Bernhard
Peter
Travestie
zu Ehren der Geister - Ein Nat-Pwe
Erster Akt:
Bago, Hintha-Gon-Pagode, ein gekachelter Seitenraum. Ein
schlaksiger junger Mann dreht sich nach hinten gelehnt mit
anmutig geneigtem Kopf zu ohrenbetäubender Perkussionsmusik, in
der rechten Hand eine Flasche Hochprozentiges schwingend und auch
ab und zu an ihr nippend. Grell seine Kleidung: Pinkfarbener
Longyi, pinkfarbene durchscheinende Bluse über weißem Hemd,
magentafarbene Gürtelschärpe, hinten zu einer riesigen Schleife
gebunden. Sorgfältig mit Kokosöl gepflegte schwarze Haare sind
straff nach hinten gekämmt und mit Haarnadeln fixiert. Um den
Kopf trägt er eine gefaltete Tüllschärpe, in den Knoten ist am
Hinterkopf senkrecht ein orangefarbenes Tülltuch gesteckt und zu
einem Fächer ausgebreitet, der den Kopf wie eine nur oberseits
vorhandene Aureole einrahmt. Dazu Rouge, Lippenstift und
reichlich Lidschatten. In immer schnelleren Rhythmen tanzt der
junge Mann, sich drehend, hüpfend, springend, sich in
graziösesten Stellungen windend, die ganze Anmut seines
schlanken jugendlichen Körpers seidenweich zur Geltung bringend.
Handbewegungen, Kopfstellungen, Augenstellungen, die Koordination
zwischen Fußbewegungen und Fingerstellungen alles
Elemente klassischen Tempeltanzes, doch im Gegensatz zu diesem
ekstatisch, irgendwie entfesselt, extravagant.
Auf einer Estrade sitzt das Orchester hinter einer ca. 60 cm hohen Balustrade aus geschnitztem Holz mit eingelegtem Buntglas- und Spiegelmosaik. In erster Linie sichtbar: Große Trommeln, Schlagzeug und Blech aller Art, in den Pausen auch mal eine disharmonisch klagende Art von Klarinette. Eine Frau mittleren Alters singt dazu am Mikrophon, ihre Stimme wird über vier gigantische Boxen verstärkt, was eigentlich gar nicht nötig ist, denn der schmucklose, gekachelte Raum misst nur ca. 100 m2. Neben den Tänzern sind gerade mal 15 sonstige Beteiligte anwesend und ein Tourist ich. Schrill, in jeder Hinsicht.
Immer schneller wird der Rhythmus, der junge Mann fliegt nur so durch die Luft, springt auf die Estrade und wieder zurück und wirbelt durch den Raum. Immer öfter faltet er in einem Moment des Innehaltens die Hände vor der Brust zum Gruß an die auf verschiedenen Tischen an der Stirnseite des Raumes aufgebauten Figuren, schließlich sinkt er vor diesen in betender Stellung mit gefalteten Händen auf die Knie nieder und verharrt, derweil die Musik mit einem ohrenbetäubenden schnellen Rhythmus zum Ende kommt die klagenden Töne einer Klarinette wehen durch den Raum, dann Schluß, abrupt.
Zweiter Akt:
Zwei junge Tänzer, einer klein und etwas pummelig, der
andere schlaksig und lang, betreten die Tanzfläche vor den auf
Flechtmatten sitzenden Zuschauern. Der große Tänzer ist fast
ganz in weiß gewandet, in hauchdünnen Tüll, mit pinkfarbener
Kopfschärpe. Der Kleinere ist ganz in Gelbtöne gekleidet mit
orangefarbener Gürtelschärpe, blumenförmige Ohrstecker
glänzen unter einer gelben Kopfbinde mit wie oben beschriebenem
hinten in den Knoten gesteckten Tüllfächer. Ein wilder Tanz
beginnt, sie wirbeln beide graziös umeinander, daß die Augen
wie berauscht sind von der wirbelnden jugendlichen Schönheit der
Beiden, deren Züge durch dickes Makeup idealisiert wurden. Ich
bin erstaunt, welche ungestümen Energien, welche ekstatische
Wildheit bei den ansonsten so feinfühligen und zurückhaltenden
Birmanen hier freigesetzt werden. Hier in diesen Tänzen
offenbart sich eine geheimnisvolle und zugleich faszinierende
Seele Birmas. Zwischenzeitlich gehen Zuschauer auf die Tänzer zu
und heften ihnen mit Sicherheitsnadeln Geldscheine, meist 200 bis
1000 Kyats an Schultern oder Brust oder frei herabhängende
Tüllstreifen. Angehörige gehen reihum und verteilen aus einer
silbernen Schale einzeln verpackte Candies an die Zuschauer.
