Bernhard Peter
Höflichkeit und Etikette in Birma

Hier möchte ich einfach ein paar Grundregeln zusammenstellen, die das Miteinander in Birma angenehm gestalten können. So kann man sicher sein, daß beim Gegenüber die Botschaft ankommt, daß man die Gebräuche des Gastlandes ehren will. Das Besondere an den Menschen Birmas ist, daß sie viel zu höflich und zu taktvoll sind, als daß sie Fehler von Touristen an die große Glocke hingen. Gerne werden sie aber feststellen, wenn man sich ein bißchen bemüht. Und dann kommt die richtige, tiefe Freundlichkeit der Menschen zum Vorschein, deren Sonne auch in der tiefsten Armut und unter widrigsten Umständen lacht, wenn man sie nur läßt. Kommen Sie einem Birmanen einen Schritt entgegen – er wird Ihnen Hundert Schritte entgegenkommen!

Nur mit der rechten Hand geben:
Der höfliche Mensch weiß, daß die rechte Hand die „gute“ Hand ist und die linke die schlechte. Will man jemanden beleidigen, gibt man ihm einen Gegenstand mit der linken Hand. Will man ihn achten, gibt man es mit der rechten Hand. Soweit gilt das in fast ganz Asien. Birma kennt da noch eine feine Besonderheit. Wenn ich jemandem zeigen will, daß ich es ihm von Herzen gerne gebe – und das sollte hoffentlich immer der Fall sein! – dann nehme ich die die linke Hand und fasse damit an den Ellenbogen oder den Unterarm der gebenden rechten Hand und unterstütze sie beim Geben. Diese kleine Geste geht einem nach drei Wochen Birma so in Fleisch und Blut über, daß ich nach der Rückkehr am ersten Tag in der Apotheke über mich selber lachen mußte, als ich so einem Kunden sein Wechselgeld gab...

Ordentliche Kleidung!
Kleider machen Leute, das gilt überall und in Asien ganz besonders. Wer in Bermuda-Shorts und ärmellosem Hawaii-Hemd eine Ortschaft betritt, wird für einen grauenvollen Hallodri gehalten. Wer eine lange dunkle Hose und ein Hemd trägt, ist ein ordentlicher Mensch. Man hofiert einen als Hallodri eingestuften Touristen selbstverständlich auch, denn schließlich bringt er ja Geld, aber wer sich solchermaßen jeder Achtbarkeit begibt, braucht nicht mit Applaus für sein Auftreten zu rechnen. Viele Birmanen haben selbst nur zwei Hemden und zwei Longyis zum Wechseln. Aber sie schaffen es, selbst damit immer ordentlich und adrett zu sein. Ich habe mich manchmal für meine Kollegen Touristen geschämt. Wenn man ein paar hundert Euro für den Flug ausgeben kann, sollte auch einen Wäschedienst im Hotel in Anspruch nehmen. Erstens freut sich das arme Land über jeden Cent, den es verdienen kann, zweitens sollten wir uns in puncto Sauberkeit ein Beispiel an den Birmanen nehmen. Natürlich haben die einfachen Haushalte kein fließendes Wasser. Aber in jeder Straße sind öffentliche Waschplätze, einfache Betongevierte, da geht man zweimal am Tag hinein, seift sich mitsamt Longyi ein und wäscht sich, dann zieht man den frischen Longyi darunter an und hängt den nassen zum Trocken auf sein Verandengeländer, zur Not auch auf den Zaun. Oder man wäscht sich am Fluß und breitet die gewaschene Kleidung auf den zum Fluß hinabführenden Stufen oder auf den Stufen einer nahen Pagode aus. Man male sich einmal aus, was einfache Birmanen über Deutschland erzählen würden, wenn sie zu Fuß durch Berlin Mitte gingen. Ich glaube, wenn sie ihr Entsetzen über zerrissene Jeans, Bauchfrei, Miniröcke, geblümte Leggings, Dreadlocks, Punker oder Rocker, Penner und Gammler, allgemein über unser jeglicher Form gegenüber gleichgültiges Betragen zusammenfassen würden, würden sie uns rundweg jede Form der Zivilisation absprechen.

