Bernhard Peter
Blattgold - von Hand geschlagen

Das rhythmische Schlagen aus den Werkstätten im Viertel der Blattgoldherstellung übertönt selbst den Straßenlärm in Mandalays Südstadt. Leicht sind sie daher zu finden, die Werkstätten, in denen heute noch ganz ohne Maschinenkraft Blattgold hergestellt wird. Rechts und links des Eingangs befinden sich gänzlich verglaste und damit verschlossene Räume, in denen an niedrigen schwarzlackierten Tischen junge Damen auf Bastmatten knien und mit kleinen Knochenmessern Blattgold zuschneiden, zwischen hauchdünne Papierchen schieben und für Verkauf oder Weiterverarbeitung bündeln. Kein Lufthauch soll die hauchdünnen Blättchen stören.

Dann wird die ganze Aufmerksamkeit vom Geschehen im Hauptraum in Anspruch genommen: Es gibt drei Schlagplätze. Jeder hat ein hölzernes Gestell im Rücken wie eine Art Misericordie, zwischen den gespreizten Füßen hat er einen schräggestellten schweren Stein aus metamorphem Material. Auf diesen Stein ist ein hölzerner Rahmen geschnallt, der mit einer Fahrradkette nach hinten abgespannt ist. Dieser Rahmen fixiert ein Paket aus Goldblättchen zwischen Bambuspapier, zusammengehalten durch eine Hülse aus Hirschleder, verkeilt mit hölzernen Lückenfüllern in den seitlichen Zwischenräumen.

Mit beiden Händen schwingen die Männer den 3 kg schweren Hammer am ca. 50 cm langen Stiel und schlagen rhythmisch im Schein einer Kerze auf das Päckchen zwischen ihren Füßen ein, während ihnen der Schweiß herunterrinnt, denn es sind unzählige Schläge, bis Blattgold hergestellt ist, alle 1.5 Sekunden ein Schlag.

Da während der Arbeit schlecht nachkontrolliert werden kann, wie weit die Goldblättchen schon breitgeschlagen sind, wird nach einem festen Zeitplan gearbeitet. Zeitmesser ist eine Wasseruhr: In einer Plastikschüssel schwimmt eine halbe Kokosnuß-Schale mit Loch. Lochdurchmesser und Gewicht sind so aufeinander abgestimmt, daß die Schale nach 3 Minuten im Eimer untergeht. Während „einer Kokosnuß“ muß der Arbeiter 120 Schläge ausführen. 18 „Kokosnüsse“ sind eine Stunde, die winzige Pause des erneuten „Stellens“ der Wasseruhr einkalkuliert. Das ergibt 2160 Schläge in der Stunde!

Auch wenn der Beruf des Goldschlägers hochangesehen und relativ gut bezahlt ist – das sind auch 2160 Stöße auf die Bandscheiben in der Stunde, und deshalb sind die Arbeiter – oder sagen wir realistischer menschliche Maschinen - schon nach wenigen Jahren von Rückenschmerzen geplagt und nach einem Jahrzehnt einfach verschlissen und invalide – und das ohne staatliche soziale Absicherung oder Lebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherung. Wenn der Rücken kaputt ist, kann man in Birma nur noch auf seine Familie hoffen.

Insgesamt ist der Prozeß äußerst langwierig. Begonnen wird mit 200 dünnen gehämmerten Goldblechstückchen in einem Päckchen, jeweils durch eine Lage Bambuspapier getrennt. Dieses Paket wird eine halbe Stunde lang geschlagen. Danach wird jedes Goldstückchen in 6 Teile geschnitten und neu eingepackt. Bambuspapier zwischen jeweils zwei Blättchen, Hirschlederhülse außen herum, Holzkeile in die Zwischenräume, festschnallen. Ein Päckchen enthält jetzt 1200 Lagen Gold. Wieder wird eine halbe Stunde auf das Päckchen eingedroschen. Danach wird das Blattgold wieder kleiner zerteilt, die neuen Päckchen sind kleiner und enthalten jeweils nur 720 Lagen Gold. Jetzt beginnt der eigentliche Marathon: 5 Stunden lang werden dieses Blättchen jetzt geschlagen, bis sie ihre gewünschte Ausdehnung und Dicke erreicht haben. Natürlich wechseln sich die Männer dabei ab, niemand kann 5 Stunden lang dieses Schlagtempo halten. Die Blättchen werden danach in den verglasten Nebenräumen auf die gewünschte Größe zugeschnitten, auf hauchdünnes Strohpapier übertragen, in einen winzigen Umschlag getan, der mit einem roten Faden zugebunden wird. Diese Umschläge werden dann gebündelt und in den Verkauf gebracht. Da hat jedes einzelne Blättchen 6 Stunden Schlagen hinter sich, d. h. ca. 12960 Schläge!

