Bernhard Peter
Vulkane in Ostjava 2003
Durch Ostjava zu den Vulkanen Bromo und Kawah Ihjen

Standpunkt ist Ubud auf Bali. Man könnte noch Wochen und Monate hier verbringen, aber wenigstens eine zweite indonesische Insel bzw. Subkultur sollte noch auf dem Programm stehen. Die Wahl fiel auf einen Ausflug nach Ostjava, als lohnende Ziele lockten die spektakulären Vulkanlandschaften im Nationalpark Bromo-Tengger-Semeru und das Hochland von Ihjen. Auf der Landkarte mißt man die Strecke ab und entscheidet nach europäischen Dimensionen: Netter Dreitagesausflug, eben Fähre nehmen, auf Kawah Ihjen hoch und zurück. Da lohnt es sich fast nicht, das große Gepäck mitzunehmen und nachher wieder eine neue Unterkunft zu suchen. Also lasse ich alles in meiner Herberge im Losmen in Ubud, mache einen Termin mit dem Fahrer aus und erzähle meiner Vermieterin vom bevorstehenden Ausflug, daß sie sich keine Sorgen macht, wenn ich die nächsten beiden Nächte nicht nach Hause komme. Sie lacht höflich, verlangt aber trotz dableibenden Gepäcks Vorausbezahlung der Unterkunft. Sie schien zu wissen, welche Weltreise das würde! Am nächsten Morgen geht es mit Made als Führer und dem Fahrer in einem gecharterten kleinen Minibus (Nominasi Travel) von Ubud über Mengwi und Negara nach Gilimanuk, vorbei an wunderschönen Reisterrassen, mit Blick auf unberührte Wildnis an den Hängen des westlichen Gebirgszuges. Die Straße ist eigentlich in gutem Zustand, aber das Problem sind die Spuren der Regenzeit. Behelfsbrücken, abgerutschte Böschungen etc. lassen erste Zweifel aufkommen, ob es gut war, sich so weit von seinem Hauptgepäck zu entfernen. Bei Regenzeit wird hier offensichtlich manchmal einfach eine Brücke weggespült. Aber man arbeitet kräftig daran, schließlich ist das die Hauptverbindungsstraße nach Java.

Über die Meerenge bringt einen eine rostige Fähre. Das Warten im Fährhafen nutzen Verkäufer aller Couleur, von Sonnenbrillen über Kekse und Pfusch-Uhren bis zu Fisch und Popcorn wird einem alles angeboten, so daß man sich am liebsten ein Schild ins Fenster kleben würde "Saya tidak mau..." Die Strömung ist immens, die Fähre steuert fast 80 Grad Abweichung vom Kurs, um nicht abgetrieben zu werden. Auf der Fähre wieder diensteifrige Verkäufer, die die schläfrigen Reisenden mit einer Höchstleitungs-Einmannschau vom vielfältigen Nutzen diverser Produkte zu überzeugen versuchen. Höhepunkt war der redegewandte nette Herr, der ein Multifunktions-Portemonnaie anpries und vorführte, das man gleichzeitig als Einkaufsbeutel, als Mütze, als Turban für überraschende Moscheebesuche, als Gürtel etc verwenden konnte. Deutsche Marktschreier sind dagegen richtig einfallslos. Und alles wird ausgeteilt zum Anschauen und Ausprobieren und nachher wieder eingesammelt.

Auf der Insel Java bei Banyuwangi angekommen, ändert sich das Bild schlagartig. Wir wechseln von einer hinduistischen Insel auf eine islamische. Die typischen Dorfköter sind auf einmal verschwunden, die Tempel natürlich ebenso, dafür sieht man Pferde, Pferdekutschen (in Balis Berg-und-Tal-Straßen ein Ding der Unmöglichkeit) und Fahrrad-Rikschas. Reisterrassen an Steilhängen weichen weiten fruchtbaren Bewässerungsebenen, man fährt durch Plantagen. Eine einzige Teakplantage (charakteristisch die riesigen, schwer verrottenden braunen Blätter) kann einen durchaus eine halbe Stunde lang begleiten beim Hindurchfahren. Kokosplantagen, Garnelenfarmen anstelle ehemaliger Mangrovensümpfe prägen das Bild. Dazu ist gerade die Nordostecke Javas von Savannenlandschaft geprägt, die mehr an Afrika als an das tropische Asien erinnert. Vom gemütlichen Banteng Balis keine Spur mehr, intensivere Landwirtschaft mit Plantagenbewirtschaftung prägt das Bild. Das liegt auch an der Geographie weiter Küstenebenen, die das erst möglich machen. Auf Bali geht es ziemlich schnell in Hügel- und Bergformationen über, so daß eine kleine, dem Gelände angepaßte Parzellierung typischer ist.