Zwischen den ganzen geheimnisvollen Figuren auf den Tischen
stehen Töpfe mit keimenden Kokosnüssen, Blumensträuße, auf
Tellern vorbereitete Gerichte und Paletten mit Saft und
Softdrinks, diese werden ebenfalls an die Anwesenden verteilt.
Dritter Akt:
Der erste Tänzer hat sich umgekleidet und erscheint
jetzt im pinkfarbenen Pailettenkostüm, gemeinsam mit zwei
Tänzerinnen. Zu dritt wird die nächste Episode getanzt. Dabei
haben die beiden Frauen jeweils eine ca. 1 m lange Schleppe, die
geringe Beinfreiheit bedingt eine ganz andere Tanzweise als die
weitausladende der Jungs: Mit einem kurzen, aber schnellen
Schritt nach hinten leicht nach außen gerichtet wird jeweils die
Schleppe in die gewünschte Richtung geworfen. Im Tanz der Frauen
sind auch mehr statische Elemente, mehr Elemente mit einem
Verharren in einer bestimmten Position unter Vibrieren des ganzen
Körpers, kleinere Bewegungen als bei den Jungs, aber schnellere,
weniger ausladende, aber gekünsteltere. Das Pink des Tänzers,
das metallisch schimmernde smaragdgrün und Türkisblau der
Tänzerinnen ergibt zusammen einen grellen Farbwirbel. Der
Tänzer zieht sich gegen Ende zu einer Zigarette zurück,
während die beiden Frauen wie ein doppelter Wirbelwind den Tanz
beenden.
Vierter Akt:
Die beiden Tänzer von vorhin wechseln wieder ein,
diesmal jeder mit einem birmanischen Säbel in der Rechten und
einem Büschel beblätterter Zweige in der Linken. Zuschauerinnen
wedeln ihnen mit Papierfächern energisch Wind zu. Netterweise
befächeln sich mich gleich mit, als sie merken, daß die Hitze
in dem engen Raum mir arg zusetzt. Als Ehrengast bekomme ich von
den Tänzern zwischendurch Energiedrinks und Zigaretten
angeboten.
Fünfter Akt:
Nach diesem Tanz tritt ein Tänzer mit Büffelhaube aus
der mit einem Vorhang abgetrennten Umkleide. Seine ganze Kleidung
besteht aus schwarzem Tüll, mit Bändern aus golddurchwirktem
Stoff. Wickelrock, Bluse, Gürtelschärpe alles ist in
schwarz mit golden durchwirkten Streifen. Um den Kopf hat er ein
Tuch als Polsterung gewickelt, damit die haubenartige Maske
besser sitzt. Die Maske selbst bedeckt Stirn und Schläfen,
läßt aber das Gesicht frei, sie geht hinten bis auf den nackten
und wird mit einer orangefarbenen Schnur und einem zusätzlichen
gelben Tüllband fixiert. Die Maske zeigt einen Büffelkopf mit
markanter Schnauze und zwei riesigen Hörnern, zwischen denen
eine orangefarbene Kordel hängt, an der verschiedene Objekte aus
Spiegelmosaik und weitere orangefarbene Quasten hängen. Von
jedem Horn geht eine lange Tüllschleife ab, eine in grellpink,
die andere in zartrosa. Um seinen Hals hat sich der Tänzer ein
Bündel von zusammengebundenen Jasminblütenschnüren gehängt,
ca. 30 Schnüre insgesamt. Vor seinem Tanz wird der Tänzer
reichlich mit Geldscheinen bedacht, die an seine Kleidung
geheftet werden. Wie auch bei anderen Tänzen erhält dieser
Tänzer vor dem eigentlichen Tanz für jede Hand ein Büschel
beblätterter Zweige. Die ersten Tanzfiguren werden damit
vollzogen, beliebige Anwesende werden damit angetanzt, wobei die
beiden Büschel rechts und links an dessen Kopf gehalten werden,
bis der Tänzer von ihm abläßt und auf den nächsten
zuschwingt.
Zwischendurch geht der Tänzer mit anderen Anwesenden in die Vorhalle, wo weitere Natfiguren aufgebaut, geschmückt und mit Gaben wie Blumen und Kokosnüssen bedacht sind. Dort ist eine ganz ähnlich mit einer Büffelhaube versehene Figur, die jetzt mit Schalen voller Wasser gebadet wird.
