Bernhard Peter
Beijing, Wasser-Kalligraph am Himmelstempel

Kalligraphie ist eine der großen Ausdrucksformen ästhetischen Empfindens in China, und traditionell wird sie mit schwarzer Tusche auf Reispapier ausgeführt, und natürlich findet man sie auf allen denkbaren Materialien der bildenden Kunst, Holz, Stein, Seide, Keramik, Lack etc. Eine besondere Form der Kalligraphie begegnet uns hier zufällig am südlichen Zugang zum Himmelstempel von Beijing: Ein Herr malt in der Sonne mit einem faustdicken Pinsel kalligraphische Zeichen mit Wasser auf den gepflasterten Boden. Schönheit und Vergänglichkeit verschmelzen hier zu einem kurzen Augenblick des ästhetischen Genusses, uns daran erinnernd, wie vergänglich alles Schöne sein kann, und daß hier der wahre Wert der Kunst das ästhetische Schaffen an sich ist, nicht das Bleiben. Erhalten und Bewahren allein hält diese Kunst nicht lebendig, sondern das ästhetische Schaffen muß stets ein aktives sein, um das Bewußtsein lebendig zu halten. So wird Kunst zum meditativen Ausdruck ihres Schöpfers, und jeder Augenblick erhält so eine Botschaft. An diese Herangehensweise fühlt man sich erinnert, während die Zeichen in der Sonne immer schwächer werden und verblassen und der Künstler wenige Meter daneben erneut mit sicherem Schwung dunkle Zeichen auf den Boden malt - Kunst um ihrer selbst willen, denn: „Über Vergangenes mache dir keine Sorge, dem Kommenden wende dich zu.“

Literatur, Links und Quellen:
Suzanne Wen-Pu Yao, Ostasiatische Schriftkunst, Gebr. Mann Verlag Berlin, 1982, hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin, ISBN 3-7861-1340-8.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2012
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