Der Verkehr birgt so manches beschauliche Bild oder auch ein abenteuerliches: Wunderschön herausgeputzte Pferdegespanne. Gasflaschen, die ohne Schutzkappe oder sonstiger Sicherung stehend im Sitz eine Fahrrad-Rikscha transportiert werden. Turmhohe Heuballenstapel in der Fahrrad-Rikscha, so daß sich vor dem Fahrer eine Mauer von 2 m Höhe befindet und sein Blick sich allein am Straßenrand orientieren kann. Naja, wenn's kracht, ist's gut gepolstert, das erleichtert das Gottvertrauen. Oder folgender Stapelbau wurde gesichtet: Auf der Ladefläche eines Klein-LKWs eine Kutsche mit Pferd, auf der Ladefläche des Pferdegespanns wiederum breitbeinig verspreizt der Fahrer desselben liegend, und über allem eine Hansaplast-Reklame - Deutsche Pharmafirmen-Reklame als Sonnenschutz des Droschkenaufbaus.

Die Dörfer Ostjavas haben nicht die Beschaulichkeit der balinesischen Dörfer. Auffallend ist vor allem eine starke Re-Islamisierungstendenz. In fast jedem Dorf ist eine neue Moschee zu bewundern, fast alle nach einem einheitlichen Schema, quadratisch, praktisch, billig, mit gestuftem Dach und zentral überhöhtem Mittel"turm", meist mit Arkaden an 1-4 Seiten, zum Verwechseln ähnlich, vielleicht existieren nur ein paar Standardentwürfe, die in trauriger Beliebigkeit wiederholt werden. Das hindert die Bewohner jedoch nicht, an den Straßen die Werbetrommel für das gottgefällige Werk des Moscheebaues zu rühren und vor allem Geld zu sammeln. Da wird ein rotweißes Band entlang der Mittellinie gespannt, an Anfang und Ende quäkt ein Lautsprecher, und die Betreiber reichen die Eimer oder Büchsen zum Sammeln an die Seitenfenster der Vorbeifahrenden. Vor allem die weiten Ebenen der Küstenlandschaften lassen die Ortschaften immer mehr zerfasern und zersiedeln, Ortschaften gehen fast fließend ineinander über, die eigentlichen Grenzen verschwimmen, weil die Expansion hauptsächlich entlang der Hauptstraße stattfindet. Den Ortskern erkennt man eigentlich nur am Markt, an Rikscha-Ständen oder einfach nur an der Verdichtung der Häuser und Aktivitäten. Lautsprecher allenortens, häufig von Moscheen unterhalten, quäken sie ihre Botschaften unters Volk. Mögen sie mehr nutzen als schaden! Bedenken hat man schon, daß dieses freundliche und friedliebende Volk sich aufhetzen lassen könnte durch islamistische Heilsbotschaften, sich infiltrieren lassen könnte durch importierte Prediger und Kassetten. Touristisches Gebiet ist das hier nicht. Touristen sind hier eher selten gesehen. Die wenigen, die kommen, wollen zu den Nationalparks und machen höchstens mal zum Essen Rast. Entsprechend wenig sind die Dörfer auf touristische Bedürfnisse eingerichtet, und indonesische Sprachkenntnisse sind hier sehr hilfreich. Die kontaktfreudigsten und aufgeschlossensten Bewohner sind die Schulkinder, die mit großer Begeisterung ihre Englischkenntnisse ausprobieren und mit bewundernswürdiger Offenheit dem Fremden ein Gefühl des Willkommens geben.

