Bernhard Peter
Heilige und göttliche Pflanzen Indiens

Der Pipal-Baum
Der Pipal-Baum ist botanisch Ficus religiosa, deutsch auch Pappelfeige oder Buddha-Baum sowie Bobaum. Er gehört zur Familie der Moraceae (Maulbeergewächse). Es ist ein schnell wachsender Baum mit Luftwurzeln und kann bis zu 30 m hoch werden. Alle Ficus-Arten führen Milchsaft, haben ganzrandige, meist ledrige Blätter, die wechselständig angeordnet sind. In den heiligen Schriften wird er Asvatthavrksa genannt. Insgesamt wird der Baum mit den Göttern in Verbindung gebracht: Er ist Wohnsitz der hinduistischen Dreifaltigkeit: Seine Wurzeln sind Brahma, der Stamm ist Vishnu, die Krone ist Shiva. In seinen Wurzeln wohnen die Heiligen, in den Ästen verschiedene andere Götter. Auch Lakshmi soll im Pipal-Baum wohnen. Der Pipal-Baum soll angeblich auch den Urlaut Aum verkörpern. Shiva soll in der Form von Dakshinamurti unter diesem Baum zu großen Weisen gepredigt haben. Andere wiederum sehen den Pipal-Baum als Wohnsitz der Geister (Bhutas) an. Wenn man den Pipal-Baum zudem zur richtigen Zeit mit dem richtigen Mantra sowie mit Circumambulationen verehrt, soll er dazu noch alle Wünsche erfüllen können. Hindu-Frauen beten an einem Pipal-Baum um Eheglück und männlichen Nachwuchs. Der Baum wird in Tempeln oder in freier Natur verehrt. Bei der Verehrung des Baumes sollte man jedoch nicht so weit gehen, den Baum selbst zu pflanzen, denn das könnte nach einem Aberglauben zu einem baldigen Tod führen. Man überläßt also lieber der Natur die Verbreitung. Auch im Buddhismus wird der Pipal-Baum verehrt, denn unter einem Pipal- oder Bodhi-Baum („Baum der Erleuchtung“) meditierend soll Siddharta die Erleuchtung erlangt haben. In der Regel steht daher in buddhistischen Tempeln ein Bodhi-Baum, und alte Bäume werden liebevoll mit hölzernen Stangen unter den Ästen unterstützt, damit sie nicht zusammenbrechen. Synonyme sind in Indien Assattha-Baum und Pippala-Baum.

Der Banyan-Baum
Der Banyan-Baum ist botanisch ein naher Verwandter des Pipal-Baumes, es handelt sich um Ficus indica oder Ficus bengalensis. Er gehört zur Familie der Moraceae (Maulbeergewächse). Er wird in Indien Udumbara oder Vatavrksa genannt, deutsch Würgefeige oder Bengalische Feige. Es ist ein sehr kraftvoller Baum mit großen, ledrigen und wechselständig angeordneten Blättern. Der Banyan beginnt klein mit einem Samen, der auf irgendeinem anderen Baum gelandet ist, und ernährt sich epiphytisch vom dort vorhandenen Substrat. Mit zunehmendem Größenwachstum sendet der Banyan kräftige, dicke Luftwurzeln aus, die aus den Ästen herauswachsen, bis zum Boden herabhängen und sich dort erneut verankern und sich mit der Zeit zu einem dichten Netz entwickeln. Mit Erreichen des Bodens kommt es zu einem enormen Wachstumsschub. Mit zunehmendem Wachstum wird der ehemalige Wirtsbaum erdrückt und stirbt schließlich ab. Manchmal bleibt im Zentrum des Banyan eine Röhre zurück, die einst der Wirtsbaum ausgefüllt hatte. Häufig aber ist die Ummantelung mit Wurzeln so dicht, daß man bei einem alten Banyan keine Spur des zuerst dagewesenen Baumes mehr entdeckt. Banyan-Bäume können gewaltige Dimensionen erreichen. Sie werden bis zu 40 m hoch, ihre Krone kann ein großes Areal überspannen. Die zunehmende Zahl der Luftwurzeln entwickelt sich zu einem dichten Netz. Alle Teile der Ficus-Arten sind leicht giftig, Verzehr von Blatt-Teilen und Luftwurzeln kann zu Würgen, Erbrechen und Bauchschmerzen führen. Im Milchsaft der Ficus-Arten befinden sich Harz, Kautschuk, Cumarine, flavonoide Verbindungen und Proteine. Der Milchsaft kann zusammen mit Sonnenlicht auf der Haut eine Photo-Kontaktdermatitis hervorrufen. Der Banyan-Baum ist Sitz der Götter Lakshmi und Vishnu. Dattatreya sitzt in seinem Schatten und meditiert. Deshalb ist er auch der geeignete Ort für Gläubige zur Meditation. Der Baum gilt als unsterblich, weil er vom Totengott Yama sehr geschätzt wird. Der Baum wird auf Tempelgeländen oder in der freien Natur verehrt. Gerne bildet er im Zentrum eines Dorfes eine Art Mittelpunkt und wird um den Stamm mit einer erhöhten Sitzgelegenheit für einen gemütlichen Schwatz versehen.

