Bernhard Peter
Mandalay und die größten Bücher der Welt:
1. Kuthodaw in Mandalay

Eigentlich kann man die Dimensionen dieses Bauwerks gar nicht richtig ermessen. Man wandelt durch immer gleiche Strukturen, verloren im Raum, man wandelt durch ein steinernes Mandala und ein Buch zugleich. Höfe mit uralten Bäumen, die angenehmen Schatten spenden, die nackten Füße sind dankbar, daß hier die sonnenbestrahlten Fließen in der Minderzahl sind, erhöhte hölzerne Plattformen laden zum Meditieren ein, ein paar Mönche tigern auf und ab und lernen heilige Texte auswendig. Eine beschauliche Stimmung. In den Bäumen sammeln Frauen duftende sternförmige Blüten, die die Kinder auffädeln und an Besucher verkaufen. Man fühlt sich wohl und ist doch zugleich unfähig, die wahren Dimensionen des Gebäudes aufzunehmen. Eine zentrale Pagode (Maha Lawka Marazein Pagode), die die wohlproportionierten Formen der Shwezigon in Bagan aufgreift, ist von vielen in konzentrischen Quadraten angeordneten kleinen Pagoden umgeben, alle gleich, in 9 Reihen, mit einer Zwischenmauer zwischen der zweiten und dritten Reihe, ganz außen wieder eine Mauer, und ganz innen stehen in den vier Ecken zusätzliche Pagoden. Uralte Bäume stehen in den Ecken und in den Höfen, ehrwürdige Bäume, deren müde Äste von bemalten Holzstützen getragen werden. Ein unendlicher Rhythmus, in alle Richtungen in unendlich scheinender Wiederholung davonfließend, ein Wald aus Pagoden, und doch zentriert um den Mittelstupa, aber in gebührlichem Abstand. Wohlproportioniert, so daß trotz der unübersehbaren Anzahl niemals der Eindruck von Gedrängtheit entsteht, sondern von Rhythmus. Eigentlich begreift man die hochgeometrische Anlage erst anhand des Modells in der südlichen Eingangshalle.

In jeder einzelnen Pagode steht eine senkrechte Marmortafel, eng in der wunderschönen gerundeten birmanischen Schrift graviert, einst vergoldet, heute geschwärzt. Insgesamt ist der ganze Tipitaka (Palikanon, das heilige Schriftwerk des Buddhismus, das in drei Teilen die gesamte buddhistische Lehre umfaßt) hier verewigt. Dieses Mammutprojekt wurde anläßlich der fünften buddhistischen Synode im Jahre 1871 erbaut, mit der des 2400sten Todestages Buddhas gedacht wurde, Fertigstellung war rechtzeitig im Jahre 1868. Weil man sich auf dieser Synode auf eine einheitliche Fassung des Palikanon einigte, erhält dieser Bau zugleich eine symbolische Bedeutung - das Bauwerk soll symbolisch die verbindliche und einheitliche Fassung des Textes in größtmöglicher Monumentalität, nie dagewesener Stabilität (früher schrieb man nur auf Palmblätter o.ä.), Größe und Schönheit für alle Zeiten festhalten.

Lassen wir die Zahlen für sich sprechen:

2. Sandamani in Mandalay

Mit einem gigantischen Buch war es wohl nicht genug - denn gleich nebenan steht noch ein Wald aus unzähligen Pagoden, wovon jede einzelne eine Schrifttafel beherbergt. Der Vergleich zur Kuthodaw läßt einige Unterschiede deutlich werden: Die Sandamani-Anlage hat zwar mehr dieser weißgetünchten Pagödchen (sie enthalten 1774 Marmortafeln!), aber sie stehen dichter und haben damit nicht die ausgewogenen Proportionen der Kuthodaw. Der Rhythmus aus Raum und Form kommt hier nicht zustande, die Architektur wirkt etwas "gehetzt" ohne Ruhezonen, ohne Bereiche, wo sich die Seele wieder nach der Lektüre in innerer Einkehr der Weite öffnen kann. Diese Pagode wurde erst 1913 erbaut und erinnert an Kronprinz Kanaung, der von Konkurrenten in der Thronfolge Mindons während einer Palastrevolte ermordet wurde. Eigentlich war er der designierte Nachfolger seines älteren Bruders Mindon, aber er fiel der mörderischen Intrige seiner beiden Neffen 1866 zum Opfer.

3. Mandalay, Eindawya

Andere Artikel über Birma lesen
Andere Reiseberichte lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
Impressum