießt während des Spieles von hinten oder von der Seite Öl
nach, ohne selbst Schatten zu werfen und ohne Tropfen zu
vergießen. Andere Helfer reichen dem Dalang Figuren, wenn sein
Handvorrat nicht ausreicht. Wiederum ein anderer hat ein
kühlendes nasses Handtuch, mit dem er die schweißtriefende
(Öllampe!) Stirn des Dalang und seinen Rücken von Zeit zu Zeit
abwischt.
Vor allem muß der Dalang eine unglaubliche Vielfalt
an Stimme erzeugen, jedem Charakter individuelles Gepräge geben,
vom unheimlichsten Brüllen bis zum höchsten Tremolo, seine
Stimme muß noch die hinteren Reihen in den Bann der Story
ziehen, und das alles ohne Verstärkung, allein vermittels des in
seiner Stimme transportierten Charismas.
Das ist noch nicht alles, was ein Dalang an
Fähigkeiten haben muß. Meist stellt er dazu selbst die Figuren
her, vom Punzieren des Rindsleders bis zum Bemalen und dem
Herstellen der Spielstäbe.
Die Musik wird von einem speziellen Orchester
gespielt, das hinter dem Dalang im Schutze der Bühne sitzt.
Typisch sind die Gender Wayang, eine Art von Xylophonen, deren
Zungen nicht wie beim normalen Gong leicht zeitlich versetzt mit
der linken Hand, sondern mit den Knöcheln beider Hände fast
gleichzeitig mit dem Anschlag gedämpft werden. Ihren Einsatz
bekommen sie vom Dalang mittels seiner "Fußtrommel",
ein kräftiger Schlag mit dem Knauf zwischen den Zehen auf die
Holzkiste z. B.
Aber auch ohne aktuelle Einlagen und Kommentare ist
es faszinierend zu sehen, mit welch tiefer Ergriffenheit die
Zuschauer dem Spiel folgen. Hundertmal haben sie das Spiel schon
gesehen, die alte Kawi-Sprache verstehen nur wenige Gebildete.
Und trotzdem verfolgen sie das Spiel mit atemloser Faszination,
lassen sich willig und gerne entführen in das Reich der alten
Legenden, geben sich der Mystik der tanzenden Schatten hin, weil
es Teil der Religionsausübung ist. Spiel und Zuschauen sind
integraler Bestandteil von religiösen Handlungen, weil Götter
und Dämonen die wichtigen Rollen des Plots einnehmen. Wie weit
das Schattenspiel religiöse Bedeutung hat, sieht man z. B.
daran, daß anläßlich von Tempelfesten auch ein Spiel am Tage
ohne Öllampe und ohne Leinwand beobachtet werden kann. Nur durch
bloßes Zeigen der Figuren, durch Spielen ohne Schatten werden
die dargestellten Charaktere präsent. Oder es sei auch erwähnt,
daß ein Dalang heiliges Wasser herstellen kann, durch Eintauchen
der Stäbe der Figuren in ein Wassergefäß beim Spielen
derselben. Denn die Figuren, welche heilige Charaktere
darstellen, besitzen selber die Eigenschaft des Geheiligtseins.
Sie werden in hohen Ehren gehalten, nicht nur wegen des
materiellen Wertes, sondern wegen ihres Charakters. Diesen
Figuren können sogar Opfer dargebracht werden.
Wer Schattenspiel-Aufführungen besuchen will,
sollte sich auf eine lange Nacht einstellen. Die
Touristen-Vorführungen sind typische Abendveranstaltung in
besseren Hotels oder Restaurants, aber ohne die echte
Atmosphäre. Die echten Aufführungen sind Bestandteil
religiöser Zeremonien wie z. B. Tempelfesten. Sie beginnen ca.
zwischen 8.00 und 11.00 Uhr abends und sie können Stunden
dauern. 4 Stunden sind durchaus nicht außergewöhnlich! Ich
selbst habe drei Vorführungen angeschaut, zwei anläßlich des
Odalans im Ursprungstempel in Ubud, eine im Pura Agung in Pejeng.