Durch diese Dörfer und Städte geht es in Richtung Kawah Ihjen, eigentlich auf einem gigantischen Umweg, weil die direkte Verbindungsstraße von der Hafenstadt zum Kawah Ihjen viel zu schwer passierbar ist. Wir müssen das gigantische Ihjen-Plateau im Norden umfahren, um dann von Westen her in die Höhenzüge einzudringen, die uns aber während der ganzen Fahrt als in der Ferne immer mal wieder sichtbares Ziel begleiten. Nach dem quirligen Situbondo zweigen wir nach Süden ab in Richtung Bondowoso, zweigen in Wonosari wieder ab und gelangen so über Sukosari langsam in die Höhe. Höhe heißt, daß wir zuerst die Ebenen und die Reisfelder hinter uns lassen, die Vegetation wird dichter, höher, ursprünglicher, zwischen den Ortschaften begleiten uns atemberaubende Ausblicke auf tropischen Regenwald, z. T. auch richtig unberührte Täler mit gigantischen Baumriesen. Immer höher schrauben sich die schlaglochübersäten Straßen. Der Regenwald weicht Nebelwäldern mit 6-10m hohen Baumfarnen. Wir geraten in dichten Nebel, die Luftfeuchtigkeit kondensiert überall, von Blick ist keine Rede mehr, wie Schemen dringen gigantische Farnwedel durch den Nebel, dann immer mal wieder riesige Brettwurzeln, ein schemenhafter Stamm verliert sich im Nebel. Wir dringen ein in das Hochplateau von Ihjen, einer gigantischen Caldera, innerhalb deren Gebiet wieder neue Vulkane entstanden sind. Die Straße senkt sich wieder, wir sind über den Paß. Hier beginnt Sperrgebiet. Alle paar Kilometer sind Militärposten, mal freundlicher, mal mißtrauischer, und ich bin froh über meine beiden Begleiter, die mich wortgewandt für harmlos erklären, bis sich der Schlagbaum hebt. Hier sind riesige Kaffeeplantagen, unter dem tropischen Sekundärwald wachsen die Kaffeebüsche. Es ist gerade geerntet worden, wie Schotterhaufen liegt der Kaffee in riesigen Haufen seitlich an der Straße zum Abtransport. Eine Duftwolke liegt in der Luft, und wenn beim Ausweichen die Reifen durch die Haufen mahlen, ist das Aroma einfach umwerfend. Im lichten Wald sieht man auch viele Kohlfelder. Wieder ein weiterer Militärposten, man zählt schon gar nicht mehr. Am Ende des Weges, schon im Dunkeln, die Suche nach einer Unterkunft. Am Fuße des Kawah Ihjen eine Hütte, wir werfen den Posten aus dem Bett, im Lichte von Funzellampen wenig vertrauenerweckende Räume, schmuddelig, ach ja, der Strom wird gleich abgeschaltet, und warmes Wasser ist Fehlanzeige. Meine Begleiter sind erleichtert, als ich ebenfalls für Weitersuche plädiere. Also den Wachposten an der letzten Sperre wieder aus dem Bett holen, er springt schnell in seine Uniform oder wenigstens Teile derselben, dennoch freundlich öffnet er den Schlagbaum, und wir tuckern zurück in das nächste Dorf, wo die einzig akzeptable Unterkunft steht (Arabika Homestay in Sempol). Das Zimmer ist sogar sauber, es ist kühl und feucht, dennoch. Wir verabreden uns für 4 Uhr am Morgen. Eine Gruppe Soldaten aus Malang genießt noch die Abwechslung, mit einem Deutschen über Fußball zu sprechen und die deutsche Nationalmannschaft und ihre Erfolge bei der Weltmeisterschaft zu loben, und verflucht ansonsten kräftig das mörderisch kalte Klima hier oben.

