Bernhard Peter
Chchrrrrotsch! Betelspucken wie ein Lama

Betel ist die wahre Sucht Birmas

Betel ist die Wahre Sucht Birmas, bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt. Alkohol spielt nur eine untergeordnete Rolle, und auch der Genuß von Cheroot oder neuerdings auch Zigaretten reicht bei weitem nicht an die Beliebtheit von Betel heran. Betel ist eine der wenigen Dinge, die sich die Birmanen noch nicht einmal von ihrer Regierung verbieten ließen, obwohl die es einmal in Jangon versucht hatten. Und auch die Jugend ahmt nur gelegentlich das Zigarettenrauchen nach, die Liebe zum Betel ist ungebrochen, ganz im Gegensatz zum Nachbarland Thailand, wo einem Betel nicht auffallen würde, wenn man nicht gezielt darauf achtete. Man trifft in Birma immer wieder einen netten Menschen, er lacht und entblößt die Zähne – rot verfärbte Stummel in sichtlich angegriffenem und degeneriertem Zahnfleisch, dazwischen schwärzlich-rote Brocken, das Lächeln eines langjährigen Betelkauers. Blutrote Flecken allerorten auf Straßen und Gehsteigen, als wäre alle paar Meter ein Schwein geschlachtet worden – mitnichten: Betelflecke, denn Betel regt den Speichelfluß an und der muß irgendwo hin entsorgt werden, und sei es aus dem Fenster des fahrenden Autos, denn das Verschlucken ist nicht besonders gut für den Magen. Wenn ich mehrere Stunden mit dem Taxi unterwegs war, war es vollkommen normal, daß er, so wie in Europa ein Kaugummi, seinen Betelbissen kaute und ab und zu das Seitenfenster herunterkurbelte – chrrrrrotsch! Wieder ein neuer roter Fleck auf der Straße. Man geht nichtsahnend durch Jangons Innenstadt und begutachtet die Auslagen der spätabendlichen Stände in den Straßen – chrrrrrotsch! Es landet was Rotes neben dem Schuh. Man döst in der Nachmittagssonne in einem schattigen Pavillon der Shwedagon – chchrrrrrotsch direkt neben dem Ohr! Zum Glück sind hier Behälter aufgestellt, die die Birmanen mit der Treffsicherheit eines Lamas zu treffen vermögen. Die Spuren des Betelkauens begegnen dem Touristen in Birma im wahrsten Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt, denn die Betelkauer spucken praktisch überall ihren reichlich fließenden roten Speichel aus, der dann charakteristische rote Flecke, die wie Blutspuren aussehen, hinterläßt. Grund für die rote Farbe ist das in der Arecanuß enthaltene Arecarot, das erst durch die Kalkeinwirkung freigesetzt wird und diese intensive Farbe entwickelt.

Ein Betelbissen besteht aus unterschiedlichen Zutaten. In den Städten stehen alle paar Dutzend Meter, in Jangon in den Straßen mit Abendmarkt sogar manchmal alle 5-10 Meter kleine Stände, die eigentlich nur ein Tischchen mit Aufsatz darstellen. Auf der Fläche des Tischchens werden ein paar Betelblätter flach ausgebreitet, mit einem Pinsel aus einem weiß verkrusteten Topf oder Glas mit Kalk bestrichen, dann werden in die Mitte ein paar Brocken zerbrochene Betelnuß gelegt. So wartet man auf Käufer. Diese drei Bestandteile – Betelblatt, Kalk und Betelnuß – sind essentiell. Alles andere ist Geschmacksache. So entscheidet der Käufer dann, welche weiteren Zutaten, aromatischen Zusätze oder Gewürze er haben möchte. Diese werden dann vor seinen Augen aus den unterschiedlichsten auf dem Tischchen bereitstehenden Dosen, Gläsern und Büchsen hinzugefügt, dann werden die Betelbissen zusammengerollt und eingepackt. Normalerweise wird der Betelbissen immer frisch bereitet, aber auch individuell dosiert, und ein guter Betelverkäufer kennt alle Vorlieben seiner Stammkundschaft.

