Bernhard Peter
Ajmer, Adhai-din-ka-Jhonpra

Ajmer ist in erster Linie bekannt als muslimischer Wallfahrtsort, und der ganze Trubel aus Pilgern und Schaulustigen, aus religiöser Inbrunst und Kommerz, aus weißen Gebetskäppchen und Spendeneintreibern kondensiert in und um den Grabbezirk des Khwaja Muin-ud-din Chishti. Vor dem Haupteingang zum Grabbezirk führt nach rechts eine enge und gewundene Basarstraße den Hang hoch, rechts und links voller faszinierender kleiner Läden mit Naschereien und Devotionalien. An deren Ende weitet sich der Weg, rechts führt eine Stufentreppe auf eine riesige, massiv unterfütterte quadratische Plattform von 78m Kantenlänge. Durch einen Torbogen, dessen Sturz eine wunderschöne Kalligraphie ziert, deren Hasten jeweils zu Paaren gebündelt sind und dem Sturz einen ganz eigenen Rhythmus verleihen, betritt man einen weiten Hof, mit Ruinenmauern und Bäumen bestanden. Ringsum schweift das Blick über karge Hügel und Ziegen. Das markanteste Bauwerk liegt am jenseitigen Ende der Plattform: Ein Rhythmus aus sieben Bögen überspannt fast die gesamte Breite der Plattform, das mittlere Element (Pistaq) ragt ein wenig über die übrigen Bögen hinaus und trägt die Stümpfe zweier gerillter Minarette. Die rechts und links jeweils angrenzenden vier Bögen sind Lappenbögen. Der mittlere Bogen vor dem Mihrab erreicht eine Höhe von 18 m. Diese gewaltige Schranke von ca. 60 m Breite verbirgt die dahinter liegende niedrigere Gebetshalle mit 124 Pfeilern, selber viel höher als die Halle dahinter.

Das Bauwerk trägt den Namen "Adhai-din-ka-Jhonpra" oder "Arhai-din-ka-Jhonpra", was wörtlich soviel wie "Zweieinhalb-Tage-Hütte" bedeutet, wofür es zwei Theorien gibt: Die eine besagt, daß das eine Anspielung auf die sehr kurze Bauzeit ist, was einer näheren Überprüfung nicht standhält, denn sie betrug tatsächlich 15 Jahre. Die andere Theorie geht davon aus, daß hier früher eine Messe stattfand, die zweieinhalb Tage dauerte. Es ist das älteste erhaltene Bauwerk von Ajmer und eines der besten Beispiele früher islamischer Architektur in ganz Rajasthan.

Die Moschee hat sehr wechselvolle Geschichte: Der Chauhan-Herrscher Raja Visaldeva gründete 1153 AD hier eine hinduistische Lehreinrichtung, knapp vier Jahrzehnte später wurde sie 1192 von den afghanischen Ghuriden zerstört. Die Ghuriden schlugen das vereinte Heer der Rajputen in Tarain und eroberten auch Delhi, dadurch wurde Ajmer für ca. 2 Jahrhunderte Teil des Sultanats von Delhi. Schon 1193 entstand an der alten Stelle die Moschee unter Verwendung älterer Elemente. Hierbei wurden Teile zerstörter Jain-Tempel und der alten hinduistischen Lehrstätte verwendet, insbesondere die hinter den Bögen gelegene Säulenhalle hat eine deutlich nicht-islamische Formensprache an Säulenschäften und Decken. Drei aufeinandergestellte Säulenschäfte bringen die lichte Höhe der Halle auf 6.90 m. Die Moschee folgt dem Typ einer Hofmoschee mit umlaufender Galerie, die von jeweils 9 Kuppeln pro Seite in unregelmäßigem Rhythmus überdeckt ist. Die Minarette folgen vom Typ her den im seldschukischen Persien und Anatolien üblichen Vergleichsbauten.

Diesem Bauwerk wurde später, ca. 1220-1229 AD die gewaltige siebenbogige Schranke vorgeblendet, Bauherr ist Shams-ud-din Iltutmis (1211-1236). Kunsthistorisch wichtig ist hier wie in Delhi bei der Quwat-ul-Islam (auch dort wurde eilig aus hinduistischen Spolien eine Moschee zusammengeschustert und mit einer "islamischen" Blendfassade versehen) der scharfe Gegensatz zwischen den alten Reliefs und den für den Auftrag Iltutmis hergestellten. Die Elemente von der ersten Gründung haben noch überreiche Verzierungen nach hinduistischer Art, die neuen Zierfriese sind fast flache geometrisch-ornamentale oder floral-ornamentale Bänder oder kalligraphische Bänder mit Qur'an-Zitaten von hoher künstlerischer Qualität.

Das faszinierendste Erlebnis ist, wie sich beim Näherkommen die Strukturen immer feiner auflösen: Erst ist es ein Rhythmus von sieben Bögen, dann nimmt man nach einigen Schritten wahr, aus wieviel einzelnen Bändern jeder Bogen zusammengesetzt und von wie vielen er umrahmt ist, dann löst das Auge einzelne Ornamentbänder und Schriftfriese auf, in feinem Nashi oder Flechtkufi bzw. floralem Kufi, bis man schließlich erstaunt wahrnimmt, daß selbst diese Schriftbänder noch eine Feinstruktur haben, denn nicht genug damit, daß aus dem Stein feine Schriftzüge herausgearbeitet sind, ist der Hintergrund seinerseits wiederum voller gemeißeltem Rankenwerk.

Mit dem Durchschreiten dieser Schranke vollzieht sich dann ein abrupter Kulissenwechsel - die Säulenschäfte und Decken folgen einem wesentlich älteren dekorativen Programm, das sich sehr von der "Islamischen" Fassade unterscheidet. Vor allem scheint der Raum in drei horizontal geschichtete Zonen aufgeteilt zu sein, was einen zunächst verwirrt, bis man als Ursache herausfindet, daß jeweils drei ältere Säulen zu einer neuen aufeinandergestellt wurden, um dem Bauwerk mehr Höhe zu verleihen. Doch selbst diese neue Höhe von 6.90 reicht nicht aus, um an die Höhe der Bogenöffnungen heranzureichen, über dem flachen Dach der Gebetshalle klafft eine Lücke bis zum Bogenscheitel.

Für den Besucher dieser einmaligen architektonischen Kostbarkeit noch ein kleiner Tipp: Auch wenn man die Gebetshalle nur auf Strümpfen betreten darf, sollte man die Schuhe besser in einer Tasche verstauen und mit rein nehmen, denn meine hatten sich danach in Luft aufgelöst! W-E-C-H! Und daran waren gewiß nicht die frei herumlaufenden Ziegen schuld... Ich hatte mir dann von einem jungen Inder seine Schuhe ausgeliehen und mir auf dem Markt neue Schlappen besorgt, mit viel Spaß für alle Beteiligten. Die indischen Schlappen konnte ich in Zukunft unbesorgt an Tempeln und Moscheen draussen lassen, denn die waren für Diebe viel zu gewöhnlich und langweilig.

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