Anrede:

Also wäre der ehemalige Generalseketär U Thant als Jugendlicher von Erwachsenen „Ko Maung Thant“ gerufen worden, von seinen Mitstudenten oder Kollegen „ Ko Thant“, als hochgeachteter Generalsekretär der Vereinten Nationen selbstverständlich „U Thant“.

Den Touristen verunsichern manchmal „zudringliche Fragen“ nach Alter und sozialer Stellung bzw. Status. Das ist weder Zudringlichkeit noch Ausfragerei, sondern Höflichkeit, um die richtige Anrede zu finden. Ach ja – verheiratet zu sein heißt automatisch auch eine höhere Stellung innezuhaben als ein unverheiratetes Gegenüber.

Schuhe in einem Tempel ausziehen!
Dazu gibt es einen extra Beitrag.

Freunde nicht mit gewissen Gesprächsthemen in Schwierigkeiten bringen!
Der Staat hat wachsame Ohren. In der Öffentlichkeit sollte man daher jedes Gespräch über Regierung und Politik vermeiden. Es könnte sein, daß ein Dritter mithört. Auch wenn man garantiert unter vier Augen ist, wird man mit einem solchen Gesprächsthema gewiß nicht die Freundschaft vertiefen. Es gibt viele Menschen, die Zwangsarbeit, Umsiedlung, staatliche Willkür etc. am eigenen Leib erfahren haben. Sie werden aber nicht davon erzählen. Die Antwort wird meistens lauten „Ich weiß nicht, was Sie meinen“, „Wir haben kein Problem damit“, „Das ist lange her“, „Ich erinnere mich nicht mehr“ oder „das ist schon vergessen“ oder, wenn man sich besser kennt, auch mal unverblümt „Darüber möchte ich nicht reden“.

Freunden nicht die Hucke volljammern über eigene Sorgen!
Erstens hat jeder Birmane sicher noch viel existentiellere Sorgen. Zweitens ist es absolut unhöflich, jemandem die Stimmung zu verderben, indem man ihn mit seinen eigenen Sorgen und Kümmernissen belastet. Selbst ein Birmane, dem für seine vier Kinder das Brot zum Essen fehlt, wird dem Touristen seinen Aufenthalt angenehm gestalten, ohne auch nur mit einem Wort seine täglichen Sorgen zu erwähnen.

Immer das „halbvolle Glas Wasser“ zum Ausdruck bringen, nie das „halbleere“!
Man macht immer das Beste aus einer Situation. Man klagt nie in Worten an. Am meisten gestaunt habe ich über einen Taxifahrer in Jangon: Die mangelnde Bewegungsfreiheit für Birmanen im eigenen Lande beklagte er mit den Worten. „Wir haben ein wunderschönes Freilichtmuseum in Jangon, wo wir uns anschauen können, wie man in anderen Staaten unseres Landes lebt und baut. Da brauchen wir dann gar nicht mehr dorthinzufahren.“ Kann man subtiler Kritik üben?

Nie einen Kopf eines Menschen berühren!
Der Kopf ist der heiligste Teil des Körpers. Eine Berührung am Kopfe ist beleidigend.

Fußsohlen sind unhöflich!
Nie so hinsetzen und die Beine austrecken, daß die Fußsohlen (schmutzigster Teil des Körpers) auf andere Menschen oder auf Buddhastatuen zeigen. Am besten Schneidersitz oder knien, das ist am sichersten.

Nicht Gutes über Kinder laut äußern!
Birmanen lieben Kinder, aber sie freuen sich nicht, wenn jemand ihr Kind süß findet und dies laut äußert. Denn wenn laut Gutes über ein Kind gesprochen wird, riskiert man die Aufmerksamkeit der Geister.

Begrüßung:
Birmanen ist das Anfassen bei der Begrüßung eigentlich fremd. Höhergestellte Personen und insbesondere Mönche freuen sich über den Gruß mit zusammengelegten Handflächen vor der Stirn. Die Höhe der Hände ist ein Maß für die Achtung: Bei Gleichgestellten vor der Brust, bei Höhergestellten vor dem Kinn, bei Mönchen vor der Stirn. In den Touristenzonen wie Hotels kennt man schon das Händeschütteln. Gerne werden aus Höflichkeit „westliche“ Gesten ausprobiert. Auf dem Inle-See kam ich durch ein Dorf, wo die Kinder irgendwo eine Kußhand gesehen hatten und begeistert ausprobierten, ohne jede Detailkenntnis, aber mit dem größten Vergnügen, besonders höflich zu sein.

