Bernhard Peter
Restaurierung - der birmanische Eigenweg

Tropisches Klima sorgt schon in einer Regenzeit dafür, daß selbst neue Mauern historisch aussehen. Vegetation dringt in kleinste Spalten ein und sprengt die meistens aus Ziegel gemauerten Wände. Ficus-Arten umklammern Mauerwerk und zerdrücken ganze Bauwerke. Während die großen Tempel und Pagoden aus sehr qualitätvollem Mauerwerk sind und dem Verfall eine immense Baumasse entgegenzusetzen haben, betrifft der Verfall vor allem die vielen kleinen Nebengebäude und kleineren Pagoden. Erdbeben beschädigen die historischen Bauten wie jenes von 1975 in Bagan und zwingen zum Handeln. Last but not least richten Kunstplünderer nicht wiedergutzumachenden Schaden an, sei es der Bilderdieb „Dr. Thomann“ 1899 oder heutzutage die Sehnsucht der Bewohner nach ein paar Dollars - immer mal wieder werden dem Touristen Teile von Statuen oder Terrakotta-Arbeiten angeboten, die wirklich alt und echt aussehen. Das Einsehen der Anbieter ist äußerst begrenzt, wenn man ihnen erklärt, daß sie das im Archäologischen Department abgeben sollen, weil es schließlich ihr eigenes kulturelles Erbe sei und integraler Bestandteil dieser einzigartigen Stätte.

Ohne Konservierung und Restaurierung wäre auch in Bagan bald nichts mehr so wie wir es uns wünschen. Doch über das „Wie“ kann man sehr geteilter Meinung sein.

Unsere Vorstellungen von Restaurierung sind vor allem die Erhaltung des Status quo und allenfalls die Ergänzung dort, wo die Formen gesichert sind. So gerne man auch anschaulich eine Vorstellung davon vermitteln möchte, wie es damals ausgesehen haben könnte – wir illustrieren das lieber anhand eines Modelles und sind beim Ergänzen von Mauerwerk in der modernen Denkmalpflege sehr zurückhaltend, außer wenn historische Dokumente, Photographien oder Zeichnungen eine Rekonstruktion zulassen oder das Vermessen der heruntergefallenen Bauteile eine exakte Positionierung zuläßt, was bei Ziegelsteinen eher schwer fallen dürfte.

In Birma dagegen scheinen andere Aspekte im Vordergrund zu stehen: Zum einen ist nicht die Form Träger der kultischen und kulturellen Kontinuität, sondern die Funktion. Während es bei uns eher um Erhalt der Form geht (musealer Aspekt), steht in Birma der Erhalt der Funktion (kultureller Aspekt) im Vordergrund. Oder anders ausgedrückt: Es ist wichtiger, daß wieder Mönche ein Kloster beleben als daß die „wiederaufgebauten“ Gebäude alten Formen folgen. Es ist wichtiger, daß eine Pagode wieder vervollständigt und vergoldet wird und als weithin sichtbares Landschaftszeichen an die Lehren des Buddhismus erinnert als daß die Kuppel tatsächlich der im 12. Jahrhundert gemäßen Form folgt.

In diesen Zusammenhang paßt auch, daß besonders altehrwürdige Pagoden wie eine Zwiebel aus vielen Schichten bestehen. Auch heute große Pagoden haben mal klein angefangen und wurden von immer neuen Stiftern im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu ummantelt, wobei die äußere Gestalt sich nach dem Zeitgeschmack richtete. So kann eine jahrtausendealte Pagode durchaus komplett dem Stil des 19. Jahrhunderts folgen, ohne daß das der Würde und dem Alter und dem Ansehen des Gebäudes Abbruch täte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist natürlich auch, daß man gerne dem Touristen ein möglichst anschauliches Bild bietet, wie die Stadt Bagan im 13. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. Der Tourist kann sich berauschen an den vielen Spitzen, Türmchen und Pagödchen auf den Terrassen und Dächern, wird aber erst beim genaueren Hinsehen der Tatsache gewahr, daß der Zahn der Zeit die meisten Dachbekrönungen einst abgenagt hatte und insbesondere die perfekten Shikharas oder Spitzen eifrig in letzter Zeit nachgearbeitet worden sind. Die großen Pahtos und Pagoden sind weitgehend intakt. Viele der kleinen und kleinsten begleitenden Pagoden von selten mehr als 4 Metern Höhe sind aber oft nur als unförmiger Ziegelhaufen auf uns gekommen und glänzen jetzt in die Landschaft wie z. B. besonders auffällig beim Dhammayazika, bei genauerem Hinsehen ist nicht ein einziger Ziegel der Außenflächen alt. Wo nur noch ein Ziegelhaufen war oder nur noch Grundmauern zu finden sind, ist eine Rekonstruktion einfach sinnlos. Doch da werden munter zig kleine viereckige Pagoden errichtet, die in ihrer geleckten Sauberkeit das altehrwürdige Ensemble stören. Man darf gespannt sein, was mit den freigelegten Grundmauern des Palastes in Alt-Bagan in den nächsten Jahren geschieht.