Alle begannen sie spät, als normale Touristen schon langsam nach
Hause trotten, alle dauerten sie sehr, sehr lange, z. T waren sie
als zweiter Programmpunkt nach ausgiebigen Tanzvorführungen
angesetzt. Natürlich sitzt man nicht die ganze Zeit still und
schaut zu. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen in den Reihen
der Zuschauer, einzig der Dalang und sein Team müssen
durchhalten. Von innen nach außen beobachtet man wie bei jeder
Aufführung eine langsame Verschiebung der
Aufmerksamkeitsschwerpunkte. Die innersten Reihen sind voller
Hingabe im Banne der Erzählung. Die hinteren Reihen begleiten
das Spiel mit eigenen Erzählungen, noch weiter außen schätzt
man die mystische Atmosphäre als Hintergrundstimmung für
angeregte Unterhaltung, noch weiter draußen wird gegessen und im
Schein von Petroleumlampen gezockt. Und je nach Phase des Spiels
wächst oder fällt das Interesse. Ist wieder eine lange Phase in
Kawi-Sprache zu erwarten, kann man auch Tagesgeschäfte
besprechen. Unterhalten sich aber auf der Bühne gerade die
clownartigen Übersetzer, kommt alles herbei und rückt enger
zusammen, um sich ausschütten zu können vor Lachen. Das gehört
auch zur Stimmung bei einer solchen Aufführung: Es ist kein
abgetrennter Raum (mit Tür und Eintritt usw.), in dem sich das
Interesse ausschließlich der künstlerischen Darbietung
zuzuwenden hat. Nein, so eine Aufführung ist integraler
Bestandteil eines Tempelfestes als Gesamtkunstwerk. Der Sinn des
Tempelfestes ist es, die Götter zur Anwesenheit anzurufen und
ihnen die schönsten akustischen, optischen, geruchlichen,
geschmacklichen, ästhetischen etc. Reize anzubieten, um sie zu
erfreuen. Das findet überall auf dem Tempelgelände statt, auch
parallel, an bestimmten Stätten wie auf der Bühne des Dalang
verdichten sich einfach diese Bemühungen immens. Doch die
Brücke zu anderen Aktivitäten ist stets gegeben und die
Verbindung zwischen allen einzelnen Bemühungen, die Götter zu
erfreuen, halten die Zuschauer aufrecht. Dazu paßt auch, daß es
problemlos möglich ist, hinter der Bühne zu sitzen und dem
Dalang und seinem Team von hinten zuzuschauen. Es geht hier nicht
um technisch perfekte Inszenierung eines Künstlers, sondern um
das gemeinsame Vollbringen einer Handlung, die die Götter
erfreut, und da ist es vollkommen o.k., sein Interesse auch
hinter der Bühne beizutragen oder zwischen verschiedenen
Attraktionen hin- und herzuwechseln.
Die Figuren sind so stark typisiert, daß kein
Balinese einer Erklärung bedarf, wer jetzt gerade auf der Bühne
ist. Z. B. hat Bhima hat immer eine Schlangenhalskette, egal wie
der Rest der Figur gestaltet ist, Schlangenhalskette bedeutet
Bhima. Die Figuren lassen sich ganz grob einteilen in vier
Gruppen:
Gute, edle Charaktere, feine Lebensart:
Verfeinerte Züge, schmale Mandelaugen, spitze Nasen, lange und
schlanke Gliedmaßen, z. B. Götter, werden vom Dalang zu seiner
Rechten aufgebaut.
Grobschlächtige Typen, häufig unter
den bösen, niederen Charakteren zu finden: Runde Augen, dicke
Nasen, ausgeprägte Eckzähne, plumpe Gliedmaßen, z. B.
Dämonen, werden vom Dalang zu seiner Linken aufgebaut.
Lustige Charaktere: Dicke Bäuche,
skurrile Körperproportionen. Diese Clowns (panasar) dienen der
Unterhaltung der Zuschauer und der Übersetzung der den meisten
unverständlichen Kawi-Texte ins Balinesische, welcher Ebene auch
immer. Durch diese kommentierenden Charaktere schafft der Dalang
die Verbindung zwischen der alten Ritualsprache und den
Zuschauern. Diese Figuren tragen die Komik der Aufführung, hier
fallen die groben Scherze, hier wird politischer Bezug
hergestellt. Diese Übersetzer-Charaktere sind im den originalen
Hindu-Epen nicht vorgesehen und eine balinesische Zutat zu dem
klassischen Stoff.
Die 4 Panasar-Charaktere:
Und zwischen einzelnen Szenen kommt der
Kayon oder auch Kayonan, wie auch am Anfang und am Ende des
Spiels, wie auch vor besonders wichtigen Auftritten. Der Kayonan
ist eine Art stilisierter Weltenbaum. Er wird beileibe nicht
einfach nur gezeigt. Er kommt geflogen, angeflackert, angetanzt,
wabert rhythmisch wieder davon, weht wieder aus der Ferne über
das Tuch, ehe er sich endlich nach vielem Schlagen und Zwirbeln
auf dem Bananenstamm zur Ruhe niederläßt und die folgende Szene
sich unter seiner Obhut entwickeln läßt. Der Kayonan hat viele
Funktionen:
Material für die Aufführungen sind meist die
großen Epen wie Ramayana und Mahabharata. Der Sinn der
Aufführungen ist Darstellung der großen Epen bzw. durch sie des
ewigwährenden Wettstreites zwischen guten und bösen Kräften.
Gute Charaktere werden ebenso wie böse portraitiert, wichtig ist
das Finden des Ausgleichs zwischen beiden, das Finden der eigenen
Position in diesem Spannungsfeld koexistierender Gegenkräfte.
Deshalb wird auch nie das Böse vollständig vernichtet, deshalb
wird auch nie das Gute allein glorifiziert. Wenn der Zuschauer
für sich einen Ausgleich widerstreitender Kräfte erlebt, dann
hat das Spiel auch seine erzieherische Wirkung entfaltet.
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2002-2005
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