Der Betelbissen wird gemütlich gekaut, meist nach einer Mahlzeit in den Mund geschoben, oft über mehrere Stunden im Mund belassen, manche Menschen scheinen sogar während eines Nickerchens den Priem zwischen Backe und Zähnen eingeklemmt zu lassen.


Betelschneider in Hintha-Form

Zusammensetzung eines Betelbissens:

Betelblatt: Die für den Priem genutzten Blätter haben einen hohen Gehalt an Eugenol, so daß sie beim Zerreiben intensiv nach Gewürznelken duften und ähnlich schmecken. Für ihre Verwendung müssen sie möglichst frisch sein. Das Betelpfefferblatt schmeckt erfrischend aromatisch und wirkt durch das ätherische Öl schwach lokalanästhetisch und verdauungsfördernd. Durch das enthaltene Eugenol wird ein etwas betäubendes Gefühl im Mund verursacht - man bedenke, daß Eugenol oder vielmehr einfach Nelkenöl lange Zeit auch in Europa als Lokalanästhetikum in der Zahnheilkunde verwendet wurde. Interessant ist eine gewisse Schutzwirkung durch die Inhaltstoffe der Betelblätter (s.u.).

Kalk: Gelöschter Kalk, Ca(OH)2, dient der Freisetzung der in der Nuß enthaltenen Alkaloide aus ihrer Bindung an Gerbstoffe und der hydrolytischen Umwandlung der Inhaltstoffe.

Betelnuß: Liefert die Alkaloide. Für die Psychostimulation sind das Arecaidin und das Guvacin bedeutungsvoll, die beim Kauen mit dem alkalischen Kalk sehr rasch aus ihren Methylestern Arecolin und Guvacolin entstehen.

Da der Betelbissen durch die Alkaloide sehr bitter schmeckt, werden in Asien häufig Gewürze wie Anis, Kardamon, Gewürznelken, Ingwer, Zimt, Muskatnuß, Macis, Campher, Minze, Fenchel zur Geschmacksverbesserung oder zur Verdauungsförderung beigemengt. Aber auch weitere Stimulantien sind möglich, Kautabak z. B. oder Stärkeres. Gerne wird i. a. auch Gambir (eingedickter Preßsaft von Uncaria gambir) genommen.

Stammpflanzen der Einzelkomponenten:

Betelnuß: Areca catechu L., Arecaceae – Palmengewächse, Synonyme: Arecanuß, Pinganuß. Die Pflanze ist ein Palmengewächs, welches mit ihren wunderschönen feingefransten Blättern alle Klischees einer eleganten Palme erfüllt. Wildbestände existieren heute nicht mehr, wahrscheinlich war sie ursprünglich auf den Philippinen oder auf den Inseln des malaiischen Archipels beheimatet. Sie ist heute in ganz Südasien, Ostafrika und auf den Inseln der Karibik verbreitet. Es sind einstämmige Fiederpalmen, die 10- 30 Meter hoch werden können. Die Blattwedel des Schopfes erreichen 2-3 m Länge. Männliche und weibliche Blüten befinden sich in kolbenförmigen Blütenständen unterhalb der Blätter. Die männlichen Blüten sitzen oberhalb der weiblichen. Die in großen unterhalb der Palmwedel herunterbaumelnden, verzweigten Fruchtständen mit je 150-200 Früchten heranwachsenden, eiförmigen, 7-8 cm langen Früchte sind unreif dunkelgrün, reif gelborange bis orangerot. Eine faserige Fruchtwand umschließt den harten, zimtbraunen, netzartig gemaserten Kern von ca. 3-10 g Gewicht. Übrigens – das ist botanisch der Samen einer einsamigen Beere und keine Nuß!

Betelblatt: Piper betle Linnaeus, Piperaceae – Pfeffergewächse, eine tropische Kletterpflanze, die in denselben Regionen gezogen wird, in denen auch die Betelpalme angebaut wird.