Am Flughafen:
Amtspersonen und Militär wollen Respekt und vor allem nicht ungefragt photographiert werden. Gegenüber Amtspersonen an Zoll und Immigration gibt es gewisse Anti-Zauberwörter, die man nie benutzen sollte: Journalist, Reporter, Schriftsteller, Photograph, Berichterstatter als Berufsangabe.

Geduld und Ruhe auch beim größten Durcheinander!
Souveränes und doch zurückhaltendes Auftreten ebnet viele Wege und erfüllt so manche Wünsche. Auch wenn der Birmane nicht versteht, wie ein Mensch so etwas wollen kann, er wird den Wunsch achten, wenn er die Person achten kann. Wer aber laut wird oder streitet, begibt sich gesellschaftlich ins Abseits und kann wie überall in Asien nun wirklich nicht mehr mit Verständnis für seine Wünsche oder gar deren Erfüllung rechnen. Man staunt ihn nur an, wie ein angeblich zivilisiertes Wesen sich so gehen lassen kann.

In Klöstern:
In Klöstern wird zuerst Buddha gegrüßt, dann werden Mönche begrüßt. Die Begrüßung Buddhas durch Gläubige besteht aus einer dreifachen Verbeugung nach dem Hinknien vor der Statue, wobei die zusammengelegten Handflächen bis über den Kopf erhoben werden. Auch der Mönch wird dreimal hintereinander gegrüßt, mit den zusammengelegten Händen vor der Stirn und einer leichten Verbeugung.
Man vermeide es, höher zu stehen oder zu sitzen als hochgestellte Personen. Das gilt insbesondere in Klöstern in Bezug auf Mönche. Wenn Mönche sitzen, sollte man möglichst schnell von der stehenden in die sitzende Haltung übergehen. Wenn Mönche auf einer erhöhten Plattform sitzen, sitzt der Besucher selbstverständlich eine Etage tiefer auf dem normalen Boden.

Auftreten:
Man tritt in Birma leise und unauffällig auf. Man hält sich zurück und vermeidet den Mittelpunkt.

Das Gegenüber sein Gesicht wahren lassen!
Es gibt immer mehr als zwei Lösungen, und zwischen „Ja“ und „Nein“ gibt es Hunderte von Zwischenzuständen, so viele Grautöne wie zwischen Schwarz und Weiß. Es ist unhöflich, das Gegenüber in die Enge zu treiben, sodaß es für ihn keine Rückzugsebene mehr gibt. Und das tut man schon mit Worten wie „Nein!“ oder „Das ist Ihr Fehler!“ Nicht darauf bestehen, auf einen vom Andern begangenen Fehler hinzuweisen, sondern eine Fast-Lösung vorschlagen, die der andere dann zur 100%-Lösung führen kann. Bestehen Sie auf Schuld und Fehler, es wird nichts mehr laufen. Geben Sie ihm eine Vorlage, und er wird das Beste daraus machen.

Fügen Sie sich in das Machbare!
Birma ist ein Land, in dem eigentlich nichts funktioniert und doch jeder zu seinem Ziel kommt. Was wie Zauberei klingt, ist Ergebnis des reibungslosen Sich-ineinander-Fügens unterschiedlichster Interessen, das viel besser miteinander als gegeneinander funktioniert. Als Tourist lasse man seinen Durchsetzungswillen und seinen Terminkalender ganz zu Hause. Man höre und schaue, treffe nette Menschen, äußere seine Wünsche, und nehme das an, was geht. Und man hat mit dieser Methode nachher mehr erlebt und gesehen als mit der „Hoppla-jetzt-komme-ich-Methode“ oder der „Ich-zahle-also-bestimme-ich-Methode“. Beide Ansätze sind schrecklich ungeeignet für Birma, wie überhaupt für ganz Asien.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
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