Birma geht bei der Restaurierung einen Eigenweg. Obwohl Bagan z. B. unbestritten zum bedeutendsten Weltkulturerbe der Menschheit gehört, ist es nicht auf der Liste der von der UNESCO geförderten Stätten, weil die Obrigkeit bestimmte Auflagen bei der Restaurierung nicht erfüllt.

Beim genaueren Hinsehen fallen insbesondere in Bagan einige Eigenwilligkeiten auf, die nicht im Einklang mit verantwortungsbewußtem Umgang mit historischer Bausubstanz stehen:

Die Qualität des Ziegelmauerwerks kommt nicht ans Original heran. Das Ziegelmauerwerk der alten Bauten von Bagan ist von erstaunlich guter Qualität. Die Ziegel sind sehr genau geformt, die Abstände minimal. Es wird überliefert, daß König Narathu beim Bau des Dhammayangyi z. B. Arbeiter hinrichten ließ, wenn er eine Nadel zwischen zwei Ziegel schieben konnte. Wie auch immer es wirklich gewesen ist, Tatsache sind fast unsichtbare Zwischenräume von maximal 1-2 mm zwischen den einzelnen Ziegelsteinen des Dhammayangyi (mal von äußerlicher Verwitterung der Kanten abgesehen), und bei anderen Bauwerken sind es auch nur wenige Millimeter. Das kann man nicht mit gewöhnlichem Mörtel erreichen, die genaue Komposition des Bindemittels ist noch nicht bekannt, diskutiert wird Lack o.ä. als Beimengung. Ergänztes oder neu aufgemauertes Ziegelmauerwerk hat dagegen „normalen“ Mörtel und Fugen von bis zu 15 mm Dicke! Leicht kann man so neu und alt unterscheiden, markant sind die Grenzen im Mauerwerk. Wenn das die Absicht war – gelungen!

Stuckarbeiten werden dilettantisch ergänzt, ohne die Feinheit und Vielfalt des Originals auch nur ansatzweise zu erreichen.

In die fertigen Räume – gerade der Nebengebäude – wird ein Buddha „von der Stange“ gesetzt, Dutzendware, nach nichts aussehend, eher einem naiv dargestellten feisten Baby ähnelnd als den alten Statuen. Wir würden sagen: Lieber keinen Buddha als so einen Qualitätsabfall gegenüber den vorhandenen alten Statuen in den anderen Gebäuden hinzunehmen. Im heutigen Birma scheint hier aber die zügige Wiederherstellung der Funktion wichtiger zu sein als die erreichte Qualität im einzelnen. Die Bevölkerung nimmt es an und verehrt auch die Buddhas von der Stange mit Blumengirlanden, die Touristen merken es meistens nicht, also, was soll’s. Aber es ist weder Kunst noch verantwortungsbewußte Denkmalpflege.

In manchen Gebäuden hängen Vorher-Nachher-Photos. Vorher fehlte meistens bei den kleineren Nebengebäuden das Dach. Bei der Rekonstruktion desselben werden beliebige Dächer draufrestauriert, die zwar in der Form irgendwo in Bagan wirklich überliefert sind, aber eben nicht in DIESER Form auf DIESEM Gebäude nachgewiesen wurden. Stilistisch vielleicht sogar authentisch, aber ohne tatsächlichen Beweis aus der überlieferten Bausubstanz werden diese Dachbekrönungen zur schönen Fälschung.