Pharmakologie des Betelbissens: Die Wirkstoffe der Betelnuß

Die Betelnuß enthält vor allem Piperideinalkaloide (typischerweise 0,3-2,0 % insgesamt): Arecolin (das bekannteste und Haupt-Alkaloid im Betel, 0,3-0,6 %), Arecaidin (0,3-0,7 %), Arecolidin, Guvacolin (0,03-0,06 %), Arecilidin, Isoguvacin und Guvacin (0,2-0,7 %). Für die euphorisierende, stimmungserhellende Wirkung der Betelnuß sind das Arecaidin und das Guvacin wichtig, die beim Kauen mit dem basischen Kalk sehr rasch aus den Methylestern Arecolin und Guvacolin freigesetzt werden. Das Alkaloid Arecolin kommt in der Betelnuß zu etwa 0,1-0,5 % dort vor, ist aber erst zu einem geringen Prozentsatz zur wirksameren Substanz Arecaidin verseift. Der dem Betelbissen zugesetzte Kalk bewirkt, daß spätestens im Mund alles Arecolin in Arecaidin und Guvacolin zu Guvacin umgewandelt werden. Alle Alkaloide haben die gleiche Grundstruktur und gehören zu einer ähnlichen Klasse wie das Nikotin. Dabei sind Guvacin und Guvacolin die Varianten mit unsubstituiertem Stickstoff, Arecolin und Arecaidin die am Stickstoff methylierten Vertreter. Guvacin und Arecaidin sind die verseiften Verbindungen, dagegen sind Guvacolin und Arecolin die Methylester.

Arecolin: Vorstufe des wirksamen Alkaloides Arecaidin, aber mit eigenem Wirkprofil: Seine Wirkung ist eine parasympathomimetische, d. h. es kommt zur Erregung des vegetativen Nervensystems über Reaktion an muscarinerg- (stark agonistisch) und nicotinerg-cholinergen Rezeptoren (schwach agonistisch), was auch für den erhöhten Speichelfluß verantwortlich ist. Typische Wirkungen sind Abnahme der Herzfrequenz, Senkung des peripheren Gefäßwiderstandes, Steigerung der Sekretion an Magen, Speicheldrüsen, Schweißdrüsen und in den Bronchien, Zunahme des Tonus der glatten Muskulatur des Magen-Darm-Kanales. Arecolin wird aber nur in geringem Ausmaße über die Mundschleimhaut resorbiert, weil beim Kauen ständig Hydrolyse zu Arecaidin stattfindet, welches ein anderes Wirkungsprofil hat. Würde der Bissen geschluckt, fände im Gastrointestinaltrakt Resorption in weitaus größerem Maße statt, und die Nebenwirkungen wären stärker. Die Methode des Kauens mit Kalk stellt somit einen optimierten Prozeß dar, der die parasympathomimetischen Nebenwirkungen in Grenzen hält und ein Maximum an zentral stimulierender Wirkung ermöglicht. Nebenbei von Interesse: Arecolin wurde früher in der Tiermedizin als Wurmmittel angewendet.

Arecaidin: Hauptverantwortlicher für die psychostimulierende Wirkung, Hemmung der Wiederaufnahme (Reuptake, Rückspeicherung) des Neurotransmitters GABA (gamma-Amino-buttersäure) in die Nervenzellen, damit Depletion inhibitorischer GABAerger Neuronen, dadurch wird die gewünschte Antriebsteigerung und zentrale Erregung bzw. Stimulierung hervorrufen. Die Aminocarbonsäure Arecaidin hat selbst keine parasympathomimetische Wirkung mehr.

Guvacin: Nebenverantwortlicher für die psychostimulierende Wirkung. Wie beim Arecaidin Hemmung der Wiederaufnahme des Überträgerstoffes GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) in die Nervenzellen, dadurch entsteht die gewünschte Erregung bzw. Stimulierung im Zentralnervensystem.