Weiterhin haben die anwesenden Frauen stets griffbereit ein Parfumspray, von jeder Seite wird der Tänzer damit eingesprüht. Der nun folgende Schreittanz des Büffeltänzers ist nicht so wild und ausladend wie die vorigen, eher ein würdevolles Schreiten und Schwingen, wird er doch durch die Maske und die ausnahmsweise bei einem männlichen Tänzer vorhandene Schleppe eingeschränkt. Es scheint eine der wichtigeren Darstellungen des Zyklusses zu sein, denn der Photograph unter den Zuschauern kann gar nicht genug Ablichtungen dieses Tänzers Arm in Arm mit allen Anwesenden auf seinen ausdrücklichen Wunsch auch mit mir - bekommen. Normalerweise ist es umgekehrt, irgendein doofer Touri will mit Folklore-Darstellungen geknipst werden, hier bin ich dagegen der Exot, mit dem sie sich gerne verewigen lassen.
Nach einem wunderschönen majestätischen Tanz kommt es zu einer hochinteressanten Handlung: Eine grüne Plastikschüssel wird gebracht, daraus nimmt der Büffeltänzer zwei lebende, ca. 25 cm lange Fische, in jede Hand einen. Nach ein paar Minuten Tanz mit diesen sind sie etwas apathisch geworden. Ein Paar kniet vor dem Tänzer nieder. Der wickelt jeden Fisch in eine 1000 Kyat-Note und legt sowohl Mann als auch Frau einen so auf den Kopf längs des Scheitels. Während die beiden (eigentlich vier) still ausharren, vollführt der Tänzer einen weiteren Tanz. Danach werden die Fische wieder herabgenommen, dem Paar in die Hände gelegt, mit Wasser aus einer silbernen Schale übergossen, schließlich wieder in die Plastikschüssel zurückgelegt, wo sie erleichtert aufatmen und sich schnellstens aus den Fingern befreien. Die drei Geldscheine (zwei von den Fischen und einer aus der Wasserschale) werden mit zwei Fingern aus dem Wasser gezogen und über den Schüsselrand zum Abtropfen hingelegt. Anschließend werden Geldscheine und Fische reichlich mit Parfüm eingesprüht, während der Tänzer in schneller werdenden Rhythmen zum Ende kommt.
Sechster Akt:
Die beiden anderen Jungs haben sich inzwischen
umgezogen. Beide kommen sie in bunter Baumwollkleidung, grober
Kleidung aus unregelmäßig mit vielen feinen Streifen versehenem
Baumwolltuch, hauptsächlich in Rottönen, mit grünen und gelben
Streifen. Das Markanteste und Auffälligste an Longyi und Bluse
ist, daß an allen Nähten lange geflochtene Fransen
herabhängen, die beim Tanzen effektvoll durch die Luft wehen.
Der Kleinere hat jetzt eine Langhaarperücke auf, das schwarze
Haar mit einem orangefarbenen Band um den Kopf nach hinten
gefaßt. Im Vergleich zu dem vorherigen übertrieben gezierten
Verhalten und den feinen und aufwendigen Kostümen ist die
Kleidung fast bäuerlich. Der Tanz entspricht diesem Bild, es ist
eher ein Stapfen im Takt, kontrastierend zu der vollendeten
Schönheit und der Grazie der Tanzfiguren davor und danach. Und
dennoch jede Handbewegung, jedes Fußsteppen sitzt.
Zwischen zwei Tänzen bringt eine Frau eine silberne Schale mit Puffreis, der mit der Rechten in die Luft geworfen wird, die Anwesenden versuchen ihn zu erhaschen. Überreste auf dem Boden werden vor dem nächsten Tanz weggefegt.
Siebter Akt:
Nach einer Pause betreten fünf Tänzer und Tänzerinnen
gemeinsam die Tanzfläche, wieder haben sich alle umgezogen. Der
wohl am auffälligsten gekleidete ist der Jüngste des Ensembles,
jetzt in einem blütenweißen europäisch anmutenden Brautkleid
mit tiefem Ausschnitt, zwei ausgestopften Brüsten, Pailletten am
Reifrock, rosa abgesetzten Tüllrosen an den Ärmelansätzen. Auf
dem Kopf trägt er einen ca. 80 cm langen Tüllschleier, gehalten
von einem straßbesetzten Diadem im schwarzen Haar. Die anderen
Jungs sind nicht minder skurril herausgeputzt, aber bunt. Für
die Fünf wird die Tanzfläche schnell zu eng. Vor den Augen
zieht bald nur noch ein bunter Wirbel vorbei. Während des Tanzes
knien sich plötzlich alle fünf um einen niedrigen Tisch, der
mit gefüllten Tellern und Getränken wie zum Mahle hergerichtet
ist. Gemeinsam heben sie den Tisch zwischen sich hoch und wiegen
ihn sanft zur Musik hin und her. Überhaupt spielen bei diesen
Tänzen aufgestellte Eßwaren eine große Rolle. Zwischen den
Figuren stehen auf den Tischen viele keimende Kokosnüsse in
Eimern oder Tontöpfen, dazwischen stehen gefüllte Teller oder
Platten mit Speisen sowie Obstschalen wie zum Mahle. Einzelne
Tänzer nehmen diese Teller während der Darbietung hoch oder
bekommen diese gereicht, sie halten sich die Speisen unter die
Nase und atmen den Duft derselben, danach werden Teller und
Schüsseln wieder abgestellt bzw. das Obst wird an Anwesende
verteilt und verzehrt.