4 Uhr morgens, wir sehen unseren armen Schlagbaumwächter mittlerweile zum dritten Male, diesmal noch zerzauster als gestern abend, wir tuckern wieder zur vulkanologischen Station, wo wir am Abend vorher umgekehrt waren. Made und ich steigen den hier breiten und bequemen Pfad im Taschenlampenlicht bergan, während unser Fahrer noch im Auto eine Runde weiterdöst. Es ist noch stockdunkel, aber schon begegnen uns die ersten Schwefelträger. Mit zwei leeren Flechtkörben an einer langen Stange über der Schulter eilen sie den Berg hinauf, zur ersten ihrer insgesamt zwei Touren am Tag. Mit beginnender Dämmerung fängt es am Wegrand hier und da an, gelb zu leuchten, abgestellte Schwefelbrocken, die die Arbeiter heute zu Tal schaffen werden. Wir steigen, sind schon weit über dem Bergnebelwald, niedrige Büsche und Farne sowie hohe Gräser bilden die Vegetation. Langsam kommt das Tageslicht. Wir blicken auf die anderen Vulkankegel des Ihjen-Plateaus, die sich mächtig in der reinen und klaren Morgenluft hoch über den Nebelschwaden der Niederungen gegen den blassen Morgenhimmel abzeichnen. Der Mond steht noch neben einem Nachbarvulkan, während die erste Morgenröte durchbricht. Immer mehr Arbeiter begegnen uns, die ersten kommen schon wieder vom Berg herunter. Auf mittlerer Höhe ist eine Hütte der Betreibergesellschaft, dann geht es zum Kraterrand empor. Nach Erreichen des Kraterrandes tut sich ein gigantischer Blick in eine irdische Apokalypse auf: Ein gigantischer Krater, gefurchte Gesteinsmassen, als seien sie gerade erst in ihrer Bewegung erstarrt, ein türkisblauer Kratersee, und an der Seite quillt eine Wolke ätzender gelber Schwefeldämpfe, während darunter flüssiger Schwefel aus der Erdspalte quillt. Die Vegetation am Kraterrand ist abgestorben, lebensfeindlich die ganze Atmosphäre. Einmal kurz einen Blick werfen in die Urgewalt der Erde - so fühlt man sich hier, hoch über den friedlich unter der Wolkendecke schlummernden tropischen Wäldern. Und niemand ahnt von unten, welch gigantische Hexenküche hier oben ist, was hier wie in einem gigantischen Giftkessel qualmt und stinkt. Die Arbeiter, die diesen Schwefel abbauen, machen zweimal täglich die Tour. Auf den Berg, in die Kratertiefe hinunter, zwei Körbe voll Schwefelbrocken laden, wieder hinauf, schwer atmend in dieser ätzenden Atmosphäre, die schon dem ruhig dastehenden Betrachter das Atmen schwer macht, dann noch 6 km hinunter ins Tal bis zur Verladestation. Das machen sie zweimal am Tag, pro Kilo bekommen sie 700 Rupien, macht einen Tagesverdienst von 4 Euro. 70-80 Kilo haben die Arbeiter bei einem solchen Marsch auf dem Rücken! An der Gesellschaftshütte ist die Waage, man glaubt kaum, welche Gewichte die eher schmächtigen Javaner schleppen. Am allerschlimmsten ist der Aufstieg in der ätzenden Schwefelatmosphäre wieder zum Kraterrand. Ein schmaler Weg führt bis nach unten zu den Schwefelspalten. In loser Folge kommen einem die Arbeiter mit ihren Lasten entgegen. Die Atmosphäre nimmt einem jede Luft zum Atmen, so ätzend sind die Dämpfe. Eine kleine Winddrehung läßt einen schleunigst wieder den Kraterrand suchen. Sicherlich sind binnen kürzester Zeit die Lungen ruiniert. So frühmorgens hat man einen einzigartigen Blick über die gesamte Vulkankulisse des Ihjen-Hochlandes, ganz tief unten ahnt man unter der geschlossenen Wolkendecke den tropischen Wald. Die Wolken steigen im Laufe des Tages, und so um ca. 10.00 Uhr beginnen die Wolken auch hier oben die Sicht zu nehmen; später liegt der ganze Berg wieder von Wolken eingehüllt. Beim Abstieg machen wir noch Halt für einen Tee in der speckigen und schmierigen Gesellschaftshütte. Das Faszinierendste ist das freundliche Entgegenkommen der Arbeiter. Personifizierte Armut und ausgebeutete gesundheitliche Zeitbombe, laden diese Ärmsten der Armen den reichen Touristen zum Tee ein, teilen mit ihm, was sie haben, wollen nur noch ein Gruppenbild Arm in Arm, welches Made macht, rauchen noch eine Zigarette (die Lunge ist ja sowieso schon ruiniert, dann kommt es darauf auch nicht mehr an), dann zeigen sie stolz an der Waage, welches Gewicht sie haben, damit der Aufseher es in sein Buch eintragen kann, versuchen noch einige besonders schöne Schwefelstufen dem Touristen zu verkaufen, und dann geht es in hurtigem Schritt weiter ins Tal hinunter mit 70-80 Kilo Schwefel.