Seine wichtigste Rolle spielt das Blattgold nicht nur beim Vergolden von Dächern, Schreinen und Pagoden durch Handwerker, sondern vor allem beim Vergolden von Buddhas durch das fromme Volk. Blattgold auf Buddhastatuen anzubringen ist ein äußerst verdienstvolles Werk, und einige Buddhas sind so sehr vergoldet, daß ihre Form kaum mehr zu erkennen ist.

In der Phaung Daw U-Pagode im Inle-See gibt es fünf hochverehrte Buddhastatuen, die jedes Jahr beim Phaung Daw U-Fest reihum mit einem Prunkboot samt Eskorte von Dorf zu Dorf gefahren werden (genauer nur vier der fünf, weil eine mal auf dem Grund des Sees landete und nach der wundersamen Rettung zu Hause in der Pagode bleibt) und Gegenstand höchster Verehrung sind. Wer Statuen erwartet, wird bitter enttäuscht sein – die kleinen sind nur noch unregelmäßige Kugeln, die großen haben noch soviel Ähnlichkeit mit einer nach menschlichem Vorbild geformten Figur wie ein an der Sonne schmelzender Schneemann.

Ein weiterer berühmter und besonders heiliger Buddha ist in der Mahamuni-Pagode im Süden Mandalays: Es ist ein wichtiges Zentrum der Volksfrömmigkeit, diesem Buddha vertraut man seine kleineren und größeren Alltagssorgen an. Die gewaltige Statue ist im erreichbaren unteren Bereich so unförmig aufgedunsen durch das viele Gold, das Gläubige im Laufe von Jahrzehnten aufgeklebt haben, daß jede Proportion verloren ist, daß Beine und die Hand der Erdberührungsgeste nur noch aus der Ferne zu erahnen sind, während man aus der Nähe nur noch eine warzige unschöne Struktur wahrnimmt, daß die Statue aufgrund der verzerrten Proportionen noch viel größer erscheint als sie ohnehin schon ist, daß man ganz ketzerisch den Gedanken hat an eine Wachsfigur, die auf einer heißen Herdplatte im unteren Bereich der Verformung anheimgefallen ist – so massiv sind die Goldauflagen, und in einer Schlange stehen die Gläubigen an der Metalltreppe an, um auf den schmalen Umgang zu gelangen und dort neue Goldblättchen anzuheften. Ein Mönch zeigt mir, wie es geht, geleitet mich auf den Umgang, spricht ein Gebet, während ich die verschnürten Päckchen mit den einzelnen Goldblättchen aufreiße, zeigt er mir Stellen, wo die Oberfläche weniger blank ist und neues Gold nötig ist. Aus der Nähe sehen Buddhas Beine eher wie eine buckelige Sinter-Oberfläche einer Tropfsteinhöhle aus. Erst nachher aus der Ferne sieht man wieder, daß es sich um Buddhas rechtes Knie handelt, wo seitdem materialisierte Genesungswünsche für eine gute Freundin haften. Dreimal, so erklärt der Mönch, müsse man nun um seine Wünsche bitten, dreimal die Hände vor der Stirn zusammenlegen und sich vor der Statue verneigen. Er spricht selbst noch ein Abschlußgebet, dann steigen wir wieder die Metall-Leiter herunter und reihen uns ein in die Masse betender Menschen im Vorraum zum Allerheiligsten. In den Räumen der Pagode hängen Photos, die im Abstand von mehreren Jahrzehnten gemacht worden sind, erst da kann man richtig ermessen, welche Goldschicht in den letzten hundert Jahren dazugekommen ist und welch unermeßlicher Wert hier verarbeitet wurde. Aber auch, welche zahllosen Sorgen und Bitten die Menschen in Verbindung mit der Goldspende an den Mahamuni-Buddha herangetragen haben.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
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