Darüberhinaus wirken viele der rekonstruierten Dächer viel zu verspielt für diese Periode, viel zu uneinheitlich. Die Größe der Architektur Bagans liegt in der klaren Form, der gelungenen Proportion und der Kunst harmonisch gestufter Übergänge zwischen den kubischen Klötzen. Die Größe liegt vor allem auch in der Beschränkung auf wenige Elemente – Terrassen, Eckaufsätze, Fenster, Spitzen, die, einmal gewählt, in Wiederholung beibehalten und rhythmisiert werden. So haben die Bauten Größe und Ruhe zugleich, obwohl die massige Bausubstanz durch viele kleinteilige Elemente aufgelockert wird. Diesen Plan verlassen die rekonstruierten Dächer.

Handwerkliche Dilettantismen berühren peinlich: Viele der großen Bauten in Bagan haben das Erdbeben von 1975 unbeschadet überstanden. Die schlechte Bauqualität so mancher Rekonstruktion würde nicht einmal ein Zehntel der damaligen Erdstöße ertragen können. Die alten Spitzbogengewölbe in Bagan sind eine architektonische Neuerung, die selbst in riesigen Konstruktionen die Kraft der ungeheuren Ziegelmassen wirkungsvoll auf die tragenden Wände verteilt. Die neuen kleinen Pagödchen haben vielfach ein falsches Kragsteingewölbe: Ziegelsteine kragen immer weiter in den Raum hinein und werden schließlich mit dem Meißel zum Spitzbogen geglättet – billig, da ohne Leerform auskommend, doch ein offensichtlicher handwerklicher Fehler, denn die alten Spitzbögen waren echte Gewölbe. Und richtig peinlich wird diese Schnellmethode, wenn – wie ich in einer kleinen viereckigen Pagode im Eingangsbereich sehen konnte - der Spitzbogen in seinem Verlauf einen konvexen Gegenbauch hat....

Noch ein erschreckendes Beispiel für den Umgang mit historischen Stätten und zugleich für das doppelte Maß, mit dem hier gemessen wird: Zwischen Nyaung U und Alt-Bagan wurde ein Golfplatz gebaut. Dafür mußten zwar keine Ruinen weichen, aber historischer Boden und archäologische Zone ist das Gebiet auf jeden Fall! Über die Notwendigkeit von Golfplätzen in einem der ärmsten Länder der Welt kann man geteilter Meinung sein, das soll auch gar nicht diskutiert werden. Aber hier am Rande der einzigartigen historischen Bauten in einer weltweit einzigartigen archäologischen Zone gehört mit Sicherheit keiner hin. Aber Golf ist der Sport der Oberschicht, sprich der führenden Militärs. Das darf sein. Das ist wichtiger als 1000 Jahre Geschichte. Aber vor dem Hintergrund einer riesigen Zwangsumsiedlung, bei der die Bewohner von Alt-Bagan weichen mußten, damit man die Tempel ungestört von Hütten erforschen kann, ist der Golfplatz ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die damals ihr Heim verloren.

Ebenso umstritten ist der Bau einen neuen Aussichtsturmes. Wunderschön ist die Ebene von Bagan: So weit das Auge reicht, Savanne, Palmen, Tempel, Pagodenspitzen. Und genau dazwischen steht jetzt ein häßliches Gerippe aus grauem Beton, von der Regenzeit unansehnlich, spindeldürr, deplaciert. Wer Aussicht will, soll auf die Pagoden klettern. Und wer noch höher hinaus will, kann sich einen Heißluftballon mieten. Aber dieser Betonturm, wenn er denn je fertig wird, verletzt die ästhetischen Gesetze der Ebene von Bagan und stört das Auge empfindlich. Kein Mensch verlangt, daß in Bagan die Zeit stehenbleibt. Aber man darf verlangen, daß ein historisches Ensemble, das weltweit einzigartig ist, ein bißchen länger als ein Jahrtausend seinen Zauber bewahren darf.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich einem in Birma, besonders augenfällig in Bagan, ein ganz anderer Umgang mit historischer Bausubstanz zeigt als wir ihn unter verantwortungsbewußter Denkmalpflege verstehen. Wichtig ist, das Bauwerk als Träger einer Idee lebendig zu halten, dafür nimmt man die Wandlung der Form als weniger bedeutend in Kauf, eine Gratwanderung, die hier aber nicht zur Zufriedenheit der UNESCO-Experten ausfällt. Und trotz großer Investitionen in die Restaurierung kann nicht verhindert werden, daß die echte historische Bausubstanz weiter verfällt und von den Bewohnern zum Verkauf angebotene echte Kunstwerke im Touristengepäck den Weg in die Ferne finden und Bagan ärmer zurückbleibt als zuvor.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
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