Wir gewinnen unseren Minibus mit einem bestens ausgeruhten Fahrer wieder und machen uns auf den Weg zurück durch Kontrollposten und Kaffeeplantagen, atmen das Aroma von Kaffee und Nelken, lassen das Ihjen-Plateau hinter uns, uns kommen langsam wieder in der Ebene, in der Hitze, im Lärm, im Gedränge an und fahren über Situbondo nach Probolinggo. Lärmende Städte, chaotischer Verkehr, drückende Hitze der Küstenebene, man wünscht sich wieder zurück in die kühle Frische der Hochplantagen. Kurs Bromo also. Kurz nach Probolinggo geht es wieder bergan, wieder atemberaubende Blicke auf Schluchten mit schönstem Bergwald. Der kleine Minibus meistert auch diese Steigungen, und bis an den Kraterrand geht es hoch. Hier oben finden wir Unterkunft in Cemoro Lawang, im Hotel Bromo Permai, sauber und ordentlich, mit gutem Restaurant. Ein paar Meter nur trennen einen dort vom Rand der großen Caldera. Ganz anders als das Ihjen-Plateau ist diese Caldera mehr als klar in die Landschaft geschnitten - ein gigantischer Talkessel, in dem weitere Vulkane stehen, der Bromo als breiter Berg mit großer Öffnung und Rauchwölkchen, gleich daneben in einzigartigem Ebenmaß ein hoher, schlanker Vulkan mit kleiner Öffnung oben. Weitgehend vegetationslos, fehlt einem hier in der klaren Luft jeder Maßstab zum Schätzen von Dimensionen oder Entfernungen, umso beeindruckender ist die Landschaft, die sich unter seinen eigenen Füßen auftut. Der Boden der Caldera scheint flach, ganz bedeckt von grauem Staub. Eine richtige Staubwüste, wie man sie eher in zentralasiatischen Steppen erwarten würde, hier, hoch über den Regenwäldern, auf dem Dach Javas. Ein kleiner Abendspaziergang ruft einem augenblicklich wieder das derzeit wichtigste Thema wach: Allerorten kicken Groß und Klein Fußball, es ist gerade WM, und Deutschland ist auf dem Weg ins Finale - bei jedem Gespräch gelangt man früher oder später zu Fußball, und die größten Sympathien darf man stellvertretend für die deutsche Mannschaft entgegennehmen, wenn auch Brasilien starke Fürsprecher hat.