Die Tulasi-Pflanze
Im Gegensatz zu den beiden vorher genannten göttlichen Pflanzen ist die Tulasi-Pflanze oder auch Tulsi-Pflanze klein: Sie wird nur 70cm - 1 m groß. Dafür wird sie nicht nur in Tempeln, sondern auch in Privathaushalten verehrt. Der Strauch steht an Hauseingängen oder in Höfen, häufig als Topfpflanze oder mit dekorativen Steinen eingefaßt. Eigentlich hat jeder ernstzunehmende Hindu-Haushalt, wenn irgendwie möglich, eine Tulasi-Pflanze zu Hause. Botanisch handelt es sich um Ocimum sanctum = Ocimum tenuiflorum aus der Familie der Lamiaceae, eine Verwandte des Basilikums. Es handelt sich dabei um einen besonders intensiv süß-kampferartig riechenden Kultivar, der in Indien nur wenig zu kulinarischen Zwecken (wie gelegentlich berichtet) dient, sondern zu religiösen Zwecken kultiviert wird. Die Pflanze wächst aufrecht, verzweigt, die Blätter sind fast rund mit einem Durchmesser bis 5cm; kleine rote oder violette Blüten sitzen in Scheinähren am Ende der Ästchen. Die Blätter duften angenehm nach ätherischem Öl. Im Vishnu-Kult spielt diese Pflanze eine besondere Rolle, denn Lakshmi war einst so zornig darüber, daß sich Tulasi in ihren Mann Vishnu verliebt hatte und diesen heiraten wollte, daß sie diese in eine Pflanze verwandelte. Vishnu und auch seine Inkarnation Krishna tragen Girlanden aus Tulasi-Blättern. Die Vishnu-Anhänger (Vaishnavas) benutzen Rosenkränze, deren Perlen aus Holz der Tulasi-Pflanze geschnitzt sind. Einerseits ist die Tulsi-Pflanze die pflanzliche Form des Hochgottes Vishnu - andererseits dient ein Zweig davon oder wenigstens ein einziges Blatt als wichtige Opfergabe und ist unverzichtbarer Bestandteil bei Pujas zu Ehren Vishnus. Die Pflanze wird ebenso als Manifestation von Lakshmi (Gemahlin Vishnus) als auch von Radha (Gemahlin Krishnas) als auch von Sita (Gemahlin Ramas) – also Frauen seiner Avatare - oder auch von Vrinda angesehen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nachvollziehbar, warum die Tulasi-Pflanze vor allem von Frauen verehrt wird. Warum im einzelnen auch immer – die Pflanze ist heilig, und ein Blick darauf kann von Sünden befreien. Man setzt sich zur Verehrung des Basilikums im Schneidersitz wie vor einen Altar davor auf die Erde, spricht Gebete, läutet eine kleine Handglocke und schwenkt eine Butterlampe. Zur Segnung eines Hauses hängen manche Hindu-Familien eine Schnur mit Tulasi-Blättern über den Eingang. Synonyme: Kalotulsi (Bengali), Shri-tulasi, Vishnu-tulasi, Tulasigidda, Tulasa (Marathi), Krishnamula, Manjari, Tiruttizhai (Tamil), Tiruttilai (Tamil). “Tulsi” bedeutet “unvergleichlich”.

Der Bilva-Baum
Der Bilva- oder Bel-Baum ist botanisch Aegle marmelos Correa aus der Familie der Rutaceae (Rautengewächse). Er wird auch Bengalische Quitte (hat aber nichts mit der Quitte gemeinsam), Malabar-Orange, Bael oder Madjo-Baum genannt. Er ist den Shiva-Anhängern heilig. Die Leute glauben, daß der Bilva- oder Belbaum die Verkörperung von Lord Shiva selbst sei. Es bringt Glück und Segen, wenn beim Bau eines Hauses ein Balken aus Bilva-Holz eingebaut wird. Der kleine bis mittelgroße Laubbaum ist im westlichen Himalaya und in den Wäldern der Ost-Ghâts beheimatet. Er hat 2,5 cm lange, scharfe Dornen. Die dreiblättrigen Stengel symbolisieren die drei Gunas sowie die kreativen, erhaltenden und zerstörerischen Aktivitäten der göttlichen Trinität. Die Blüten sind grün-gelb und duften süß. Die bis 20 cm großen Früchte sind als wohlschmeckendes Obst geschätzt. Innen befindet sich orange- bis ockerfarbenes Fruchtfleisch von im reifen Zustand cremiger Konsistenz. Die Frucht ist reich an Provitamin A und Vitamin C. Das Problem ist, daß man von außen nicht erkennen kann, ob die Frucht reif ist oder nicht. Die grüne Schale bleibt immer hart und verändert ihre Farbe nicht. Auch strömt kein Duft von einer reifen Frucht aus, erst beim Öffnen erkennt man an dem klebrigen Inhalt eine unreife Frucht. Die Früchte des Baumes spielen auch eine Rolle als Buße für einen Verstoß gegen bestimmte hinduistische Vorschriften (Shrîphalakrcchra, Bel-Frucht-Buße). In der Skanda Purana wird der Ursprung des Baumes wie folgt beschrieben: Eines Tages, während die Göttin Parvati ruhte, fielen von ihrer Stirn ein paar Schweißtropfen auf den Mandara-Berg, daraus erwuchs der Bilva-Baum.

Das Darbha-Gras
Das Darbha- oder Kusha-Gras ist botanisch Poa cynosuriodes Retz, aus der Familie der Gräser (Poaceae). Es wird als heilig verehrt, weil es als Haar angesehen wird, welches Vishnu als Schildkröten-Avatara auf seinem Panzer trug. Wenn man dieses Gras vor religiösen Zeremonien auf den Boden streut, wird dieser dadurch spirituell gereinigt. Weitere Synonyme sind Ku'sagras, Desmotachya bipinnata (L.) Stapf, Eragrostis cynosuroides, Halfa-Gras.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
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