Gerbstoffe: Neben diesen Alkaloiden sind Gerbstoffe (Tannine- Galotanninsäure, Gallsäure, D-Catechol, Phlobatannin, 10-25% Catechingerbstoffe) in der Betelnuß enthalten. Kürzlich wurden in den Areca-Samen vier neue polyphenolische Substanzen mit tumorhemmender und immunsystemstärkender Wirkung entdeckt, die ein membrangebundenes Enzym (5'-Nucleotidase) hemmen können.

Sonstige Inhaltstoffe: Weitere Inhaltsstoffe der Betelnuß sind Schleim, Harz, Kohlenhydrate (Saccharose, Galactan, Mannan), Proteine, Saponine, Carotene, Mineralstoffe (Calcium, Phosphor, Eisen) und Lipide.


Betelschneider in Elefantenform

Betel – Suchtmittel oder Genußmittel?

Betel gilt in Birma wie in ganz Südostasien und Indien als Genußmittel und nicht als Rauschmittel. Die Wirkung besteht für den Betelkauer darin, daß er sich in einen Zustand des Wohlbefindens und der Gelassenheit, der wohldosierten Euphorie und des leichten Angeregtseins versetzt fühlt, daß er eine Erhöhung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit empfindet. Ein Gefühl der Leichtigkeit im Kopf ist typisch für Betel. Dabei ist der Effekt nur leicht und in keiner Weise vergleichbar mit stärkeren Drogen. Insbesondere nach einer Mahlzeit genossen regt der Betelbissen auch die Verdauung an. Betel erfüllt insgesamt ein bißchen die Funktion wie eine Zigarette in Europa, ähnlich ist auch das Ausmaß der Wirkung. Besonders bei leichter Müdigkeit wirkt ein Betelbissen stimulierend, stimmungsaufhellend und anregend, und wegen der Aufnahme der Wirkstoffe über die Mundschleimhaut tritt der gewünschte Effekt auch ziemlich schnell ein. Interessant ist auch, daß von einem günstigen Effekt bei Gedächtnisdefiziten berichtet wird.

Risiken des Betelkonsums

1.) Ungewohnt starke oder rauscherzeugende Varianten: Es gibt in Birma neben der gewöhnlichen Betelnuß die stark rauscherzeugende Form ’toung-nu‘.

2.) Aber auch die normale Betelnuß hat ihre Risiken: Nebenwirkungen sind bei ständigem und langjährigen Ge- bzw. Mißbrauch neben der psychischen Abhängigkeit Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen und Zahnfleischentzündungen.

3.) Erhöhte Mundhöhlenkrebsrate bei Betelkauern: Man ging der Sache nach, als man bei langjährigen Betelkauern ein gehäuftes Auftreten von Karzinomen im Mund- und Rachenbereich feststellte. Tierexperimente haben diesen Verdacht inzwischen bestätigt, so daß von Dauerkonsum dringend abzuraten ist. Bei der erhöhten Krebsrate dürften gebildete Nitrosamine wie N-Nitrosoguvacin, N-Nitrosoguvacolin, 3-(Methylnitrosamino)-propionitril und 3-(Methylnitrosamino)-propionaldehyd (alle diese Verbindungen wurden im Speichel von Betelkauern analysiert) sowie reaktive Sauerstoffspezies im Zuge der Autoxidation der Gerbstoffe eine Rolle spielen. In dem Zusammenhang ist interessant, daß die Betelblätter mit Hydroxychavicol einen Schutz vor der carcinogenen Wirkung bereitstellen: Hydroxychavicol hemmt die Nitrosaminbildung. Carotinoide und Retinoide können ein Abfangen freier Radikale ermöglichen und so vor der carcinogenen Wirkung des Betelbissens schützen.

4.) Bei höherer Einzeldosis kann es neben dem erhöhten Speichelfluß zu Bradykardie, Schwindel, Schweißausbrüchen, Brennen im Mund- und Rachenraum und Brechreiz kommen. Eine Überdosis kann Herz- und Atemlähmung verursachen, dabei ist die tödliche Dosis 8 bis 10 g der Samen.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
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