Auch hier heißt es wieder früh aufstehen, um 4.00 morgens ist Treffpunkt. Wir haben einen Jeep mit Fahrer organisiert, der uns zum Aussichtspunkt bringen wird. Langsam komme ich mir leicht dekadent vor, zur Zeit habe ich drei Personen in meinen Diensten: Meinen Fahrer, den Bergführer und wir alle zusammen den Jeepfahrer. Starke Scheinwerfer durchbohren die Nacht und verlieren sich in der Leere, als es den Steilhang in Serpentinen hinuntergeht. Unten in der Staubwüste zeigt sich, was ein Jeepfahrer ist: Wir sind natürlich nicht allein auf die Idee gekommen, uns per Jeep zum schönsten Aussichtspunkt bringen zu lassen. Doch hier lassen sich durch mutiges Fahren und gute Ortskenntnis so manche Meter gegenüber seinen Konkurrenten gutmachen! So rast der Jeep durch die Nacht, vorbei an Bromo und seinem ebenmäßigen Nachbar, wir können nicht mehr unterscheiden, ob es noch Piste oder schon die Hubbel daneben sind, vielleicht ist offroad auch direkter als Piste, alles schmeckt jedenfalls nach aufgewirbeltem Staub, wir halten uns fest, wo wir nur können und hüpfen doch gegen die Decke und stoßen uns, wo man sich nur überall stoßen kann, aber wir sind die ersten, die nach Durchquerung der Staubwüste den Mungal-Paß gewinnen. Der Aussichtspunkt ist ziemlich touristisch, aber das Schauspiel ist echt: Hier oben ist es für javanische Verhältnisse einfach nur lausig arschkalt, sozusagen überlebensfeindlich kalt. Die ganzen Buden, Shops und Bewirtungshütten haben Holzkohlengrills auf die Straße gestellt zum Wärmen von Händen und Seelen, wie Lagerfeuer in einem riesigen Feldlager reiht sich in der Dunkelheit ein glimmender Herd an den anderen. Heiße Getränke werden nonstop verteilt, alle Indonesier sind dick eingemummelt in Winterjacken und Handschuhe und Schals etc. und schlottern trotzdem. Schön ist, daß trotz der Touristisierung keine Ausbeutung herrscht, angesichts dieser außergewöhnlichen klimatischen Bedingungen hält man einfach zusammen, jeder wärmt sich überall auch ohne Konsumdruck, man rückt zusammen, man teilt sich die Feuerstellen, jeder versorgt jeden mit Tee und Kaffee. Mit fassungslosem Erstaunen und Mitleid kümmern sich meine Begleiter um diesen komischen Deutschen, der nur einen leichten Pulli anhat und eine "Wieso? Bei uns ist das im Oktober normal, und es geht bei uns noch kälter!"-Miene zur Schau trägt. Mitleid mischt sich mit Bewunderung, und die "Ich will mir auch mal Deutschland ansehen"-Gedanken werden noch mal überdacht. Langsam naht Morgengrauen, meine beiden schlotternden Eiszapfen an der Seite, geht es zu Fuß zur Aussichtskanzel. Viele, viele Leute haben sich diese Stelle auf dem Gunung Penanjakan ausgesucht, weil man hier alle Vulkane schön hintereinander arrangiert sehen kann, erst der Bromo mit seinem ebenmäßigen Nachbarn, dahinter der Gunung Kursi, und ganz dahinter der Gunung Semeru, mit seinen 3676 m der Größte von allen. Ja, es ist eine Fülle von Menschen hier. Aber wenn dann die Sonne langsam sich erhebt, den Himmel in purpurnen Schimmer taucht, die anderen Vulkankomplexe in weiter Ferne sich wie dunkle Silhouetten, frei schwebend über den Wolken, im Frühlicht abzeichnen, wenn die ersten Strahlen des Sonnenlichts durch das Tal aus Richtung Probolinggo einfluten, die Bergwälder in mystische Nebel aus Licht und Feuchtigkeit tauchen, wenn dann die Strahlen über den Kraterrand bei Cemoro Lawang schwappen und das Innere erleuchten, durchfluten, erstrahlen lassen, so daß der Frühnebel, gemischt mit dem Staub der Staubwüste, gleich flüssigem Licht die Talsohle der Caldera ausfüllt, wenn immer mehr dieser Lichtfetzen die Caldera rings um den Bromo mit leuchtendem Strahlen erfüllen, über dem sich die nun in rötlichen Schimmer getauchten drei Vulkane gestaffelt hintereinander erheben, und wenn wie das i-Tüpfelchen auf dieser Szene noch eine frisch geblasene Rauchfahne den Semeru ziert und dann langsam vom Wind abgetrieben wird, dann ist sich alles einig im tiefen Empfinden dieses Erlebnisses. Lange noch schaut man, bis der ganze Kessel erstrahlt, bis die Kontraste in der Ferne wieder abnehmen, bis die Klarheit der Frühsicht langsam dem Tage zu weichen beginnt.

Allenorts pellen sich Menschen aus ihren Wintersachen und begrüßen die frisch einströmende Wärme. Die Jeeps beginnen wieder ihre halsbrecherische Fahrt in den Kessel der Caldera hinein. Immer intensiver wird dabei das Erlebnis des flutenden Lichtes. Der ganze flach liegende Nebel im Kessel ist durchstrahlt, es ist, als ob flüssiges Licht die Talsohle nach oben abdeckte, und die flach eintreffenden Sonnenstrahlen werden zu einer gleißenden Flut, hinter denen die Konturen des Kraterrandes und von Cemoro Lawang verblassen. Die Jeeps bringen uns bis zum Tempelkomplex am Fuß des Bromos, dort kann man Pferde mieten, die einen bis an den Fuß der Treppe bringen. Ich selbst laufe lieber, dafür freut sich mein Führer Made auf seinen ersten Ritt. Durch eine Mondlandschaft nähern wir uns dem Fuß der Treppe auf halber Höhe des Bromo, die nochmals ca. 250 Stufen gerade nach oben führt. Dann steht man am Kraterrand. In der Tiefe des schrundigen Schlundes blickt man auf eine Spalte, aus der ständig weiße Dämpfe quellen, dazu ein bißchen Schwefel, aber im Vergleich zum Kawah Ihjen ist hier viel weniger Schwefel. Die Luft ist zwar auch ätzend und reizend, aber nicht so beklemmend erstickend wie im Kawah Ihjen. Ein kleiner Weg führt den Grat des Kraterrundes entlang, rissig und schrundig, um ein gigantisches Ventil der aktiven Erde herum. Nicht umsonst trägt der Vulkankrater Bromo den Namen des Feuergottes. Von oben hat man einen wunderschönen Blick auf die flutenden Lichtschwaden im Calderabecken, die langsam steigen und sich zerstreuen, während aus den tiefen Tälern um das Massiv herum die ersten Wolken hochkriechen.