Was ist der
Hintergrund dieser Darbietung?
Wie kommt es zu dieser in jeder Hinsicht üppigen,
lebensfrohen, extravaganten und kostspieligen Vorstellung? Hier
findet ein Tanz zu Ehren der 37 Nats statt. So ein Nattanz wird
von professionellen Tanzgruppen aufgeführt. Um Nat-Gadaw zu
werden, braucht man neben Talenz und Konzentrationsfähigkeit
eine reine, sanftmütige Seele und Verdienste aus dem früheren
Leben. Nat-Gadaw zu sein bedeutet nicht einfach, vom Nat besessen
zu werden oder für ihn zu tanzen, sondern zu verstehen, für den
Nat Rituale durchzuführen. Bis ins letzte Detail müssen sie
alle Legenden kennen, um glaubwürdig zu sein. Mädchen lernen
zwar standardmäßig traditionellen Tanz, nicht aber die Jungs,
die hierfür spezielle Schulen besuchen. Unter den Nattänzern
findet man gerne Schwule und Transvestiten, da angenommen wird,
daß sie aufgrund ihrer persönlichen Ambivalenz einen besonders
guten Zugang zu den Nats haben, daß sie sich am besten in die
männlichen und weiblichen Geister hineinversetzen können. Wer
gleitend zwischen den Geschlechtern verweilen kann wie sie, so
heißt es, der kann auch zwischen dem Diesseits und dem Jenseits
wandeln. Ein weiterer Grund ist, daß die Nats einen sehr starken
Willen haben, der sich gut mit einer sanftmütigen Seele
verträgt und besonders leicht eine solche ergreifen kann.
Wann wird ein
Nat-Pwe ausgeführt?
Es handelt sich auch nicht um eine öffentliche
Aufführung. Sondern jemand, der das Bedürfnis verspürt, einen
Nattanz aufführen zu lassen, engagiert eine solche Gruppe und
finanziert das Fest. Die Bezahlung der Tänzer (hier waren es
vier Jungs und zwei Frauen) erfolgt dabei nicht auf einen Schlag,
sondern während des Tanzes wird den Tänzern Geld zugesteckt.
Solange Geld fließt, wird weitergetanzt. Das kann eine Stunde
oder mehrere oder in Ausnahmefällen sogar ein paar Tage dauern.
Der Anlaß kann variieren. Zum Beispiel, wenn ein Unglück oder
ein Todesfall das Glück einer Familie überschattet, kann man es
für angemessen halten, einen Tanz zur Besänftigung der Nats
abhalten zu lassen. Oder vor großen Vorhaben kann es sich
lohnen, die Nats günstig zu stimmen. Andererseits kann man auch
nach einem gelungen Deal oder einem guten Geschäft dafür
sorgen, daß auch den Geistern die nötige Aufmerksamkeit zuteil
wird, auf daß sie der Familie weiter gewogen bleiben. Ziel des
Pwe ist es in jedem Falle, den Nat (oder in besonders wichtigen
Fällen alle 37 Nats), zu dessen bzw. deren Ehren die Zeremonie
abgehalten wird, günstig zu stimmen und dadurch seine
Unterstützung in persönlichen Belangen zu gewinnen. Die Tänzer
und Tänzerinnen stellen in ihren Darbietungen die
unterschiedlichen Nats oder mit ihnen assoziierte Geschichten
dar. Es gibt weibliche Nats, männliche Nats, schöne,
häßliche, graziöse, trampelige, saufende, rauchende, liebe und
böse Nats, alle haben einmal gelebt mit ihren menschlichen
Stärken und Schwächen, bis sie unschuldig durch die Hand eines
Machthabers starben und nun je nachdem die Lebenden vom Jenseits
aus unterstützen oder deren Pläne durchkreuzen die
Truppe spielt sie alle nach.
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
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