Bernhard
Peter
Nat-Geister,
die heimlichen Herrscher Birmas
Was ist ein Nat?
Ein Nat ist ein übernatürliches Wesen, irgendwo bei
den Geistern angesiedelt, Nats können sowohl beschützen als
auch Unheil bringen. Viele der Nats waren einst tragische Figuren
oder Opfer einer ungerechten Herrschaft oder der Willkür eines
Königs mit tödlichem Ausgang ausgelieferte Gestalten, hinter
vielen Nats stehen ergreifende Geschichten von Liebe oder Leid.
Man muß sich in Acht nehmen vor diesen Geistwesen, denn Nats
sind in ihrer Suche nach Rache und Schabernack so willkürlich in
ihrem Vorgehen, wie das Schicksal es war, das sie schuf. Viele
Geschichten gibt es über schreckliche Dinge, die zornige Nats
jenen zufügen, die ihren Unmut erregen oder auch nur ihr
Augenmerk auf sich lenkten besser stellt man sich gut mit
den Nats. Nur wer sie achtet, kann rundum Frieden im Leben finden
und mit Glück rechnen. Andernfalls machen ihm die
unberechenbaren Gestalten einen kräftigen Strich durch die
Rechnung.
Die Namen vieler Nats sind bildhaft: Sie heißen z. B. "Herr Berühmt", "Herr des weißen Pferdes", "Dame Silberflügel" oder "Frau Derb".
Geisterkult und
Buddhismus?
Es ist ein uralter Kult, der noch immer lebendig und
allgegenwärtig ist in Birma, obwohl mehr als 80% der
Bevölkerung Buddhisten sind. Aber das muß sich ja nicht
widersprechen. Nats sind zu allen Zeiten entstanden, einige waren
schon lange vor Buddha da. Viele Birmanen können sich
insbesondere vor dem Hintergrund der eigenen Lebenssituation
auch im 21. Jh. noch gut mit den Nat-Gestalten
identifizieren. Das Übernatürliche kann durchaus im
alttäglichen Leben der Birmanen präsent sein, Buddhismus hin,
Buddhismus her. Manchmal findet sich sogar ein Natschrein auf dem
Gelände einer buddhistischen Pagode. Außerdem hat König
Anawratha sehr geschickt die Nats in den Zusammenhang des
Buddhismus gestellt, als er den damals volkstümlichen 36 Nats
einen Ober-Nat zugesellte, der zugleich eine Verkörperung des
Schutzherrn des Buddhismus ist.
Wieviele Nats
gibt es?
Es gibt 37 Nats, die in ganz Birma Beachtung finden.
Diese Zahl wurde einfach mal im Rahmen einer Vereinheitlichung
festgestellt. König Anawratha legte diese Anzahl der offiziellen
Geister auf 37 (36 + 1 Ober-Nat) fest und ließ ihnen in seiner
Hauptstadt Bagan am Ufer des Ayeyarwaddy eine gewaltige Pagode
mit einem goldenen Stupa errichten. Diese Shwezigon Pagode steht
heute noch, und darinnen die Figuren der hochverehrten 37 Nats.
Aber das soll nicht heißen, daß da nicht intern Bewegung wäre.
Neben diesen offiziellen 37 Geistern gibt es natürlich noch jede
Menge lokal verehrte Nats, die ihren Platz häufig in den
Dörfern in einem kleinen Holzschrein unter riesigen alten
Bäumen haben. Der Natkult ist regional sehr unterschiedlich und
ganz uneinheitlich. Zu unterschiedlich, zu widersprüchlich
fallen regionale Mythen und Legenden aus. Birmas 120 Volksgruppen
konkurrieren auch mit ihren Nats, und so wird es wohl nie eine
allgemein gültige Regel geben, welche Nats zu den 37 gehören,
wer auf dem Berg Popa wohnt, wer in Taungbyon feiert, wie und auf
Grund welcher Todesursache die umstrittenen Geister im einzelnen
zur Nat-Würde aufstiegen oder welcher Nat im Zweifelsfall für
welche spezielle Magie zuständig ist.
Nat-Gadaw -
Vermittler zwischen Mensch und Übernatürlichem
Nat Gadaws heißen die Medien, die in ihren Tänzen
einen Mittelweg zwischen Aberglauben und Show beschreiten.
Natürlich sind sie in erster Linie Tänzer, aber sie sind noch
mehr für die Menschen, die sie engagieren, öffnen sie doch die
Tore zu einer mystischen Welt, versprechen sie doch mentale Hilfe
für rufende Seelen, teilen sie doch die Probleme, Ängste und
Sehnsüchte der Menschen, schenken sie doch den Menschen
Hoffnungen und Sicherheit, bauen sie doch eine Verbindung zum
Übernatürlichen auf. Sie helfen den Menschen, die Nats günstig
zu stimmen, gleichzeitig bieten sie den Menschen die
Möglichkeit, der Realität ihres Alltags zu trotzen, mächtige
Hilfe für sich in Anspruch zu nehmen und bei einem solchen
Nattanz sich auch einmal ganz und gar untypisch dem Lebensgenuß
hinzugeben. Insbesondere in einer höflichen und stets auf
gegenseitige Rücksichtnahme bedachten Gesellschaft, in welcher
es gegen die guten Sitten verstößt, andere mit eigenen Sorgen
zu behelligen und seinen Mitmenschen auch noch seine eigenen
Sorgen aufzubürden, erfüllen Nats und ihre Medien eine wichtige
soziale Funktion. Denn für Probleme und Sorgen aller Art sind
die Nats da und die Medien dieser Hausgeister. Somit hat der
Natkult eine Ventilfunktion, und die Nat-Gadaws füllen eine
Lücke im täglichen Leben, indem sie diejenigen sind, denen man
bedenkenlos alle Sorgen und jeden Kummer anvertrauen kann.
Wollen wir hoffen, daß die Macht der Nats den Birmanen das Leben weiterhin zu meistern hilft und daß keiner der 37 Nats untätig zuschauen wird, wie das einzigartige Land Birma untergeht.
Filmtipp:
"Friends in High Places", ein Film, der ohne
Genehmigung in Yangon gedreht wurde, führt in die Welt des
Nat-Kults ein und zeigt das Leben einiger Medien.
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Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004 und 2005
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