Wir gewinnen wieder unseren Charterjeep, sammeln unser Gepäck am Hotel ein, laden noch zwei Briten samt Gepäck dazu, die uns mit einem öffentlichen Bemo verwechselten und uns vor dem Einsteigen partout 7500 Rupien aufdrängen wollten, ehe sie begriffen, daß sie mir als Gäste willkommen waren, dann ging's bergab. Die beiden Briten erzählten von ihrer Herfahrt, daß sie mit dem öffentlichen Bemo von Probolinggo gekommen seien, und daß es allein 2.5 Stunden gedauert hätte, bis das Bemo überhaupt losgefahren sei! Ganz zu schweigen von der drangvollen Enge, denn ein Bemo fährt erst ab, wenn es voll ist, das heißt also, wenn wirklich nichts mehr hineingeht, der unendlichen Hitze in der nicht klimatisierten Blechkiste sowie der langen Fahrzeit mit Stops an jeder Ecke, um jeden frei werdenden Platz am besten doppelt wieder zu belegen. Wir sonnten uns gerade im Gefühl dekadenter Behaglichkeit und genossen die Vorzüge unseres gecharterten Minibusses mit Klimaanlage, als uns ein gewaltiger Schlag links hinten daran erinnerte, daß Hochmut vor dem Fall kommt: Reifen geplatzt. Beim näheren Betrachten des Reifens stellt sich nicht wie bei meinem gepflegten Auto in Deutschland die Frage "Warum bloß?", sondern eher "Warum erst jetzt?". Profil? Fehlanzeige. Was ist denn das Weiße dort und dort? Ah, das sind die Stabilisierungsfäden der Karkasse. Und wenn die erst mal durchgefahren ist, naja, das hatten wir gerade. Ein Wunder, daß es nicht schon früher geschehen ist. Uns war aber nicht nach Bestaunen von Wundern, sondern nach Ersatzreifensuchen. Irgendwo mußte auch der Wagenheber sein, die Logik war unanfechtbar. Und hier zeigt es sich, ob man einen Qualitätsfahrer in Dienst gestellt hatte oder nicht. Ich hatte. Er fand den Wagenheber, er fand die richtige Ansatzstelle, und binnen einer halben Stunde war das Ersatzrad mit gemeinsamer Anstrengung drauf. Meine anfänglichen Sorgen, ein funkelnagelneuer Ersatzreifen würde sich schlecht in Kombination mit drei ebenfalls total abgefahrenen Reifen kombinieren lassen, waren unbegründet: Auch beim Ersatzreifen schaute schon das weiße Gewebe durchs Gummi. Also alles in Butter. Und ohne weiteren Ersatzreifen ging es wieder die unendliche Küstenstraße über Situbondo nach Banyuwangi, mit der Fähre wieder zurück nach Bali, wo einen gleich schon in Gilimanuk das unbeschreiblich schöne balinesische Lächeln in der Heimat begrüßte. Reisterrassen umfangen einen, Merus recken sich in den Himmel, Hunde bellen einen wieder an und die Welt ist für uns alle drei im Lot. Freudiges Wiedersehen mit "meiner" Familie in Ubud - man wollte kaum fassen, daß diese Riesentour ganz nach Plan gelaufen ist.

Auf dem Rückflug gab es noch ein Wiedersehen mit "meinen" Vulkanen. Start ab Tuban morgens, dann Kurs über Java: Ganz Java lag unter Wolken wie in Watte gepackt. Nur die höchsten Spitzen der Insel ragten klar und deutlich über die geschlossene Wolkendecke hervor, wie kleine Inseln selbst im Wattemeer. Und ganz deutlich zu erkennen der Kawah Ihjen mit seiner schwefelgelben Atmosphäre.

Andere Berichte über Indonesien lesen
Andere Reiseberichte lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2002-2005
Impressum